tressa oder Peternesse genannter Ort, der noch im Jahre 1800 nicht mehr als 2600 Bewohner hatte, immer mehr sich auszubreiten. Bald war Calais durch die neue Schwesterstadt, die zu imposanter Grösse anwuchs, weit überflügelt, und da die Stadt auf einem ausgedehnten Gebiete angelegt worden, welches ihrer Ausbreitung kein Hinderniss entgegensetzt, so ist unter dem günstigen Einflusse ihrer Lage eine weitere Entwicklung mit Bestimmtheit zu erwarten.
Die Gründung von Calais erfolgte in einer nicht bestimmbaren Zeitperiode. Die geographische Lage der Stadt erklärt es, dass hier die Grafen von Flandern und von Boulogne nacheinander die Herrschaft ausübten. Unter den letzteren er hielt Calais im XII. Jahrhundert die ersten Communalrechte und trat 1303 dem grossen Hansa-Bund bei.
Zu Handelsbedeutung emporgeblüht, lenkte die wichtige Stadt alsbald die begehrlichen Blicke der Engländer auf sich.
Als Eduard III. die französische Armee bei Crecy vernichtet hatte, schritt er zur Belagerung von Calais, während gleichzeitig eine Flotte von 700 Fahr- zeugen der Stadt jede Verbindung mit der See abschnitt. Ein volles Jahr wiesen die Vertheidiger die Angriffe der Engländer heroisch zurück, wurden aber schliess- lich durch die äusserste Noth zur Capitulation gezwungen. Eduard III. begnadigte Calais auf die Fürbitte seiner Frau, doch mussten die Bewohner der Stadt aus- wandern. Englische Colonisten wurden statt ihrer angesiedelt. Eduard III. errichtete in Calais die Etape des laines, ein Entrepot, welches den Wohlstand der Stadt mächtig gefördert hat.
In die Zeit der englischen Herrschaft fällt 1436 der missglückte Versuch des Herzogs Philipp des Kühnen von Burgund, sich der Stadt zu bemeistern. Mehr als ein Jahrhundert später (1558) büssten die Engländer Calais, ihren letzten Besitz auf französischem Boden, wieder ein.
Für kurze Zeit (1596) bemächtigten sich die Spanier der Stadt, bis der Friede von Verviers dieselbe Heinrich IV. zurückgab. In Calais hatte sich am 15. August 1560 Maria Stuart nach dem Tode ihres Bräutigams des Königs Franz II. eingeschifft, um nach Schottland zurückzukehren.
Calais besitzt mit Ausnahme einzelner ehrwürdiger Bauwerke, die in architektonischer Hinsicht von Interesse sind, keine hervor- ragenden Sehenswürdigkeiten. Die Notre Dame-Kirche nächst dem Cours Berthois, der älteste Bau der Stadt, entstand in der Zeit von 1180--1224, wurde aber im XIV. Jahrhundert durch die Engländer einem gründlichen Umbau unterzogen, und trägt noch heute das robuste Gepräge jener Bauperiode zur Schau. Einige Kunstobjecte zieren das Innere der Kirche.
Das Stadthaus an der Place d'Armes ist im Jahre 1740 durch Reconstruction eines 1295 gegründeten Gebäudes entstanden und be- sitzt am rechtsseitigen Ende der Facade einen Uhr- und Glocken- thurm (Beffroi), dessen Obertheil aus einem System von drei über- einander liegenden Ausbauchungen und zahlreichen Seitenthürmchen
Calais.
tressa oder Peternesse genannter Ort, der noch im Jahre 1800 nicht mehr als 2600 Bewohner hatte, immer mehr sich auszubreiten. Bald war Calais durch die neue Schwesterstadt, die zu imposanter Grösse anwuchs, weit überflügelt, und da die Stadt auf einem ausgedehnten Gebiete angelegt worden, welches ihrer Ausbreitung kein Hinderniss entgegensetzt, so ist unter dem günstigen Einflusse ihrer Lage eine weitere Entwicklung mit Bestimmtheit zu erwarten.
Die Gründung von Calais erfolgte in einer nicht bestimmbaren Zeitperiode. Die geographische Lage der Stadt erklärt es, dass hier die Grafen von Flandern und von Boulogne nacheinander die Herrschaft ausübten. Unter den letzteren er hielt Calais im XII. Jahrhundert die ersten Communalrechte und trat 1303 dem grossen Hansa-Bund bei.
Zu Handelsbedeutung emporgeblüht, lenkte die wichtige Stadt alsbald die begehrlichen Blicke der Engländer auf sich.
Als Eduard III. die französische Armee bei Crécy vernichtet hatte, schritt er zur Belagerung von Calais, während gleichzeitig eine Flotte von 700 Fahr- zeugen der Stadt jede Verbindung mit der See abschnitt. Ein volles Jahr wiesen die Vertheidiger die Angriffe der Engländer heroisch zurück, wurden aber schliess- lich durch die äusserste Noth zur Capitulation gezwungen. Eduard III. begnadigte Calais auf die Fürbitte seiner Frau, doch mussten die Bewohner der Stadt aus- wandern. Englische Colonisten wurden statt ihrer angesiedelt. Eduard III. errichtete in Calais die Etape des laines, ein Entrepôt, welches den Wohlstand der Stadt mächtig gefördert hat.
In die Zeit der englischen Herrschaft fällt 1436 der missglückte Versuch des Herzogs Philipp des Kühnen von Burgund, sich der Stadt zu bemeistern. Mehr als ein Jahrhundert später (1558) büssten die Engländer Calais, ihren letzten Besitz auf französischem Boden, wieder ein.
Für kurze Zeit (1596) bemächtigten sich die Spanier der Stadt, bis der Friede von Verviers dieselbe Heinrich IV. zurückgab. In Calais hatte sich am 15. August 1560 Maria Stuart nach dem Tode ihres Bräutigams des Königs Franz II. eingeschifft, um nach Schottland zurückzukehren.
Calais besitzt mit Ausnahme einzelner ehrwürdiger Bauwerke, die in architektonischer Hinsicht von Interesse sind, keine hervor- ragenden Sehenswürdigkeiten. Die Notre Dame-Kirche nächst dem Cours Berthois, der älteste Bau der Stadt, entstand in der Zeit von 1180—1224, wurde aber im XIV. Jahrhundert durch die Engländer einem gründlichen Umbau unterzogen, und trägt noch heute das robuste Gepräge jener Bauperiode zur Schau. Einige Kunstobjecte zieren das Innere der Kirche.
Das Stadthaus an der Place d’Armes ist im Jahre 1740 durch Reconstruction eines 1295 gegründeten Gebäudes entstanden und be- sitzt am rechtsseitigen Ende der Façade einen Uhr- und Glocken- thurm (Beffroi), dessen Obertheil aus einem System von drei über- einander liegenden Ausbauchungen und zahlreichen Seitenthürmchen
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0651"n="631"/><fwplace="top"type="header">Calais.</fw><lb/>
tressa oder Peternesse genannter Ort, der noch im Jahre 1800 nicht<lb/>
mehr als 2600 Bewohner hatte, immer mehr sich auszubreiten. Bald<lb/>
war Calais durch die neue Schwesterstadt, die zu imposanter Grösse<lb/>
anwuchs, weit überflügelt, und da die Stadt auf einem ausgedehnten<lb/>
Gebiete angelegt worden, welches ihrer Ausbreitung kein Hinderniss<lb/>
entgegensetzt, so ist unter dem günstigen Einflusse ihrer Lage eine<lb/>
weitere Entwicklung mit Bestimmtheit zu erwarten.</p><lb/><p>Die Gründung von Calais erfolgte in einer nicht bestimmbaren Zeitperiode.<lb/>
Die geographische Lage der Stadt erklärt es, dass hier die Grafen von Flandern<lb/>
und von Boulogne nacheinander die Herrschaft ausübten. Unter den letzteren er<lb/>
hielt Calais im XII. Jahrhundert die ersten Communalrechte und trat 1303 dem<lb/>
grossen Hansa-Bund bei.</p><lb/><p>Zu Handelsbedeutung emporgeblüht, lenkte die wichtige Stadt alsbald die<lb/>
begehrlichen Blicke der Engländer auf sich.</p><lb/><p>Als Eduard III. die französische Armee bei Crécy vernichtet hatte, schritt<lb/>
er zur Belagerung von Calais, während gleichzeitig eine Flotte von 700 Fahr-<lb/>
zeugen der Stadt jede Verbindung mit der See abschnitt. Ein volles Jahr wiesen<lb/>
die Vertheidiger die Angriffe der Engländer heroisch zurück, wurden aber schliess-<lb/>
lich durch die äusserste Noth zur Capitulation gezwungen. Eduard III. begnadigte<lb/>
Calais auf die Fürbitte seiner Frau, doch mussten die Bewohner der Stadt aus-<lb/>
wandern. Englische Colonisten wurden statt ihrer angesiedelt. Eduard III. errichtete<lb/>
in Calais die Etape des laines, ein Entrepôt, welches den Wohlstand der Stadt<lb/>
mächtig gefördert hat.</p><lb/><p>In die Zeit der englischen Herrschaft fällt 1436 der missglückte Versuch<lb/>
des Herzogs Philipp des Kühnen von Burgund, sich der Stadt zu bemeistern.<lb/>
Mehr als ein Jahrhundert später (1558) büssten die Engländer Calais, ihren letzten<lb/>
Besitz auf französischem Boden, wieder ein.</p><lb/><p>Für kurze Zeit (1596) bemächtigten sich die Spanier der Stadt, bis der<lb/>
Friede von Verviers dieselbe Heinrich IV. zurückgab. In Calais hatte sich am<lb/>
15. August 1560 Maria Stuart nach dem Tode ihres Bräutigams des Königs<lb/>
Franz II. eingeschifft, um nach Schottland zurückzukehren.</p><lb/><p>Calais besitzt mit Ausnahme einzelner ehrwürdiger Bauwerke,<lb/>
die in architektonischer Hinsicht von Interesse sind, keine hervor-<lb/>
ragenden Sehenswürdigkeiten. Die Notre Dame-Kirche nächst dem<lb/>
Cours Berthois, der älteste Bau der Stadt, entstand in der Zeit von<lb/>
1180—1224, wurde aber im XIV. Jahrhundert durch die Engländer<lb/>
einem gründlichen Umbau unterzogen, und trägt noch heute das<lb/>
robuste Gepräge jener Bauperiode zur Schau. Einige Kunstobjecte<lb/>
zieren das Innere der Kirche.</p><lb/><p>Das Stadthaus an der Place d’Armes ist im Jahre 1740 durch<lb/>
Reconstruction eines 1295 gegründeten Gebäudes entstanden und be-<lb/>
sitzt am rechtsseitigen Ende der Façade einen Uhr- und Glocken-<lb/>
thurm (Beffroi), dessen Obertheil aus einem System von drei über-<lb/>
einander liegenden Ausbauchungen und zahlreichen Seitenthürmchen<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[631/0651]
Calais.
tressa oder Peternesse genannter Ort, der noch im Jahre 1800 nicht
mehr als 2600 Bewohner hatte, immer mehr sich auszubreiten. Bald
war Calais durch die neue Schwesterstadt, die zu imposanter Grösse
anwuchs, weit überflügelt, und da die Stadt auf einem ausgedehnten
Gebiete angelegt worden, welches ihrer Ausbreitung kein Hinderniss
entgegensetzt, so ist unter dem günstigen Einflusse ihrer Lage eine
weitere Entwicklung mit Bestimmtheit zu erwarten.
Die Gründung von Calais erfolgte in einer nicht bestimmbaren Zeitperiode.
Die geographische Lage der Stadt erklärt es, dass hier die Grafen von Flandern
und von Boulogne nacheinander die Herrschaft ausübten. Unter den letzteren er
hielt Calais im XII. Jahrhundert die ersten Communalrechte und trat 1303 dem
grossen Hansa-Bund bei.
Zu Handelsbedeutung emporgeblüht, lenkte die wichtige Stadt alsbald die
begehrlichen Blicke der Engländer auf sich.
Als Eduard III. die französische Armee bei Crécy vernichtet hatte, schritt
er zur Belagerung von Calais, während gleichzeitig eine Flotte von 700 Fahr-
zeugen der Stadt jede Verbindung mit der See abschnitt. Ein volles Jahr wiesen
die Vertheidiger die Angriffe der Engländer heroisch zurück, wurden aber schliess-
lich durch die äusserste Noth zur Capitulation gezwungen. Eduard III. begnadigte
Calais auf die Fürbitte seiner Frau, doch mussten die Bewohner der Stadt aus-
wandern. Englische Colonisten wurden statt ihrer angesiedelt. Eduard III. errichtete
in Calais die Etape des laines, ein Entrepôt, welches den Wohlstand der Stadt
mächtig gefördert hat.
In die Zeit der englischen Herrschaft fällt 1436 der missglückte Versuch
des Herzogs Philipp des Kühnen von Burgund, sich der Stadt zu bemeistern.
Mehr als ein Jahrhundert später (1558) büssten die Engländer Calais, ihren letzten
Besitz auf französischem Boden, wieder ein.
Für kurze Zeit (1596) bemächtigten sich die Spanier der Stadt, bis der
Friede von Verviers dieselbe Heinrich IV. zurückgab. In Calais hatte sich am
15. August 1560 Maria Stuart nach dem Tode ihres Bräutigams des Königs
Franz II. eingeschifft, um nach Schottland zurückzukehren.
Calais besitzt mit Ausnahme einzelner ehrwürdiger Bauwerke,
die in architektonischer Hinsicht von Interesse sind, keine hervor-
ragenden Sehenswürdigkeiten. Die Notre Dame-Kirche nächst dem
Cours Berthois, der älteste Bau der Stadt, entstand in der Zeit von
1180—1224, wurde aber im XIV. Jahrhundert durch die Engländer
einem gründlichen Umbau unterzogen, und trägt noch heute das
robuste Gepräge jener Bauperiode zur Schau. Einige Kunstobjecte
zieren das Innere der Kirche.
Das Stadthaus an der Place d’Armes ist im Jahre 1740 durch
Reconstruction eines 1295 gegründeten Gebäudes entstanden und be-
sitzt am rechtsseitigen Ende der Façade einen Uhr- und Glocken-
thurm (Beffroi), dessen Obertheil aus einem System von drei über-
einander liegenden Ausbauchungen und zahlreichen Seitenthürmchen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891, S. 631. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen01_1891/651>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.