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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891.

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Der atlantische Ocean.

Bis zu den Ufern von Sevilla ist der Pulsschlag der Meeres,
die Ebbe und Flut, fühlbar, und beträgt der Niveau-Unterschied
des Wassers 1·7 bis 2 m, während er an der Mündung des Guadal-
quivir 3·7 bis 4 m erreicht. Die nach je 6 Stunden wechselnde
Gezeitenströmung erleichtert die Schiffahrt auf der über 85 km langen
Flussstrecke sehr wesentlich.

Aber so friedlich und malerisch das Hafenbild unter gewöhn-
lichen Verhältnissen erscheint, ebenso düster wird es bei Hochwässern,
die jährlich im Herbste einzutreten pflegen und die Quais und An-
lagen überschwemmen. Gegen die Wuth des daherstürzenden Wassers
vermögen die Schiffe kaum sich zu erhalten. Eine der furchtbarsten
Ueberschwemmungen, welche die ganze Umgebung von Sevilla ver-
wüstete, war jene des Jahres 1876, wobei der Fluss 9 m über
den höchsten Stand der Springflut aufschwoll und viele Schiffe
strandeten.

Als Julius Cäsar am 9. August 45 v. Chr. Herr von Sevilla geworden war.
verpflanzte er das römische Leben dahin, und kann als zweiter Begründer der
Stadt angesehen werden, wenngleich er das punische Wesen der Bevölkerung
nicht zu verwischen vermochte. Er nannte die Stadt Julia Romula, das heisst
Klein-Rom und machte sie zum Sitze der Gerichtsbarkeit.

Aber der Glanz wurde in der Kaiserzeit verdunkelt durch das benachbarte
Italica, die Geburtsstadt der Kaiser Trajan, Hadrian und Theodosius.

Später machten die Gothen Sevilla zum Hauptort ihrer Herrschaft, bis im
VI. Jahrhundert Leovigild seine Residenz in dem centraler gelegenen Toledo
aufschlug. In den Religionskriegen jener fernen Zeit waren die Brüder San
Laureano und San Isidoro nach einander Erzbischöfe von Sevilla und kriegs-
kundige Heerführer. Heute werden sie als Schutzpatrone der Stadt verehrt.

Schon in uralter Zeit mit Wällen umgeben, die noch heute einen festen
Gürtel bilden, fiel die Stadt dennoch rasch in die Hände der Mauren, als Don
Rodrick am Guadalete geschlagen war. Die Witwe des enthronten Monarchen
heiratete bald darauf den Sohn Abdul Aziz, des Eroberers Musa-Ibn-Nosseir.
Sevilla blieb bis 756 unter dem Khalifen von Damaskus, und als die Omajaden
das glanzvolle Khalifat von Cordoba errichteten, war es diesem unterthan, bis die
Dynastie 1009 erlosch. Als hier seit 1091 die Almoraviden und die Almohaden
residirten, wurde Sevilla die blühendste und reichste Stadt der Halbinsel und
zählte 400.000 Einwohner. Doch am 28. November 1248 wurde die Capitulation
unterzeichnet, durch welche die Christen unter St. Ferdinand, dem König von
Bon und Castilien, in den Besitz der Stadt kamen.

Der letzte Sultan Sidi Abdul Hassan schiffte sich nach Afrika ein, und bei
300.000 maurische Einwohner verliessen die Stadt und siedelten sich in Granada
an. So verödete die Stadt, trotzdem sie Alonso el Sabio, der Sohn des Eroberers,
mit Privilegien bedachte und wieder zur Residenz machte, was sie blieb, bis
Karl V. den Hof nach Valladolid verlegte. Erst die Entdeckung Amerikas erfüllte
Sevilla wieder mit Glanz und Reichthum.


Der atlantische Ocean.

Bis zu den Ufern von Sevilla ist der Pulsschlag der Meeres,
die Ebbe und Flut, fühlbar, und beträgt der Niveau-Unterschied
des Wassers 1·7 bis 2 m, während er an der Mündung des Guadal-
quivir 3·7 bis 4 m erreicht. Die nach je 6 Stunden wechselnde
Gezeitenströmung erleichtert die Schiffahrt auf der über 85 km langen
Flussstrecke sehr wesentlich.

Aber so friedlich und malerisch das Hafenbild unter gewöhn-
lichen Verhältnissen erscheint, ebenso düster wird es bei Hochwässern,
die jährlich im Herbste einzutreten pflegen und die Quais und An-
lagen überschwemmen. Gegen die Wuth des daherstürzenden Wassers
vermögen die Schiffe kaum sich zu erhalten. Eine der furchtbarsten
Ueberschwemmungen, welche die ganze Umgebung von Sevilla ver-
wüstete, war jene des Jahres 1876, wobei der Fluss 9 m über
den höchsten Stand der Springflut aufschwoll und viele Schiffe
strandeten.

Als Julius Cäsar am 9. August 45 v. Chr. Herr von Sevilla geworden war.
verpflanzte er das römische Leben dahin, und kann als zweiter Begründer der
Stadt angesehen werden, wenngleich er das punische Wesen der Bevölkerung
nicht zu verwischen vermochte. Er nannte die Stadt Julia Romula, das heisst
Klein-Rom und machte sie zum Sitze der Gerichtsbarkeit.

Aber der Glanz wurde in der Kaiserzeit verdunkelt durch das benachbarte
Itálica, die Geburtsstadt der Kaiser Trajan, Hadrian und Theodosius.

Später machten die Gothen Sevilla zum Hauptort ihrer Herrschaft, bis im
VI. Jahrhundert Leovigild seine Residenz in dem centraler gelegenen Toledo
aufschlug. In den Religionskriegen jener fernen Zeit waren die Brüder San
Laureano und San Isidoro nach einander Erzbischöfe von Sevilla und kriegs-
kundige Heerführer. Heute werden sie als Schutzpatrone der Stadt verehrt.

Schon in uralter Zeit mit Wällen umgeben, die noch heute einen festen
Gürtel bilden, fiel die Stadt dennoch rasch in die Hände der Mauren, als Don
Rodrick am Guadalete geschlagen war. Die Witwe des enthronten Monarchen
heiratete bald darauf den Sohn Abdul Aziz, des Eroberers Musa-Ibn-Nosseir.
Sevilla blieb bis 756 unter dem Khalifen von Damaskus, und als die Omajaden
das glanzvolle Khalifat von Cordoba errichteten, war es diesem unterthan, bis die
Dynastie 1009 erlosch. Als hier seit 1091 die Almoraviden und die Almohaden
residirten, wurde Sevilla die blühendste und reichste Stadt der Halbinsel und
zählte 400.000 Einwohner. Doch am 28. November 1248 wurde die Capitulation
unterzeichnet, durch welche die Christen unter St. Ferdinand, dem König von
Bon und Castilien, in den Besitz der Stadt kamen.

Der letzte Sultan Sidi Abdul Hassan schiffte sich nach Afrika ein, und bei
300.000 maurische Einwohner verliessen die Stadt und siedelten sich in Granada
an. So verödete die Stadt, trotzdem sie Alonso el Sabio, der Sohn des Eroberers,
mit Privilegien bedachte und wieder zur Residenz machte, was sie blieb, bis
Karl V. den Hof nach Valladolid verlegte. Erst die Entdeckung Amerikas erfüllte
Sevilla wieder mit Glanz und Reichthum.


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[510/0530] Der atlantische Ocean. Bis zu den Ufern von Sevilla ist der Pulsschlag der Meeres, die Ebbe und Flut, fühlbar, und beträgt der Niveau-Unterschied des Wassers 1·7 bis 2 m, während er an der Mündung des Guadal- quivir 3·7 bis 4 m erreicht. Die nach je 6 Stunden wechselnde Gezeitenströmung erleichtert die Schiffahrt auf der über 85 km langen Flussstrecke sehr wesentlich. Aber so friedlich und malerisch das Hafenbild unter gewöhn- lichen Verhältnissen erscheint, ebenso düster wird es bei Hochwässern, die jährlich im Herbste einzutreten pflegen und die Quais und An- lagen überschwemmen. Gegen die Wuth des daherstürzenden Wassers vermögen die Schiffe kaum sich zu erhalten. Eine der furchtbarsten Ueberschwemmungen, welche die ganze Umgebung von Sevilla ver- wüstete, war jene des Jahres 1876, wobei der Fluss 9 m über den höchsten Stand der Springflut aufschwoll und viele Schiffe strandeten. Als Julius Cäsar am 9. August 45 v. Chr. Herr von Sevilla geworden war. verpflanzte er das römische Leben dahin, und kann als zweiter Begründer der Stadt angesehen werden, wenngleich er das punische Wesen der Bevölkerung nicht zu verwischen vermochte. Er nannte die Stadt Julia Romula, das heisst Klein-Rom und machte sie zum Sitze der Gerichtsbarkeit. Aber der Glanz wurde in der Kaiserzeit verdunkelt durch das benachbarte Itálica, die Geburtsstadt der Kaiser Trajan, Hadrian und Theodosius. Später machten die Gothen Sevilla zum Hauptort ihrer Herrschaft, bis im VI. Jahrhundert Leovigild seine Residenz in dem centraler gelegenen Toledo aufschlug. In den Religionskriegen jener fernen Zeit waren die Brüder San Laureano und San Isidoro nach einander Erzbischöfe von Sevilla und kriegs- kundige Heerführer. Heute werden sie als Schutzpatrone der Stadt verehrt. Schon in uralter Zeit mit Wällen umgeben, die noch heute einen festen Gürtel bilden, fiel die Stadt dennoch rasch in die Hände der Mauren, als Don Rodrick am Guadalete geschlagen war. Die Witwe des enthronten Monarchen heiratete bald darauf den Sohn Abdul Aziz, des Eroberers Musa-Ibn-Nosseir. Sevilla blieb bis 756 unter dem Khalifen von Damaskus, und als die Omajaden das glanzvolle Khalifat von Cordoba errichteten, war es diesem unterthan, bis die Dynastie 1009 erlosch. Als hier seit 1091 die Almoraviden und die Almohaden residirten, wurde Sevilla die blühendste und reichste Stadt der Halbinsel und zählte 400.000 Einwohner. Doch am 28. November 1248 wurde die Capitulation unterzeichnet, durch welche die Christen unter St. Ferdinand, dem König von Bon und Castilien, in den Besitz der Stadt kamen. Der letzte Sultan Sidi Abdul Hassan schiffte sich nach Afrika ein, und bei 300.000 maurische Einwohner verliessen die Stadt und siedelten sich in Granada an. So verödete die Stadt, trotzdem sie Alonso el Sabio, der Sohn des Eroberers, mit Privilegien bedachte und wieder zur Residenz machte, was sie blieb, bis Karl V. den Hof nach Valladolid verlegte. Erst die Entdeckung Amerikas erfüllte Sevilla wieder mit Glanz und Reichthum.

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Zitationshilfe: Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891, S. 510. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen01_1891/530>, abgerufen am 16.07.2024.