derten aber sofort nach England und die Nation verarmte. Denn durch den "Methuen-Vertrag" von 1703 war bestimmt worden, dass portugiesische Weine in England ein Drittel weniger Zoll zahlen sollten als französische, und dass dafür englische Wolle in Portugal zu dem Zollsatze von 15 % eingeführt werde. Infolge dieses Vertrages entwickelte sich übermässig die Weincultur im Norden Portugals zur Plantagenwirtschaft, die den kleinen Grundbesitzer auskaufte, und bald deckte das Land nicht mehr seinen eigenen Bedarf an Fleisch und Brot, und die Erzeugnisse der englischen Industrie überschwemmten Portugal und vernichteten seine Industrie.
An den Zuständen, die dieser Vertrag geschaffen, krankt Portugal heute noch, und nur unter dem Minister Pombal (1750--1777), der mit starker Hand England zurückdrängte, hoben sich wieder Handel, Industrie und Reichthum des Landes und Lissabons.
Aber als 1807 die königliche Familie vor Napoleon nach Rio Janeiro flüchtete, von wo sie erst 1821 zurückkehrte, und Portugal in der Zeit unter einem englischen Landstatthalter stand, wurde das Land neuerdings den englischen Inter- essen dienstbar gemacht. Im Jahre 1822 riss sich Brasilien vom Mutterlande los und fügte dadurch dem Handel Lissabons unendlichen Schaden zu, der erst seit einigen Jahren durch den gesteigerten Verkehr gut gemacht wird, den die Ent- wicklung der portugiesischen Besitzungen in Westafrika mit sich bringt. Denn die Portugiesen erinnern sich wieder der Thaten ihrer Vorfahren und bemühen sich, die wirtschaftlichen Folgen des Methuen-Vertrages zu verwischen. Bei jedem Handelsartikel Lissabons und Oportos ist man gezwungen, den einen oder den anderen dieser beiden Sätze zu berücksichtigen. Aber man darf nicht vergessen, dass die wirtschaftlichen Beziehungen Portugals und England so zahlreich sind, dass eine rasche Aenderung der heutigen Verhältnisse einfach unmöglich ist.
Lissabon ist Portugals erster Hafenplatz; es vermittelt gut die Hälfte des Verkehres des Königreiches und den ganzen Waarenumsatz nach den portugiesischen Colonien. Mehr als zwei Fünftel der Einfuhr, ein Viertel der Ausfuhr fallen auf den Verkehr mit England.
Frankreich behauptet nur in der Ausfuhr den Vorrang vor Deutschland, und das auch nur dann, wenn es viel Wein braucht. In der Einfuhr ist es aber bereits von Deutschland geschlagen, das tüchtige Vertreter in Portugal hat und die Dampferverbindungen da- hin vermehrt, um von dem Streite, der zwischen Portugal und Eng- land wegen der portugiesischen Ansprüche auf das Land am Shire in Ostafrika entbrannt ist, mehr Nutzen zu ziehen als Frankreich. Bedeutend ist auch der Handelsverkehr mit Spanien.
Auch von fremden Ländern ausser Europa sind die Union und das stammverwandte Brasilien hervorzuheben, wohin zahlreiche Portu- giesen auswandern, um dann mit den dort gemachten Ersparnissen in der Heimat ein Weingut zu kaufen.
Der Handel Lissabons (Münzen ausgenommen) betrug in Milreis (1 Mil- reis = fl. 2·225 = 4·45 Reichsmark):
Der atlantische Ocean.
derten aber sofort nach England und die Nation verarmte. Denn durch den „Methuen-Vertrag“ von 1703 war bestimmt worden, dass portugiesische Weine in England ein Drittel weniger Zoll zahlen sollten als französische, und dass dafür englische Wolle in Portugal zu dem Zollsatze von 15 % eingeführt werde. Infolge dieses Vertrages entwickelte sich übermässig die Weincultur im Norden Portugals zur Plantagenwirtschaft, die den kleinen Grundbesitzer auskaufte, und bald deckte das Land nicht mehr seinen eigenen Bedarf an Fleisch und Brot, und die Erzeugnisse der englischen Industrie überschwemmten Portugal und vernichteten seine Industrie.
An den Zuständen, die dieser Vertrag geschaffen, krankt Portugal heute noch, und nur unter dem Minister Pombal (1750—1777), der mit starker Hand England zurückdrängte, hoben sich wieder Handel, Industrie und Reichthum des Landes und Lissabons.
Aber als 1807 die königliche Familie vor Napoleon nach Rio Janeiro flüchtete, von wo sie erst 1821 zurückkehrte, und Portugal in der Zeit unter einem englischen Landstatthalter stand, wurde das Land neuerdings den englischen Inter- essen dienstbar gemacht. Im Jahre 1822 riss sich Brasilien vom Mutterlande los und fügte dadurch dem Handel Lissabons unendlichen Schaden zu, der erst seit einigen Jahren durch den gesteigerten Verkehr gut gemacht wird, den die Ent- wicklung der portugiesischen Besitzungen in Westafrika mit sich bringt. Denn die Portugiesen erinnern sich wieder der Thaten ihrer Vorfahren und bemühen sich, die wirtschaftlichen Folgen des Methuen-Vertrages zu verwischen. Bei jedem Handelsartikel Lissabons und Oportos ist man gezwungen, den einen oder den anderen dieser beiden Sätze zu berücksichtigen. Aber man darf nicht vergessen, dass die wirtschaftlichen Beziehungen Portugals und England so zahlreich sind, dass eine rasche Aenderung der heutigen Verhältnisse einfach unmöglich ist.
Lissabon ist Portugals erster Hafenplatz; es vermittelt gut die Hälfte des Verkehres des Königreiches und den ganzen Waarenumsatz nach den portugiesischen Colonien. Mehr als zwei Fünftel der Einfuhr, ein Viertel der Ausfuhr fallen auf den Verkehr mit England.
Frankreich behauptet nur in der Ausfuhr den Vorrang vor Deutschland, und das auch nur dann, wenn es viel Wein braucht. In der Einfuhr ist es aber bereits von Deutschland geschlagen, das tüchtige Vertreter in Portugal hat und die Dampferverbindungen da- hin vermehrt, um von dem Streite, der zwischen Portugal und Eng- land wegen der portugiesischen Ansprüche auf das Land am Shire in Ostafrika entbrannt ist, mehr Nutzen zu ziehen als Frankreich. Bedeutend ist auch der Handelsverkehr mit Spanien.
Auch von fremden Ländern ausser Europa sind die Union und das stammverwandte Brasilien hervorzuheben, wohin zahlreiche Portu- giesen auswandern, um dann mit den dort gemachten Ersparnissen in der Heimat ein Weingut zu kaufen.
Der Handel Lissabons (Münzen ausgenommen) betrug in Milreïs (1 Mil- reïs = fl. 2·225 = 4·45 Reichsmark):
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Der atlantische Ocean.
derten aber sofort nach England und die Nation verarmte. Denn durch den
„Methuen-Vertrag“ von 1703 war bestimmt worden, dass portugiesische Weine in
England ein Drittel weniger Zoll zahlen sollten als französische, und dass dafür
englische Wolle in Portugal zu dem Zollsatze von 15 % eingeführt werde. Infolge
dieses Vertrages entwickelte sich übermässig die Weincultur im Norden Portugals
zur Plantagenwirtschaft, die den kleinen Grundbesitzer auskaufte, und bald
deckte das Land nicht mehr seinen eigenen Bedarf an Fleisch und Brot, und die
Erzeugnisse der englischen Industrie überschwemmten Portugal und vernichteten
seine Industrie.
An den Zuständen, die dieser Vertrag geschaffen, krankt Portugal heute
noch, und nur unter dem Minister Pombal (1750—1777), der mit starker Hand
England zurückdrängte, hoben sich wieder Handel, Industrie und Reichthum des
Landes und Lissabons.
Aber als 1807 die königliche Familie vor Napoleon nach Rio Janeiro
flüchtete, von wo sie erst 1821 zurückkehrte, und Portugal in der Zeit unter einem
englischen Landstatthalter stand, wurde das Land neuerdings den englischen Inter-
essen dienstbar gemacht. Im Jahre 1822 riss sich Brasilien vom Mutterlande los
und fügte dadurch dem Handel Lissabons unendlichen Schaden zu, der erst seit
einigen Jahren durch den gesteigerten Verkehr gut gemacht wird, den die Ent-
wicklung der portugiesischen Besitzungen in Westafrika mit sich bringt. Denn die
Portugiesen erinnern sich wieder der Thaten ihrer Vorfahren und bemühen sich,
die wirtschaftlichen Folgen des Methuen-Vertrages zu verwischen. Bei jedem
Handelsartikel Lissabons und Oportos ist man gezwungen, den einen oder den
anderen dieser beiden Sätze zu berücksichtigen. Aber man darf nicht vergessen, dass
die wirtschaftlichen Beziehungen Portugals und England so zahlreich sind, dass
eine rasche Aenderung der heutigen Verhältnisse einfach unmöglich ist.
Lissabon ist Portugals erster Hafenplatz; es vermittelt gut die
Hälfte des Verkehres des Königreiches und den ganzen Waarenumsatz
nach den portugiesischen Colonien. Mehr als zwei Fünftel der Einfuhr,
ein Viertel der Ausfuhr fallen auf den Verkehr mit England.
Frankreich behauptet nur in der Ausfuhr den Vorrang vor
Deutschland, und das auch nur dann, wenn es viel Wein braucht. In
der Einfuhr ist es aber bereits von Deutschland geschlagen, das
tüchtige Vertreter in Portugal hat und die Dampferverbindungen da-
hin vermehrt, um von dem Streite, der zwischen Portugal und Eng-
land wegen der portugiesischen Ansprüche auf das Land am Shire
in Ostafrika entbrannt ist, mehr Nutzen zu ziehen als Frankreich.
Bedeutend ist auch der Handelsverkehr mit Spanien.
Auch von fremden Ländern ausser Europa sind die Union und
das stammverwandte Brasilien hervorzuheben, wohin zahlreiche Portu-
giesen auswandern, um dann mit den dort gemachten Ersparnissen in
der Heimat ein Weingut zu kaufen.
Der Handel Lissabons (Münzen ausgenommen) betrug in Milreïs (1 Mil-
reïs = fl. 2·225 = 4·45 Reichsmark):
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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891, S. 538. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen01_1891/558>, abgerufen am 22.11.2024.
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