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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891.

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Venedig.

Während Marco Polo im fernen Osten weilte, wurde Armenien
von den Venezianern wirthschaftlich vollständig beherrscht; Kaufhäuser
in Beiruth, Damaskus und Aleppo vermittelten den Verkehr mit Persien
und Indien, durch Verträge mit der Mameluckendynastie, welche seit
dem XIII. Jahrhunderte in Egypten mit Kraft herrschte, wurde Ale-
xandrien eine wichtige Station ihres Handels, wohin die Araber auf
dem Seewege durch das rothe Meer und den Nil abwärts die Ge-
würze Indiens brachten, unter denen Pfeffer das wichtigste war.

So fällt der Höhepunkt der Macht Venedigs nicht in den
Anfang des XIII., sondern in das Ende des XIV. Jahrhunderts, wo das
ganze östliche Becken des Mittelmeeres das Colonialreich der Vene-
zianer bildet.

Der Tag, an dem die Portugiesen den Seeweg nach Indien ums
Cap fanden, war der Wendepunkt in der Geschichte Venedigs, denn
er verlegte den Sitz des Gewürzhandels nach Lissabon, und die kürzere
Route über die Landenge von Suez kam nicht weiter in Betracht, weil
es den Portugiesen in kurzer Zeit gelungen war, die Seeherrschaft der
Araber im indischen Ocean zu brechen.

Wohl ist heute die Route über Suez als Seeweg wieder eröffnet,
aber die Handelsstellung von Triest und Genua ist durch günstigere
Eisenbahnverbindungen bedeutender geworden, als die Venedigs. Auch
schwand in Venedig der ehemalige traditionell gewordene Handelsgeist,
der die Grösse der Stadt begründet und durch Jahrhunderte glänzend
aufrecht erhalten hat. Die neueren Generationen der Venezianer nehmen
wenig Interesse am Handel. Sie wenden sich nach Mailand und Florenz
und legen ihr Vermögen in landwirthschaftlichen Unternehmungen an,
die wohl weniger Gewinn abwerfen, dafür aber bei dem in Italien
herrschenden Pachtsysteme auch wenig Arbeit machen. Dem Handel
werden so die nothwendigen Capitalien entzogen, und die Anzahl der
echt venetianischen leistungsfähigen Handelsfirmen vermindert sich
andauernd.

Das heutige Handelsgebiet von Venedig umfasst nur die vene-
tianischen Provinzen und die Romagna; alle Landschaften weiter im
Westen gravitiren nach Genua. Auf die Producte dieses Gebietes
allein aber lässt sich ein belangreicher Ausfuhrhandel nicht gründen.
Bei den geänderten Verhältnissen unserer Zeit, welche sich mit allen
Kräften anstrengt, den Zwischenhandel zu umgehen, musste Venedig
ebenso wie Triest, Genua, Hamburg, kurz alle Continentalhäfen seine
volle Kraft dem Transitohandel zuwenden. Sein Transitohandel leidet
aber zunächst unter den mangelhaften Eisenbahnanschlüssen nach den

Venedig.

Während Marco Polo im fernen Osten weilte, wurde Armenien
von den Venezianern wirthschaftlich vollständig beherrscht; Kaufhäuser
in Beiruth, Damaskus und Aleppo vermittelten den Verkehr mit Persien
und Indien, durch Verträge mit der Mameluckendynastie, welche seit
dem XIII. Jahrhunderte in Egypten mit Kraft herrschte, wurde Ale-
xandrien eine wichtige Station ihres Handels, wohin die Araber auf
dem Seewege durch das rothe Meer und den Nil abwärts die Ge-
würze Indiens brachten, unter denen Pfeffer das wichtigste war.

So fällt der Höhepunkt der Macht Venedigs nicht in den
Anfang des XIII., sondern in das Ende des XIV. Jahrhunderts, wo das
ganze östliche Becken des Mittelmeeres das Colonialreich der Vene-
zianer bildet.

Der Tag, an dem die Portugiesen den Seeweg nach Indien ums
Cap fanden, war der Wendepunkt in der Geschichte Venedigs, denn
er verlegte den Sitz des Gewürzhandels nach Lissabon, und die kürzere
Route über die Landenge von Suez kam nicht weiter in Betracht, weil
es den Portugiesen in kurzer Zeit gelungen war, die Seeherrschaft der
Araber im indischen Ocean zu brechen.

Wohl ist heute die Route über Suez als Seeweg wieder eröffnet,
aber die Handelsstellung von Triest und Genua ist durch günstigere
Eisenbahnverbindungen bedeutender geworden, als die Venedigs. Auch
schwand in Venedig der ehemalige traditionell gewordene Handelsgeist,
der die Grösse der Stadt begründet und durch Jahrhunderte glänzend
aufrecht erhalten hat. Die neueren Generationen der Venezianer nehmen
wenig Interesse am Handel. Sie wenden sich nach Mailand und Florenz
und legen ihr Vermögen in landwirthschaftlichen Unternehmungen an,
die wohl weniger Gewinn abwerfen, dafür aber bei dem in Italien
herrschenden Pachtsysteme auch wenig Arbeit machen. Dem Handel
werden so die nothwendigen Capitalien entzogen, und die Anzahl der
echt venetianischen leistungsfähigen Handelsfirmen vermindert sich
andauernd.

Das heutige Handelsgebiet von Venedig umfasst nur die vene-
tianischen Provinzen und die Romagna; alle Landschaften weiter im
Westen gravitiren nach Genua. Auf die Producte dieses Gebietes
allein aber lässt sich ein belangreicher Ausfuhrhandel nicht gründen.
Bei den geänderten Verhältnissen unserer Zeit, welche sich mit allen
Kräften anstrengt, den Zwischenhandel zu umgehen, musste Venedig
ebenso wie Triest, Genua, Hamburg, kurz alle Continentalhäfen seine
volle Kraft dem Transitohandel zuwenden. Sein Transitohandel leidet
aber zunächst unter den mangelhaften Eisenbahnanschlüssen nach den

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[47/0067] Venedig. Während Marco Polo im fernen Osten weilte, wurde Armenien von den Venezianern wirthschaftlich vollständig beherrscht; Kaufhäuser in Beiruth, Damaskus und Aleppo vermittelten den Verkehr mit Persien und Indien, durch Verträge mit der Mameluckendynastie, welche seit dem XIII. Jahrhunderte in Egypten mit Kraft herrschte, wurde Ale- xandrien eine wichtige Station ihres Handels, wohin die Araber auf dem Seewege durch das rothe Meer und den Nil abwärts die Ge- würze Indiens brachten, unter denen Pfeffer das wichtigste war. So fällt der Höhepunkt der Macht Venedigs nicht in den Anfang des XIII., sondern in das Ende des XIV. Jahrhunderts, wo das ganze östliche Becken des Mittelmeeres das Colonialreich der Vene- zianer bildet. Der Tag, an dem die Portugiesen den Seeweg nach Indien ums Cap fanden, war der Wendepunkt in der Geschichte Venedigs, denn er verlegte den Sitz des Gewürzhandels nach Lissabon, und die kürzere Route über die Landenge von Suez kam nicht weiter in Betracht, weil es den Portugiesen in kurzer Zeit gelungen war, die Seeherrschaft der Araber im indischen Ocean zu brechen. Wohl ist heute die Route über Suez als Seeweg wieder eröffnet, aber die Handelsstellung von Triest und Genua ist durch günstigere Eisenbahnverbindungen bedeutender geworden, als die Venedigs. Auch schwand in Venedig der ehemalige traditionell gewordene Handelsgeist, der die Grösse der Stadt begründet und durch Jahrhunderte glänzend aufrecht erhalten hat. Die neueren Generationen der Venezianer nehmen wenig Interesse am Handel. Sie wenden sich nach Mailand und Florenz und legen ihr Vermögen in landwirthschaftlichen Unternehmungen an, die wohl weniger Gewinn abwerfen, dafür aber bei dem in Italien herrschenden Pachtsysteme auch wenig Arbeit machen. Dem Handel werden so die nothwendigen Capitalien entzogen, und die Anzahl der echt venetianischen leistungsfähigen Handelsfirmen vermindert sich andauernd. Das heutige Handelsgebiet von Venedig umfasst nur die vene- tianischen Provinzen und die Romagna; alle Landschaften weiter im Westen gravitiren nach Genua. Auf die Producte dieses Gebietes allein aber lässt sich ein belangreicher Ausfuhrhandel nicht gründen. Bei den geänderten Verhältnissen unserer Zeit, welche sich mit allen Kräften anstrengt, den Zwischenhandel zu umgehen, musste Venedig ebenso wie Triest, Genua, Hamburg, kurz alle Continentalhäfen seine volle Kraft dem Transitohandel zuwenden. Sein Transitohandel leidet aber zunächst unter den mangelhaften Eisenbahnanschlüssen nach den

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Zitationshilfe: Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen01_1891/67>, abgerufen am 24.11.2024.