"An die Hochebene schliesst sich ein tiefes Thal, begrenzt von lothrechten Felsen; ein rauschender Bach durchschneidet mit seinem klaren Gewässer die grünen Wiesen üppigster Vegetation. Es ist der Barada, der im Gegensatze zu den meisten Flüssen des Orients nie versiegt; er bildet in seinem reissenden Lauf viele kleine Wasserfälle. Dem Flusse folgend, gelangen wir zum Dorfe Damar, dessen Lage bezaubernd ist. Einen besonderen Reiz gewähren die mit Schling- pflanzen bedeckten Landhäuser, welche inmitten blumenreicher Gärten stehen. Die Schlucht, welche das Thal abschliesst, und die öden Wüstengebirge verlassend, gelangen wir in die weite Ebene, von wel- cher wir ein wunderbares Bild vor Augen haben. Ein blühender Wall von Obstbäumen verbirgt uns noch die vielgepriesene Stadt. Aus dem goldigen Duft, welcher darüber liegt, ragen die vielen schlanken Minarets und die Kuppeln der Moscheen, welche uns die Nähe von Damaskus verkünden. Mit Recht nennt der begeisterte Dichter diese Stadt die ,Perle des Orients'. Nun durchfahren wir den Wald, der leider noch nicht in seiner vollen Schönheit prangt, denn noch fehlt den Bäumen der Schmuck des Laubes, aber aus dem dunklen Geäste schimmern die Tausend und aber Tausend rosigen Blüthen der Aprikosen, gemengt mit jenen der Mandelbäume. Je mehr wir uns der Stadt näherten, desto belebter wurde die Strasse, auf welcher eine bunte Menschenmenge wogte. Equipagen rollen an uns vorüber, Reiter tummeln sich auf prächtigen Pferden und zahllose Fussgänger, Männer wie Frauen, umgeben unsere Wägen und scheinen sich, an den Ufern des Barada promenirend, des heiteren schönen Abends zu erfreuen.
"Gegen 5 Uhr, an aufgestellten Truppen vorbei, durch das lär- mende Gewühl der Menschenschaar hindurch, überschreiten wir den Fluss und erreichen nach zweitägiger Fahrt unser Quartier, das Hotel Victoria, dessen Besitzer Pietro Paulovich aus Macarsca in Dalmatien gebürtig ist. Das Hotel ist ein einfaches, sauber gehaltenes zwei- stöckiges Gebäude, welches bequeme Räumlichkeiten hat, darunter einen grossen Saal, den gewöhnlichen Aufenthaltsort der Gäste. Von diesem gelangt man auf einen Balcon, wo wir uns am ersten Abend aufhielten, um das Leben auf Strasse und Brücke zu beobachten, während die Herren noch einen Rundgang durch die Stadt machten. Unter unseren Fenstern wogte und lärmte ein buntes Durcheinander von Menschen verschiedener Nationen und Racen, deren fremdartiges Aussehen den Abendländer immer von Neuem anzieht.
"So befanden wir uns also in der uralten Stadt Damaskus,
Beirut.
„An die Hochebene schliesst sich ein tiefes Thal, begrenzt von lothrechten Felsen; ein rauschender Bach durchschneidet mit seinem klaren Gewässer die grünen Wiesen üppigster Vegetation. Es ist der Barada, der im Gegensatze zu den meisten Flüssen des Orients nie versiegt; er bildet in seinem reissenden Lauf viele kleine Wasserfälle. Dem Flusse folgend, gelangen wir zum Dorfe Damar, dessen Lage bezaubernd ist. Einen besonderen Reiz gewähren die mit Schling- pflanzen bedeckten Landhäuser, welche inmitten blumenreicher Gärten stehen. Die Schlucht, welche das Thal abschliesst, und die öden Wüstengebirge verlassend, gelangen wir in die weite Ebene, von wel- cher wir ein wunderbares Bild vor Augen haben. Ein blühender Wall von Obstbäumen verbirgt uns noch die vielgepriesene Stadt. Aus dem goldigen Duft, welcher darüber liegt, ragen die vielen schlanken Minarets und die Kuppeln der Moscheen, welche uns die Nähe von Damaskus verkünden. Mit Recht nennt der begeisterte Dichter diese Stadt die ‚Perle des Orients‘. Nun durchfahren wir den Wald, der leider noch nicht in seiner vollen Schönheit prangt, denn noch fehlt den Bäumen der Schmuck des Laubes, aber aus dem dunklen Geäste schimmern die Tausend und aber Tausend rosigen Blüthen der Aprikosen, gemengt mit jenen der Mandelbäume. Je mehr wir uns der Stadt näherten, desto belebter wurde die Strasse, auf welcher eine bunte Menschenmenge wogte. Equipagen rollen an uns vorüber, Reiter tummeln sich auf prächtigen Pferden und zahllose Fussgänger, Männer wie Frauen, umgeben unsere Wägen und scheinen sich, an den Ufern des Barada promenirend, des heiteren schönen Abends zu erfreuen.
„Gegen 5 Uhr, an aufgestellten Truppen vorbei, durch das lär- mende Gewühl der Menschenschaar hindurch, überschreiten wir den Fluss und erreichen nach zweitägiger Fahrt unser Quartier, das Hôtel Victoria, dessen Besitzer Pietro Paulovich aus Macarsca in Dalmatien gebürtig ist. Das Hôtel ist ein einfaches, sauber gehaltenes zwei- stöckiges Gebäude, welches bequeme Räumlichkeiten hat, darunter einen grossen Saal, den gewöhnlichen Aufenthaltsort der Gäste. Von diesem gelangt man auf einen Balcon, wo wir uns am ersten Abend aufhielten, um das Leben auf Strasse und Brücke zu beobachten, während die Herren noch einen Rundgang durch die Stadt machten. Unter unseren Fenstern wogte und lärmte ein buntes Durcheinander von Menschen verschiedener Nationen und Racen, deren fremdartiges Aussehen den Abendländer immer von Neuem anzieht.
„So befanden wir uns also in der uralten Stadt Damaskus,
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Beirut.
„An die Hochebene schliesst sich ein tiefes Thal, begrenzt von
lothrechten Felsen; ein rauschender Bach durchschneidet mit seinem
klaren Gewässer die grünen Wiesen üppigster Vegetation. Es ist der
Barada, der im Gegensatze zu den meisten Flüssen des Orients nie
versiegt; er bildet in seinem reissenden Lauf viele kleine Wasserfälle.
Dem Flusse folgend, gelangen wir zum Dorfe Damar, dessen Lage
bezaubernd ist. Einen besonderen Reiz gewähren die mit Schling-
pflanzen bedeckten Landhäuser, welche inmitten blumenreicher Gärten
stehen. Die Schlucht, welche das Thal abschliesst, und die öden
Wüstengebirge verlassend, gelangen wir in die weite Ebene, von wel-
cher wir ein wunderbares Bild vor Augen haben. Ein blühender
Wall von Obstbäumen verbirgt uns noch die vielgepriesene Stadt.
Aus dem goldigen Duft, welcher darüber liegt, ragen die vielen
schlanken Minarets und die Kuppeln der Moscheen, welche uns die
Nähe von Damaskus verkünden. Mit Recht nennt der begeisterte
Dichter diese Stadt die ‚Perle des Orients‘. Nun durchfahren wir den
Wald, der leider noch nicht in seiner vollen Schönheit prangt, denn
noch fehlt den Bäumen der Schmuck des Laubes, aber aus dem dunklen
Geäste schimmern die Tausend und aber Tausend rosigen Blüthen
der Aprikosen, gemengt mit jenen der Mandelbäume. Je mehr wir
uns der Stadt näherten, desto belebter wurde die Strasse, auf welcher
eine bunte Menschenmenge wogte. Equipagen rollen an uns vorüber,
Reiter tummeln sich auf prächtigen Pferden und zahllose Fussgänger,
Männer wie Frauen, umgeben unsere Wägen und scheinen sich, an
den Ufern des Barada promenirend, des heiteren schönen Abends zu
erfreuen.
„Gegen 5 Uhr, an aufgestellten Truppen vorbei, durch das lär-
mende Gewühl der Menschenschaar hindurch, überschreiten wir den
Fluss und erreichen nach zweitägiger Fahrt unser Quartier, das Hôtel
Victoria, dessen Besitzer Pietro Paulovich aus Macarsca in Dalmatien
gebürtig ist. Das Hôtel ist ein einfaches, sauber gehaltenes zwei-
stöckiges Gebäude, welches bequeme Räumlichkeiten hat, darunter
einen grossen Saal, den gewöhnlichen Aufenthaltsort der Gäste. Von
diesem gelangt man auf einen Balcon, wo wir uns am ersten Abend
aufhielten, um das Leben auf Strasse und Brücke zu beobachten,
während die Herren noch einen Rundgang durch die Stadt machten.
Unter unseren Fenstern wogte und lärmte ein buntes Durcheinander
von Menschen verschiedener Nationen und Racen, deren fremdartiges
Aussehen den Abendländer immer von Neuem anzieht.
„So befanden wir uns also in der uralten Stadt Damaskus,
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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891, S. 239. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen01_1891/259>, abgerufen am 22.11.2024.
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