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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 2. Wien, 1892.

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Die atlantische Küste von Amerika.
quais (Ausmündung des Canal-Street), wo die Dampfer aus den Zucker-
districten landen, ist eines der robustesten, und die am Jackson
Square liegende dreithürmige Kathedrale St. Louis das schönste Object
im wechselvollen Hafenbilde.

Das niedrige Terrain, auf welchem die Stadt sich ausbreitet,
lässt keine malerische Entwicklung ihrer äusseren Gestaltung zu, allein
die 11 km lange Hafenfront mit dem längs derselben rege pulsirenden
Leben ist immerhin höchst überraschend.

Am rechten Ufer des Mississippi entstanden die Vorstädte Algier
mit vielen Trockendocks und Anlegeplätzen, und Gretna, das als
Ausflugsort gerne aufgesucht wird.

New-Orleans ist in der doppelsinnigen Bezeichnung als "Crescent
City", die halbmondförmige und zugleich die wachsende Stadt bekannt,
welche Benennung von der durch die Krümmung des Mississippi bedingten
halbmondförmigen Gestalt des älteren Stadttheiles, welcher gleichwie
ein breites Band dem Uferlaufe sich anschmiegte, herrührt.

Das ungeheuere Anwachsen von New-Orleans steht mit seinen
überaus günstigen commerziellen und Verkehrsverhältnissen in directer
Beziehung. Im Jahre 1803 zählte die Stadt 9000 Einwohner, 1880
aber bereits 216.000, 1890 246.000 Einwohner, davon gehört ein
Viertel farbigen Racen an.

Im Winter, wenn der wohlhabende Theil der Einwohner, der
bei Eintritt der warmen Jahreszeit vor dem gelben Fieber die Flucht
zu ergreifen pflegt, wieder in die Stadt zurückkehrt, mag die Be-
wohnerzahl derselben mit 250.000 Seelen nicht zu hoch veranschlagt
werden.

In Louisiana hat das französische Element sich erhalten, wie in
Florida das spanische. Dieser in New-Orleans sehr zur Geltung kom-
menden Erscheinung ist es wohl zuzuschreiben, dass die dortige Ge-
sellschaft im Umgange freier und angenehmer ist als etwa im Norden
der Union. Nur die Damenwelt behauptet, wie überall in der Union,
so auch in New-Orleans die Privilegien der weitesten Emancipation,
die jedoch in liebenswürdigster Weise bethätigt werden.

Aus der Sclavenzeit datirt die auffallende Missachtung der
Farbigen, und kaum anderswo ist im Lande der Gleichheit an die Stelle
des Standesunterschiedes der Farbenunterschied so schroff getreten,
wie in Louisiana und den ehemaligen Sclavenstaaten.

New-Orleans ist am linken Ufer des Stromes auf der Niederung
zwischen diesem und dem ausgedehnten Küstensee Pontchartrain auf-
gebaut. Einer jener weiten mit riesigen Cypressen bewachsenen

Die atlantische Küste von Amerika.
quais (Ausmündung des Canal-Street), wo die Dampfer aus den Zucker-
districten landen, ist eines der robustesten, und die am Jackson
Square liegende dreithürmige Kathedrale St. Louis das schönste Object
im wechselvollen Hafenbilde.

Das niedrige Terrain, auf welchem die Stadt sich ausbreitet,
lässt keine malerische Entwicklung ihrer äusseren Gestaltung zu, allein
die 11 km lange Hafenfront mit dem längs derselben rege pulsirenden
Leben ist immerhin höchst überraschend.

Am rechten Ufer des Mississippi entstanden die Vorstädte Algier
mit vielen Trockendocks und Anlegeplätzen, und Gretna, das als
Ausflugsort gerne aufgesucht wird.

New-Orleans ist in der doppelsinnigen Bezeichnung als „Crescent
City“, die halbmondförmige und zugleich die wachsende Stadt bekannt,
welche Benennung von der durch die Krümmung des Mississippi bedingten
halbmondförmigen Gestalt des älteren Stadttheiles, welcher gleichwie
ein breites Band dem Uferlaufe sich anschmiegte, herrührt.

Das ungeheuere Anwachsen von New-Orleans steht mit seinen
überaus günstigen commerziellen und Verkehrsverhältnissen in directer
Beziehung. Im Jahre 1803 zählte die Stadt 9000 Einwohner, 1880
aber bereits 216.000, 1890 246.000 Einwohner, davon gehört ein
Viertel farbigen Racen an.

Im Winter, wenn der wohlhabende Theil der Einwohner, der
bei Eintritt der warmen Jahreszeit vor dem gelben Fieber die Flucht
zu ergreifen pflegt, wieder in die Stadt zurückkehrt, mag die Be-
wohnerzahl derselben mit 250.000 Seelen nicht zu hoch veranschlagt
werden.

In Louisiana hat das französische Element sich erhalten, wie in
Florida das spanische. Dieser in New-Orleans sehr zur Geltung kom-
menden Erscheinung ist es wohl zuzuschreiben, dass die dortige Ge-
sellschaft im Umgange freier und angenehmer ist als etwa im Norden
der Union. Nur die Damenwelt behauptet, wie überall in der Union,
so auch in New-Orleans die Privilegien der weitesten Emancipation,
die jedoch in liebenswürdigster Weise bethätigt werden.

Aus der Sclavenzeit datirt die auffallende Missachtung der
Farbigen, und kaum anderswo ist im Lande der Gleichheit an die Stelle
des Standesunterschiedes der Farbenunterschied so schroff getreten,
wie in Louisiana und den ehemaligen Sclavenstaaten.

New-Orleans ist am linken Ufer des Stromes auf der Niederung
zwischen diesem und dem ausgedehnten Küstensee Pontchartrain auf-
gebaut. Einer jener weiten mit riesigen Cypressen bewachsenen

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[134/0150] Die atlantische Küste von Amerika. quais (Ausmündung des Canal-Street), wo die Dampfer aus den Zucker- districten landen, ist eines der robustesten, und die am Jackson Square liegende dreithürmige Kathedrale St. Louis das schönste Object im wechselvollen Hafenbilde. Das niedrige Terrain, auf welchem die Stadt sich ausbreitet, lässt keine malerische Entwicklung ihrer äusseren Gestaltung zu, allein die 11 km lange Hafenfront mit dem längs derselben rege pulsirenden Leben ist immerhin höchst überraschend. Am rechten Ufer des Mississippi entstanden die Vorstädte Algier mit vielen Trockendocks und Anlegeplätzen, und Gretna, das als Ausflugsort gerne aufgesucht wird. New-Orleans ist in der doppelsinnigen Bezeichnung als „Crescent City“, die halbmondförmige und zugleich die wachsende Stadt bekannt, welche Benennung von der durch die Krümmung des Mississippi bedingten halbmondförmigen Gestalt des älteren Stadttheiles, welcher gleichwie ein breites Band dem Uferlaufe sich anschmiegte, herrührt. Das ungeheuere Anwachsen von New-Orleans steht mit seinen überaus günstigen commerziellen und Verkehrsverhältnissen in directer Beziehung. Im Jahre 1803 zählte die Stadt 9000 Einwohner, 1880 aber bereits 216.000, 1890 246.000 Einwohner, davon gehört ein Viertel farbigen Racen an. Im Winter, wenn der wohlhabende Theil der Einwohner, der bei Eintritt der warmen Jahreszeit vor dem gelben Fieber die Flucht zu ergreifen pflegt, wieder in die Stadt zurückkehrt, mag die Be- wohnerzahl derselben mit 250.000 Seelen nicht zu hoch veranschlagt werden. In Louisiana hat das französische Element sich erhalten, wie in Florida das spanische. Dieser in New-Orleans sehr zur Geltung kom- menden Erscheinung ist es wohl zuzuschreiben, dass die dortige Ge- sellschaft im Umgange freier und angenehmer ist als etwa im Norden der Union. Nur die Damenwelt behauptet, wie überall in der Union, so auch in New-Orleans die Privilegien der weitesten Emancipation, die jedoch in liebenswürdigster Weise bethätigt werden. Aus der Sclavenzeit datirt die auffallende Missachtung der Farbigen, und kaum anderswo ist im Lande der Gleichheit an die Stelle des Standesunterschiedes der Farbenunterschied so schroff getreten, wie in Louisiana und den ehemaligen Sclavenstaaten. New-Orleans ist am linken Ufer des Stromes auf der Niederung zwischen diesem und dem ausgedehnten Küstensee Pontchartrain auf- gebaut. Einer jener weiten mit riesigen Cypressen bewachsenen

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Zitationshilfe: Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 2. Wien, 1892, S. 134. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen02_1892/150>, abgerufen am 22.11.2024.