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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891.

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London.
um das Doppelte vergrösserte, heute also einen Flächenraum von
mehr als 300 Quadratkilometern einnimmt.

Aber nicht nur riesig ist diese Stadt gewachsen, sie hat auch
eine gewaltige Umgestaltung in jeder Beziehung durchgemacht, freilich
am wenigsten vielleicht in der Richtung, dass sie eine besonders
schöne Stadt geworden wäre, wie man mit so vielem Rechte von
Paris sagen kann, welches namentlich unter dem Regime Napoleon III.
nicht nur an Grösse und Bedeutung, sondern auch vom ästhetischen
Standpunkte so viel gewonnen hat. In London war es aber nicht
leicht, mit jener einheitlichen Energie und oft nicht geringen Rück-
sichtslosigkeit vorzugehen, welche jenseits des Canales denjenigen
gestattet war, welche die napoleonischen Umgestaltungspläne zur
Ausführung zu bringen hatten. Und dann überwiegt in der Natur
des Briten der Sinn für das Praktische und Nützliche weit über die
Liebe zum Schönen. Dagegen ist man in London niemals vor gross-
artigen Plänen und gewaltigem Geldaufwande zurückgeschreckt, wenn
es sich um Vorkehrungen handelte, von deren Zweckmässigkeit man
überzeugt war.

Das heutige London ist ein ungeheuerer Complex auf beiden Ufern
der Themse. Der Schwerpunkt der Stadt liegt am linken Ufer; dort,
entwickelte sich das alte London, wuchs allgemach aus seiner engen
Umwallung hinaus, nahm die flussaufwärts gelegene, einst selbst-
ständige Stadt Westminster in sich auf und dehnte sich fort und
fort nach allen Richtungen aus. Es war natürlich, dass bei der Noth-
wendigkeit dieses Wachsthums man auch auf das andere Ufer
hinübergriff, da der Verkehr zwang, die Flussufer selbst möglichst
auszunützen. Hiebei ergab sich eine eigenthümliche Erscheinung,
welche für London geradezu charakteristisch genannt werden kann.
Je grösser die Stadt und je intensiver deren geschäftliches Leben
ward, desto stärker wurde eine gewisse centrifugale Tendenz in der
Bevölkerung. Das alte London fiel so ziemlich mit jenem Theile
zusammen, der heute City genannt wird. Dort ist das Herz der Stadt.
Aber der Bewohner überliess die City immer mehr nur dem geschäft-
lichen Leben und suchte sich ferne von ihr seinen Wohnsitz, gegen
die Peripherie zu, wo er bequemer, luftiger, behaglicher seine Existenz
sich einrichten konnte. Von Jahr zu Jahr ward der Exodus aus der
City grösser, und endlich kam es dahin, dass man diesen ganzen
engen Stadttheil überhaupt nicht mehr als ein bewohnbares Viertel
betrachtete, sondern es einzig und allein dem Geschäfte überliess. In
der City wohnt und lebt man nicht, dort wird nur gearbeitet und

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London.
um das Doppelte vergrösserte, heute also einen Flächenraum von
mehr als 300 Quadratkilometern einnimmt.

Aber nicht nur riesig ist diese Stadt gewachsen, sie hat auch
eine gewaltige Umgestaltung in jeder Beziehung durchgemacht, freilich
am wenigsten vielleicht in der Richtung, dass sie eine besonders
schöne Stadt geworden wäre, wie man mit so vielem Rechte von
Paris sagen kann, welches namentlich unter dem Regime Napoleon III.
nicht nur an Grösse und Bedeutung, sondern auch vom ästhetischen
Standpunkte so viel gewonnen hat. In London war es aber nicht
leicht, mit jener einheitlichen Energie und oft nicht geringen Rück-
sichtslosigkeit vorzugehen, welche jenseits des Canales denjenigen
gestattet war, welche die napoleonischen Umgestaltungspläne zur
Ausführung zu bringen hatten. Und dann überwiegt in der Natur
des Briten der Sinn für das Praktische und Nützliche weit über die
Liebe zum Schönen. Dagegen ist man in London niemals vor gross-
artigen Plänen und gewaltigem Geldaufwande zurückgeschreckt, wenn
es sich um Vorkehrungen handelte, von deren Zweckmässigkeit man
überzeugt war.

Das heutige London ist ein ungeheuerer Complex auf beiden Ufern
der Themse. Der Schwerpunkt der Stadt liegt am linken Ufer; dort,
entwickelte sich das alte London, wuchs allgemach aus seiner engen
Umwallung hinaus, nahm die flussaufwärts gelegene, einst selbst-
ständige Stadt Westminster in sich auf und dehnte sich fort und
fort nach allen Richtungen aus. Es war natürlich, dass bei der Noth-
wendigkeit dieses Wachsthums man auch auf das andere Ufer
hinübergriff, da der Verkehr zwang, die Flussufer selbst möglichst
auszunützen. Hiebei ergab sich eine eigenthümliche Erscheinung,
welche für London geradezu charakteristisch genannt werden kann.
Je grösser die Stadt und je intensiver deren geschäftliches Leben
ward, desto stärker wurde eine gewisse centrifugale Tendenz in der
Bevölkerung. Das alte London fiel so ziemlich mit jenem Theile
zusammen, der heute City genannt wird. Dort ist das Herz der Stadt.
Aber der Bewohner überliess die City immer mehr nur dem geschäft-
lichen Leben und suchte sich ferne von ihr seinen Wohnsitz, gegen
die Peripherie zu, wo er bequemer, luftiger, behaglicher seine Existenz
sich einrichten konnte. Von Jahr zu Jahr ward der Exodus aus der
City grösser, und endlich kam es dahin, dass man diesen ganzen
engen Stadttheil überhaupt nicht mehr als ein bewohnbares Viertel
betrachtete, sondern es einzig und allein dem Geschäfte überliess. In
der City wohnt und lebt man nicht, dort wird nur gearbeitet und

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[923/0943] London. um das Doppelte vergrösserte, heute also einen Flächenraum von mehr als 300 Quadratkilometern einnimmt. Aber nicht nur riesig ist diese Stadt gewachsen, sie hat auch eine gewaltige Umgestaltung in jeder Beziehung durchgemacht, freilich am wenigsten vielleicht in der Richtung, dass sie eine besonders schöne Stadt geworden wäre, wie man mit so vielem Rechte von Paris sagen kann, welches namentlich unter dem Regime Napoleon III. nicht nur an Grösse und Bedeutung, sondern auch vom ästhetischen Standpunkte so viel gewonnen hat. In London war es aber nicht leicht, mit jener einheitlichen Energie und oft nicht geringen Rück- sichtslosigkeit vorzugehen, welche jenseits des Canales denjenigen gestattet war, welche die napoleonischen Umgestaltungspläne zur Ausführung zu bringen hatten. Und dann überwiegt in der Natur des Briten der Sinn für das Praktische und Nützliche weit über die Liebe zum Schönen. Dagegen ist man in London niemals vor gross- artigen Plänen und gewaltigem Geldaufwande zurückgeschreckt, wenn es sich um Vorkehrungen handelte, von deren Zweckmässigkeit man überzeugt war. Das heutige London ist ein ungeheuerer Complex auf beiden Ufern der Themse. Der Schwerpunkt der Stadt liegt am linken Ufer; dort, entwickelte sich das alte London, wuchs allgemach aus seiner engen Umwallung hinaus, nahm die flussaufwärts gelegene, einst selbst- ständige Stadt Westminster in sich auf und dehnte sich fort und fort nach allen Richtungen aus. Es war natürlich, dass bei der Noth- wendigkeit dieses Wachsthums man auch auf das andere Ufer hinübergriff, da der Verkehr zwang, die Flussufer selbst möglichst auszunützen. Hiebei ergab sich eine eigenthümliche Erscheinung, welche für London geradezu charakteristisch genannt werden kann. Je grösser die Stadt und je intensiver deren geschäftliches Leben ward, desto stärker wurde eine gewisse centrifugale Tendenz in der Bevölkerung. Das alte London fiel so ziemlich mit jenem Theile zusammen, der heute City genannt wird. Dort ist das Herz der Stadt. Aber der Bewohner überliess die City immer mehr nur dem geschäft- lichen Leben und suchte sich ferne von ihr seinen Wohnsitz, gegen die Peripherie zu, wo er bequemer, luftiger, behaglicher seine Existenz sich einrichten konnte. Von Jahr zu Jahr ward der Exodus aus der City grösser, und endlich kam es dahin, dass man diesen ganzen engen Stadttheil überhaupt nicht mehr als ein bewohnbares Viertel betrachtete, sondern es einzig und allein dem Geschäfte überliess. In der City wohnt und lebt man nicht, dort wird nur gearbeitet und 116*

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Zitationshilfe: Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891, S. 923. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen01_1891/943>, abgerufen am 23.11.2024.