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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891.

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London.
OSO derselben gelegenen, die Einfahrt in den Canal markirenden
Leuchtschiffe North-Hinder die äusserste Kennzeichnung der Zufahrt.
Innerhalb dieser Reihen liegen zwischen den langgestreckten Sand-
barren von Kentish Knock, Long Sand und Sunk breite und tiefe
Wasserstrassen für von Norden her kommende Schiffe, und im Süden
der Bänke öffnen sich ebenfalls zwischen Bänken die Zufahrten des
Princess-Channel für Schiffe, die von Osten oder Süden anlangen.
Sämmtliche Bänke und Barren, Fahrstrassen nnd Canäle sind durch
zahlreiche, gut situirte Leuchtschiffe, Tonnen und Marken vorzüglich
gekennzeichnet. Dessenungeachtet ereignen sich alljährlich entsetzlich
viele Seeunfälle, besonders bei stürmischem Wetter oder einsetzendem
Nebel, welch letzterer häufig einzutreten pflegt.

Wenden wir nun nochmals unseren Blick von dieser Mündung
nach der Metropole zurück, so erscheint uns dieses London als ein
grossartiges Gebilde, in dem sich eine Unmasse von Culturelementen
und commerciellen Interessen zusammendrängt, in dem zahllose Fäden
zusammenlaufen, von dem nach allen Richtungen hin Antrieb und
Gedanken ausgehen, in dem über vier Millionen Menschen aller
Schichten und Classen dicht nebeneinander leben, wo sich die ganze
Stufenleiter von dem höchsten Glanze bis zum tiefsten Elende vor-
findet, wo neben einer im gesellschaftlichen und politischen Leben
tonangebenden Aristokratie, neben handelsmächtigen Millionären ein
verkommenes Proletariat in elenden Unterkünften sich enge zusammen-
drängt, wo alle Glanzseiten grosser Centren mit allen Nachtheilen
solcher Massenansiedlungen zusammentreffen, wo viel Gemeinsinn und
namentlich in neuester Zeit ein warmer humanitärer Sinn neben dem
kalt berechnenden Geschäftsgeist sich bethätigt, wo das Bewusstsein,
das Herz Britanniens zu sein, in allen Herzen lebendig ist und ein
starkes Gefühl für Freiheit und Selbstbestimmung zum Ausdrucke ge-
langt, ein Gefühl, von dem man weiss, dass es nicht am wenigsten
dazu beigetragen hat, aus London das zu machen, was es heute ist.

Und fragen wir uns, wo denn eigentlich dieses London sein
Ende hat, so können wir darauf keine sichere und bestimmte Antwort
geben. Denn London ist heute kaum mehr eine gewöhnliche Stadt
zu nennen, es ist schon eine weit über die Grenzen einer solchen
hinausgewachsene städtische Landschaft mit einem stetigen Expansions-
streben, in welcher beispielsweise 1887 12.478 neue Häuser gebaut
und 166 neue Strassen mit einer Gesammtlänge von 37 km eröffnet
wurden. Wie ein gewaltiger Polyp streckt dieses London seine Fänge
nach allen Seiten aus und zieht einen weiten Kreis ringsum in seine

London.
OSO derselben gelegenen, die Einfahrt in den Canal markirenden
Leuchtschiffe North-Hinder die äusserste Kennzeichnung der Zufahrt.
Innerhalb dieser Reihen liegen zwischen den langgestreckten Sand-
barren von Kentish Knock, Long Sand und Sunk breite und tiefe
Wasserstrassen für von Norden her kommende Schiffe, und im Süden
der Bänke öffnen sich ebenfalls zwischen Bänken die Zufahrten des
Princess-Channel für Schiffe, die von Osten oder Süden anlangen.
Sämmtliche Bänke und Barren, Fahrstrassen nnd Canäle sind durch
zahlreiche, gut situirte Leuchtschiffe, Tonnen und Marken vorzüglich
gekennzeichnet. Dessenungeachtet ereignen sich alljährlich entsetzlich
viele Seeunfälle, besonders bei stürmischem Wetter oder einsetzendem
Nebel, welch letzterer häufig einzutreten pflegt.

Wenden wir nun nochmals unseren Blick von dieser Mündung
nach der Metropole zurück, so erscheint uns dieses London als ein
grossartiges Gebilde, in dem sich eine Unmasse von Culturelementen
und commerciellen Interessen zusammendrängt, in dem zahllose Fäden
zusammenlaufen, von dem nach allen Richtungen hin Antrieb und
Gedanken ausgehen, in dem über vier Millionen Menschen aller
Schichten und Classen dicht nebeneinander leben, wo sich die ganze
Stufenleiter von dem höchsten Glanze bis zum tiefsten Elende vor-
findet, wo neben einer im gesellschaftlichen und politischen Leben
tonangebenden Aristokratie, neben handelsmächtigen Millionären ein
verkommenes Proletariat in elenden Unterkünften sich enge zusammen-
drängt, wo alle Glanzseiten grosser Centren mit allen Nachtheilen
solcher Massenansiedlungen zusammentreffen, wo viel Gemeinsinn und
namentlich in neuester Zeit ein warmer humanitärer Sinn neben dem
kalt berechnenden Geschäftsgeist sich bethätigt, wo das Bewusstsein,
das Herz Britanniens zu sein, in allen Herzen lebendig ist und ein
starkes Gefühl für Freiheit und Selbstbestimmung zum Ausdrucke ge-
langt, ein Gefühl, von dem man weiss, dass es nicht am wenigsten
dazu beigetragen hat, aus London das zu machen, was es heute ist.

Und fragen wir uns, wo denn eigentlich dieses London sein
Ende hat, so können wir darauf keine sichere und bestimmte Antwort
geben. Denn London ist heute kaum mehr eine gewöhnliche Stadt
zu nennen, es ist schon eine weit über die Grenzen einer solchen
hinausgewachsene städtische Landschaft mit einem stetigen Expansions-
streben, in welcher beispielsweise 1887 12.478 neue Häuser gebaut
und 166 neue Strassen mit einer Gesammtlänge von 37 km eröffnet
wurden. Wie ein gewaltiger Polyp streckt dieses London seine Fänge
nach allen Seiten aus und zieht einen weiten Kreis ringsum in seine

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[951/0971] London. OSO derselben gelegenen, die Einfahrt in den Canal markirenden Leuchtschiffe North-Hinder die äusserste Kennzeichnung der Zufahrt. Innerhalb dieser Reihen liegen zwischen den langgestreckten Sand- barren von Kentish Knock, Long Sand und Sunk breite und tiefe Wasserstrassen für von Norden her kommende Schiffe, und im Süden der Bänke öffnen sich ebenfalls zwischen Bänken die Zufahrten des Princess-Channel für Schiffe, die von Osten oder Süden anlangen. Sämmtliche Bänke und Barren, Fahrstrassen nnd Canäle sind durch zahlreiche, gut situirte Leuchtschiffe, Tonnen und Marken vorzüglich gekennzeichnet. Dessenungeachtet ereignen sich alljährlich entsetzlich viele Seeunfälle, besonders bei stürmischem Wetter oder einsetzendem Nebel, welch letzterer häufig einzutreten pflegt. Wenden wir nun nochmals unseren Blick von dieser Mündung nach der Metropole zurück, so erscheint uns dieses London als ein grossartiges Gebilde, in dem sich eine Unmasse von Culturelementen und commerciellen Interessen zusammendrängt, in dem zahllose Fäden zusammenlaufen, von dem nach allen Richtungen hin Antrieb und Gedanken ausgehen, in dem über vier Millionen Menschen aller Schichten und Classen dicht nebeneinander leben, wo sich die ganze Stufenleiter von dem höchsten Glanze bis zum tiefsten Elende vor- findet, wo neben einer im gesellschaftlichen und politischen Leben tonangebenden Aristokratie, neben handelsmächtigen Millionären ein verkommenes Proletariat in elenden Unterkünften sich enge zusammen- drängt, wo alle Glanzseiten grosser Centren mit allen Nachtheilen solcher Massenansiedlungen zusammentreffen, wo viel Gemeinsinn und namentlich in neuester Zeit ein warmer humanitärer Sinn neben dem kalt berechnenden Geschäftsgeist sich bethätigt, wo das Bewusstsein, das Herz Britanniens zu sein, in allen Herzen lebendig ist und ein starkes Gefühl für Freiheit und Selbstbestimmung zum Ausdrucke ge- langt, ein Gefühl, von dem man weiss, dass es nicht am wenigsten dazu beigetragen hat, aus London das zu machen, was es heute ist. Und fragen wir uns, wo denn eigentlich dieses London sein Ende hat, so können wir darauf keine sichere und bestimmte Antwort geben. Denn London ist heute kaum mehr eine gewöhnliche Stadt zu nennen, es ist schon eine weit über die Grenzen einer solchen hinausgewachsene städtische Landschaft mit einem stetigen Expansions- streben, in welcher beispielsweise 1887 12.478 neue Häuser gebaut und 166 neue Strassen mit einer Gesammtlänge von 37 km eröffnet wurden. Wie ein gewaltiger Polyp streckt dieses London seine Fänge nach allen Seiten aus und zieht einen weiten Kreis ringsum in seine

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Zitationshilfe: Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891, S. 951. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen01_1891/971>, abgerufen am 23.11.2024.