Die norddeutschen, englischen und hugenottischen Kaufleute gaben den Verkehr mit Antwerpen auf, um ihn gleichfalls nach Holland zu verlegen. Mehr und mehr verödeten der Hafen, die Strassen und Häuser von Antwerpen, das, wie schon erwähnt, im XVII. Jahrhunderte statt der früheren 100.000 nur 40.000 Einwohner zählte.
Jede Hoffnung auf Besserung blieb geschwunden, weil die Holländer die Lebensader Antwerpens, die Schelde, geschlossen hielten und diese durch den westfälischen Frieden (1648) beschlossene Sperre 1713 in Utrecht wiederholt wurde.
Handel und Industrie blühten nur mehr im Andenken. Bis zur Zeit Joseph II. wagte es Niemand, dieses Recht der Niederländer anzutasten.
Auf seinen Befehl wurde 1783 zu Antwerpen ein Schiff ausgerüstet und fuhr mit der kaiserlichen Flagge die Schelde hinab. Aber es wurde von den Hol- ländern beschossen und aufgebracht, und da Joseph II. Frankreich, England und Preussen auf Seite der Holländer fand, musste er nachgeben.
Den Jahrhunderte langen Druck lösten erst die Kriege, welche auf die französische Revolution folgten, Napoleon I. verdankt die Stadt den Anfang ihres heutigen Reichthums. Er hatte Verständniss für die Wichtigkeit der Lage Ant- werpens, und seinem Urtheile: "Hier ist noch Alles zu thun" folgte der Bau von zwei grossen Docks und zwei Quais.
Carnot vertheidigte die Stadt (1814) gegen die Alliirten.
Als dann nach dem Sturze des gewaltigen Mannes Belgien mit den Nieder- landen vereinigt wurde (1815), um so einen grösseren Staat an Frankreichs Grenzen zu schaffen, wurden die Arbeiten von den Niederländern nicht fortgesetzt, und erst nach der 1831 erfolgten Trennung Belgiens von Holland (Londoner Ver- trag vom 15. November 1831) konnte Antwerpen als Rivale der holländischen Seestädte, namentlich Rotterdams, auftreten, und zwar hauptsächlich dadurch, dass König Leopold I. 1835 mit dem Eisenbahnbau begann und so durch die be- queme moderne Verbindung mit Frankreich und Deutschland Antwerpen ein ge- waltiges Hinterland schuf, während Holland immer an seiner theuren, langsam arbeitenden Canalschiffahrt festhielt.
Doch noch immer führte Antwerpen ein kleinliches Dasein bis zur Ab- lösung des Scheldezolles (1863), weil bis dahin die Schiffahrt für jede Tonne stromaufgehender Waare mit 2·20 Francs, für jede Tonne stromabgehender Waare mit 0·80 Francs belastet war.
Nach dem Aufhören des Scheldezolles entwickelte sich Ant- werpens Handel in einer ähnlichen sprunghaften Weise wie in unseren Tagen der von Hamburg.
Belgien allein konnte nicht die Güter schaffen für einen neuen grossen Verkehr. Denn Belgien ist klein, aber die Welt ist gross; es war, wies ich immer deutlicher herausstellte, vor Allem der Durchgangs- verkehr, dessen Beherrschung die Lebensfrage für die alte Handels- stadt bildete. Um diesem nun die erforderlichen Vorbedingungen für be- quemes Laden, Löschen, Bergen und Versenden zu bieten und ihn damit von Rotterdam und Amsterdam abzulenken, dazu reichten die Capitals- kräfte der Stadt Antwerpen nicht aus.
Der atlantische Ocean.
Die norddeutschen, englischen und hugenottischen Kaufleute gaben den Verkehr mit Antwerpen auf, um ihn gleichfalls nach Holland zu verlegen. Mehr und mehr verödeten der Hafen, die Strassen und Häuser von Antwerpen, das, wie schon erwähnt, im XVII. Jahrhunderte statt der früheren 100.000 nur 40.000 Einwohner zählte.
Jede Hoffnung auf Besserung blieb geschwunden, weil die Holländer die Lebensader Antwerpens, die Schelde, geschlossen hielten und diese durch den westfälischen Frieden (1648) beschlossene Sperre 1713 in Utrecht wiederholt wurde.
Handel und Industrie blühten nur mehr im Andenken. Bis zur Zeit Joseph II. wagte es Niemand, dieses Recht der Niederländer anzutasten.
Auf seinen Befehl wurde 1783 zu Antwerpen ein Schiff ausgerüstet und fuhr mit der kaiserlichen Flagge die Schelde hinab. Aber es wurde von den Hol- ländern beschossen und aufgebracht, und da Joseph II. Frankreich, England und Preussen auf Seite der Holländer fand, musste er nachgeben.
Den Jahrhunderte langen Druck lösten erst die Kriege, welche auf die französische Revolution folgten, Napoleon I. verdankt die Stadt den Anfang ihres heutigen Reichthums. Er hatte Verständniss für die Wichtigkeit der Lage Ant- werpens, und seinem Urtheile: „Hier ist noch Alles zu thun“ folgte der Bau von zwei grossen Docks und zwei Quais.
Carnot vertheidigte die Stadt (1814) gegen die Alliirten.
Als dann nach dem Sturze des gewaltigen Mannes Belgien mit den Nieder- landen vereinigt wurde (1815), um so einen grösseren Staat an Frankreichs Grenzen zu schaffen, wurden die Arbeiten von den Niederländern nicht fortgesetzt, und erst nach der 1831 erfolgten Trennung Belgiens von Holland (Londoner Ver- trag vom 15. November 1831) konnte Antwerpen als Rivale der holländischen Seestädte, namentlich Rotterdams, auftreten, und zwar hauptsächlich dadurch, dass König Leopold I. 1835 mit dem Eisenbahnbau begann und so durch die be- queme moderne Verbindung mit Frankreich und Deutschland Antwerpen ein ge- waltiges Hinterland schuf, während Holland immer an seiner theuren, langsam arbeitenden Canalschiffahrt festhielt.
Doch noch immer führte Antwerpen ein kleinliches Dasein bis zur Ab- lösung des Scheldezolles (1863), weil bis dahin die Schiffahrt für jede Tonne stromaufgehender Waare mit 2·20 Francs, für jede Tonne stromabgehender Waare mit 0·80 Francs belastet war.
Nach dem Aufhören des Scheldezolles entwickelte sich Ant- werpens Handel in einer ähnlichen sprunghaften Weise wie in unseren Tagen der von Hamburg.
Belgien allein konnte nicht die Güter schaffen für einen neuen grossen Verkehr. Denn Belgien ist klein, aber die Welt ist gross; es war, wies ich immer deutlicher herausstellte, vor Allem der Durchgangs- verkehr, dessen Beherrschung die Lebensfrage für die alte Handels- stadt bildete. Um diesem nun die erforderlichen Vorbedingungen für be- quemes Laden, Löschen, Bergen und Versenden zu bieten und ihn damit von Rotterdam und Amsterdam abzulenken, dazu reichten die Capitals- kräfte der Stadt Antwerpen nicht aus.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0678"n="658"/><fwplace="top"type="header">Der atlantische Ocean.</fw><lb/><p>Die norddeutschen, englischen und hugenottischen Kaufleute gaben den<lb/>
Verkehr mit Antwerpen auf, um ihn gleichfalls nach Holland zu verlegen. Mehr<lb/>
und mehr verödeten der Hafen, die Strassen und Häuser von Antwerpen, das, wie<lb/>
schon erwähnt, im XVII. Jahrhunderte statt der früheren 100.000 nur 40.000<lb/>
Einwohner zählte.</p><lb/><p>Jede Hoffnung auf Besserung blieb geschwunden, weil die Holländer die<lb/>
Lebensader Antwerpens, die Schelde, geschlossen hielten und diese durch den<lb/>
westfälischen Frieden (1648) beschlossene Sperre 1713 in Utrecht wiederholt wurde.</p><lb/><p>Handel und Industrie blühten nur mehr im Andenken. Bis zur Zeit<lb/>
Joseph II. wagte es Niemand, dieses Recht der Niederländer anzutasten.</p><lb/><p>Auf seinen Befehl wurde 1783 zu Antwerpen ein Schiff ausgerüstet und<lb/>
fuhr mit der kaiserlichen Flagge die Schelde hinab. Aber es wurde von den Hol-<lb/>
ländern beschossen und aufgebracht, und da Joseph II. Frankreich, England und<lb/>
Preussen auf Seite der Holländer fand, musste er nachgeben.</p><lb/><p>Den Jahrhunderte langen Druck lösten erst die Kriege, welche auf die<lb/>
französische Revolution folgten, Napoleon I. verdankt die Stadt den Anfang ihres<lb/>
heutigen Reichthums. Er hatte Verständniss für die Wichtigkeit der Lage Ant-<lb/>
werpens, und seinem Urtheile: „Hier ist noch Alles zu thun“ folgte der Bau von<lb/>
zwei grossen Docks und zwei Quais.</p><lb/><p>Carnot vertheidigte die Stadt (1814) gegen die Alliirten.</p><lb/><p>Als dann nach dem Sturze des gewaltigen Mannes Belgien mit den Nieder-<lb/>
landen vereinigt wurde (1815), um so einen grösseren Staat an Frankreichs<lb/>
Grenzen zu schaffen, wurden die Arbeiten von den Niederländern nicht fortgesetzt,<lb/>
und erst nach der 1831 erfolgten Trennung Belgiens von Holland (Londoner Ver-<lb/>
trag vom 15. November 1831) konnte Antwerpen als Rivale der holländischen<lb/>
Seestädte, namentlich Rotterdams, auftreten, und zwar hauptsächlich dadurch, dass<lb/>
König Leopold I. 1835 mit dem <hirendition="#g">Eisenbahnbau</hi> begann und so durch die be-<lb/>
queme moderne Verbindung mit Frankreich und Deutschland Antwerpen ein ge-<lb/>
waltiges Hinterland schuf, während Holland immer an seiner theuren, langsam<lb/>
arbeitenden Canalschiffahrt festhielt.</p><lb/><p>Doch noch immer führte Antwerpen ein kleinliches Dasein bis zur Ab-<lb/>
lösung des Scheldezolles (1863), weil bis dahin die Schiffahrt für jede Tonne<lb/>
stromaufgehender Waare mit 2·20 Francs, für jede Tonne stromabgehender Waare<lb/>
mit 0·80 Francs belastet war.</p><lb/><p>Nach dem Aufhören des Scheldezolles entwickelte sich Ant-<lb/>
werpens Handel in einer ähnlichen sprunghaften Weise wie in unseren<lb/>
Tagen der von Hamburg.</p><lb/><p>Belgien allein konnte nicht die Güter schaffen für einen neuen<lb/>
grossen Verkehr. Denn Belgien ist klein, aber die Welt ist gross; es<lb/>
war, wies ich immer deutlicher herausstellte, vor Allem der Durchgangs-<lb/>
verkehr, dessen Beherrschung die Lebensfrage für die alte Handels-<lb/>
stadt bildete. Um diesem nun die erforderlichen Vorbedingungen für be-<lb/>
quemes Laden, Löschen, Bergen und Versenden zu bieten und ihn damit<lb/>
von Rotterdam und Amsterdam abzulenken, dazu reichten die Capitals-<lb/>
kräfte der Stadt Antwerpen nicht aus.</p><lb/></div></div></body></text></TEI>
[658/0678]
Der atlantische Ocean.
Die norddeutschen, englischen und hugenottischen Kaufleute gaben den
Verkehr mit Antwerpen auf, um ihn gleichfalls nach Holland zu verlegen. Mehr
und mehr verödeten der Hafen, die Strassen und Häuser von Antwerpen, das, wie
schon erwähnt, im XVII. Jahrhunderte statt der früheren 100.000 nur 40.000
Einwohner zählte.
Jede Hoffnung auf Besserung blieb geschwunden, weil die Holländer die
Lebensader Antwerpens, die Schelde, geschlossen hielten und diese durch den
westfälischen Frieden (1648) beschlossene Sperre 1713 in Utrecht wiederholt wurde.
Handel und Industrie blühten nur mehr im Andenken. Bis zur Zeit
Joseph II. wagte es Niemand, dieses Recht der Niederländer anzutasten.
Auf seinen Befehl wurde 1783 zu Antwerpen ein Schiff ausgerüstet und
fuhr mit der kaiserlichen Flagge die Schelde hinab. Aber es wurde von den Hol-
ländern beschossen und aufgebracht, und da Joseph II. Frankreich, England und
Preussen auf Seite der Holländer fand, musste er nachgeben.
Den Jahrhunderte langen Druck lösten erst die Kriege, welche auf die
französische Revolution folgten, Napoleon I. verdankt die Stadt den Anfang ihres
heutigen Reichthums. Er hatte Verständniss für die Wichtigkeit der Lage Ant-
werpens, und seinem Urtheile: „Hier ist noch Alles zu thun“ folgte der Bau von
zwei grossen Docks und zwei Quais.
Carnot vertheidigte die Stadt (1814) gegen die Alliirten.
Als dann nach dem Sturze des gewaltigen Mannes Belgien mit den Nieder-
landen vereinigt wurde (1815), um so einen grösseren Staat an Frankreichs
Grenzen zu schaffen, wurden die Arbeiten von den Niederländern nicht fortgesetzt,
und erst nach der 1831 erfolgten Trennung Belgiens von Holland (Londoner Ver-
trag vom 15. November 1831) konnte Antwerpen als Rivale der holländischen
Seestädte, namentlich Rotterdams, auftreten, und zwar hauptsächlich dadurch, dass
König Leopold I. 1835 mit dem Eisenbahnbau begann und so durch die be-
queme moderne Verbindung mit Frankreich und Deutschland Antwerpen ein ge-
waltiges Hinterland schuf, während Holland immer an seiner theuren, langsam
arbeitenden Canalschiffahrt festhielt.
Doch noch immer führte Antwerpen ein kleinliches Dasein bis zur Ab-
lösung des Scheldezolles (1863), weil bis dahin die Schiffahrt für jede Tonne
stromaufgehender Waare mit 2·20 Francs, für jede Tonne stromabgehender Waare
mit 0·80 Francs belastet war.
Nach dem Aufhören des Scheldezolles entwickelte sich Ant-
werpens Handel in einer ähnlichen sprunghaften Weise wie in unseren
Tagen der von Hamburg.
Belgien allein konnte nicht die Güter schaffen für einen neuen
grossen Verkehr. Denn Belgien ist klein, aber die Welt ist gross; es
war, wies ich immer deutlicher herausstellte, vor Allem der Durchgangs-
verkehr, dessen Beherrschung die Lebensfrage für die alte Handels-
stadt bildete. Um diesem nun die erforderlichen Vorbedingungen für be-
quemes Laden, Löschen, Bergen und Versenden zu bieten und ihn damit
von Rotterdam und Amsterdam abzulenken, dazu reichten die Capitals-
kräfte der Stadt Antwerpen nicht aus.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891, S. 658. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen01_1891/678>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.