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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891.

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Riga.
ist es jetzt ein massives Gebäude mit zwei Thürmen. Früher Re-
sidenz der Ordensmeister, wird es nun vom Gouverneur bewohnt.
Auf dem Platze vor dem Schlosse, dem schönsten und grössten
der Altstadt, ist im Jahre 1817 von der Kaufmannschaft dem
siegreich aus dem Kriege gegen Napoleon I. heimkehrenden Kaiser
Alexander I. ein Denkmal errichtet worden: eine Victoria mit dem
Lorbeerkranze steht auf einer 8 m hohen Granitsäule.

Durch die grosse Schlossstrasse fortschreitend gelangen wir
an der Ecke der Jakobsstrasse zur Börse, einem mächtigen Bau im
italienischen Renaissancestyl. In der Jakobsstrasse erhebt sich im
Style des Palazzo Strozzi in Florenz das Ritterhaus, wo früher der
livländische Adel seine Versammlungen hielt. Die Wappen sämmt-
licher adeligen Familien Livlands befinden sich noch an den Wänden
des grossen Rittersaales, in dem gegenwärtig der Provinziallandtag
seine Versammlungen hält.

Von der grossen Schlossstrasse vor der Börse rechts abbiegend
gelangen wir zur Dom- oder Marienkirche, deren Bau schon 1215
nach der Gründung der Stadt begonnen wurde. Die neue Orgel in
der Kirche ist eine der grössten der Welt. An die Domkirche
grenzt der Herderplatz, in dessen Mitte eine Nachahmung der Wei-
mar'schen Herderbüste steht. In dem schönen Kreuzgange des Domes
ist die Stadtbibliothek untergebracht, die interessante Merkwürdig-
keiten aus der Geschichte Rigas, darunter auch einige Autographen
von Herder besitzt.

Nach wenigen Schritten erreicht man den Rathhausplatz, an
dessen einer Seite sich das Rathhaus, diesem gegenüber das Schwarz-
häupterhaus aus dem XIV. Jahrhundert befindet. Dieses letztere Ge-
bäude enthält mancherlei Erinnerungen aus der Zeit der Ordensherr-
schaft und ist auch durch seine altfränkische Facade interessant.
Das Haus führt seinen Namen von den Schwarzhäuptern, einer
Waffenbrüderschaft unverheirateter Bürger, die sich einst über das
ganze Land ausdehnte und die Wahrung städtischer Interessen zum
Zwecke hatte. Da ihr Schutzpatron, der heilige Mauritius, ein Mohr
war, hiessen sie Schwarzhäupter.

Vom Rathhausplatze gelangt man durch die Herrengasse auf
den Petriplatz, wo sich die älteste Kirche Rigas, die St. Petrikirche,
befindet. Der 140 m hohe Thurm soll der zweithöchste Russlands
sein. Zahlreiche Wappenschilder alter Riga'scher Familien hängen
an den Wänden der Kirche, und die Einrichtung der Sitzreihen ist
noch dieselbe wie im Mittelalter. Die Rathsherren haben ihre eigenen

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Riga.
ist es jetzt ein massives Gebäude mit zwei Thürmen. Früher Re-
sidenz der Ordensmeister, wird es nun vom Gouverneur bewohnt.
Auf dem Platze vor dem Schlosse, dem schönsten und grössten
der Altstadt, ist im Jahre 1817 von der Kaufmannschaft dem
siegreich aus dem Kriege gegen Napoleon I. heimkehrenden Kaiser
Alexander I. ein Denkmal errichtet worden: eine Victoria mit dem
Lorbeerkranze steht auf einer 8 m hohen Granitsäule.

Durch die grosse Schlossstrasse fortschreitend gelangen wir
an der Ecke der Jakobsstrasse zur Börse, einem mächtigen Bau im
italienischen Renaissancestyl. In der Jakobsstrasse erhebt sich im
Style des Palazzo Strozzi in Florenz das Ritterhaus, wo früher der
livländische Adel seine Versammlungen hielt. Die Wappen sämmt-
licher adeligen Familien Livlands befinden sich noch an den Wänden
des grossen Rittersaales, in dem gegenwärtig der Provinziallandtag
seine Versammlungen hält.

Von der grossen Schlossstrasse vor der Börse rechts abbiegend
gelangen wir zur Dom- oder Marienkirche, deren Bau schon 1215
nach der Gründung der Stadt begonnen wurde. Die neue Orgel in
der Kirche ist eine der grössten der Welt. An die Domkirche
grenzt der Herderplatz, in dessen Mitte eine Nachahmung der Wei-
mar’schen Herderbüste steht. In dem schönen Kreuzgange des Domes
ist die Stadtbibliothek untergebracht, die interessante Merkwürdig-
keiten aus der Geschichte Rigas, darunter auch einige Autographen
von Herder besitzt.

Nach wenigen Schritten erreicht man den Rathhausplatz, an
dessen einer Seite sich das Rathhaus, diesem gegenüber das Schwarz-
häupterhaus aus dem XIV. Jahrhundert befindet. Dieses letztere Ge-
bäude enthält mancherlei Erinnerungen aus der Zeit der Ordensherr-
schaft und ist auch durch seine altfränkische Façade interessant.
Das Haus führt seinen Namen von den Schwarzhäuptern, einer
Waffenbrüderschaft unverheirateter Bürger, die sich einst über das
ganze Land ausdehnte und die Wahrung städtischer Interessen zum
Zwecke hatte. Da ihr Schutzpatron, der heilige Mauritius, ein Mohr
war, hiessen sie Schwarzhäupter.

Vom Rathhausplatze gelangt man durch die Herrengasse auf
den Petriplatz, wo sich die älteste Kirche Rigas, die St. Petrikirche,
befindet. Der 140 m hohe Thurm soll der zweithöchste Russlands
sein. Zahlreiche Wappenschilder alter Riga’scher Familien hängen
an den Wänden der Kirche, und die Einrichtung der Sitzreihen ist
noch dieselbe wie im Mittelalter. Die Rathsherren haben ihre eigenen

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[851/0871] Riga. ist es jetzt ein massives Gebäude mit zwei Thürmen. Früher Re- sidenz der Ordensmeister, wird es nun vom Gouverneur bewohnt. Auf dem Platze vor dem Schlosse, dem schönsten und grössten der Altstadt, ist im Jahre 1817 von der Kaufmannschaft dem siegreich aus dem Kriege gegen Napoleon I. heimkehrenden Kaiser Alexander I. ein Denkmal errichtet worden: eine Victoria mit dem Lorbeerkranze steht auf einer 8 m hohen Granitsäule. Durch die grosse Schlossstrasse fortschreitend gelangen wir an der Ecke der Jakobsstrasse zur Börse, einem mächtigen Bau im italienischen Renaissancestyl. In der Jakobsstrasse erhebt sich im Style des Palazzo Strozzi in Florenz das Ritterhaus, wo früher der livländische Adel seine Versammlungen hielt. Die Wappen sämmt- licher adeligen Familien Livlands befinden sich noch an den Wänden des grossen Rittersaales, in dem gegenwärtig der Provinziallandtag seine Versammlungen hält. Von der grossen Schlossstrasse vor der Börse rechts abbiegend gelangen wir zur Dom- oder Marienkirche, deren Bau schon 1215 nach der Gründung der Stadt begonnen wurde. Die neue Orgel in der Kirche ist eine der grössten der Welt. An die Domkirche grenzt der Herderplatz, in dessen Mitte eine Nachahmung der Wei- mar’schen Herderbüste steht. In dem schönen Kreuzgange des Domes ist die Stadtbibliothek untergebracht, die interessante Merkwürdig- keiten aus der Geschichte Rigas, darunter auch einige Autographen von Herder besitzt. Nach wenigen Schritten erreicht man den Rathhausplatz, an dessen einer Seite sich das Rathhaus, diesem gegenüber das Schwarz- häupterhaus aus dem XIV. Jahrhundert befindet. Dieses letztere Ge- bäude enthält mancherlei Erinnerungen aus der Zeit der Ordensherr- schaft und ist auch durch seine altfränkische Façade interessant. Das Haus führt seinen Namen von den Schwarzhäuptern, einer Waffenbrüderschaft unverheirateter Bürger, die sich einst über das ganze Land ausdehnte und die Wahrung städtischer Interessen zum Zwecke hatte. Da ihr Schutzpatron, der heilige Mauritius, ein Mohr war, hiessen sie Schwarzhäupter. Vom Rathhausplatze gelangt man durch die Herrengasse auf den Petriplatz, wo sich die älteste Kirche Rigas, die St. Petrikirche, befindet. Der 140 m hohe Thurm soll der zweithöchste Russlands sein. Zahlreiche Wappenschilder alter Riga’scher Familien hängen an den Wänden der Kirche, und die Einrichtung der Sitzreihen ist noch dieselbe wie im Mittelalter. Die Rathsherren haben ihre eigenen 107*

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Zitationshilfe: Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891, S. 851. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen01_1891/871>, abgerufen am 23.11.2024.