Zeit unterbrochen durch tiefliegende Thäler, deren reizende Landschaften hier unser Auge doppelt erfreuen und überraschen. Zwischen diesen grossartigen Felsmassen erwartet man nicht, belebte, meist von Maro- niten bewohnte Dörfer zu sehen, vor denen sich grüne Matten er- strecken, durchzogen von sprudelnden Gebirgsbächen. Der Gouverneur des Libanon scheint grosse Summen auf die Instandhaltung der Strasse zu verwenden, denn letztere ist trotz der grossen Schwierigkeiten, welche das steinige Terrain verursacht, mit vieler Sorgfalt gehalten. Für den Handel ist sie sehr wichtig als eines der wenigen Verkehrs- mittel zwischen den syrischen Hafenstädten und Damaskus.
"Nach den ersten Stationen, wo wir uns nur kurz aufhielten, um Pferde zu wechseln oder sie ausruhen zu lassen, entfaltete sich das Panorama bei jeder Biegung des immer mehr ansteigenden Weges herrlicher. Tief unten schimmerte uns das blaue Meer und Beirut ent- gegen, umsäumt von den im Nebel fast verschwindenden Ufern. Nach einer fünfstündigen Fahrt liess uns der treffliche Reiseunternehmer Howard an einem schönen Anssichtspunkte halten, um das gut be- reitete Frühstück serviren zu lassen, welches wir in einem Zelte ein- nahmen.
"Bald wurde aufgebrochen; wir nähern uns grossen Schneefel- dern, die sich bis hart an die Strasse erstrecken, welche ziemlich einsam ist. Nur selten ziehen schwer beladene Maulthier- und Kameel- karawanen, gewöhnlich von Maroniten geführt und bewacht, an uns vor- über. Diese Einwohner des Libanon sind Christen und gehören der katho- lischen Kirche an. Eigenthümlich ist es, bei diesen in orientalischer Tracht gekleideten Leuten blonde Haare, blaue Augen, gerade Züge und trotzdem auffallend semitischen Ausdruck zu finden. Ihre Sprache ist gegenwärtig die arabische, denn die maronitische ist nur mehr in Kirchenbüchern anzutreffen. Mit den Drusen und Metualis bilden die Maroniten die einzige Bevölkerung des Libanon, sind aber harmloser als die ersteren, deren wildes Wesen allgemein gefürchtet ist.
"Wir hatten kaum den Kamm des Gebirges erreicht, als plötz- lich eine interessante Erscheinung auftauchte. An uns vorbei schreitet eine hohe Gestalt mit majestätisch erhobenem Kopfe, dessen wunder- bare Züge uns mächtig anziehen. Man liest die Verachtung darin, welcher der Träger derselben gegen die Christen hegt; aus dem düsteren Ausdruck der dunklen Augen leuchtet der Fanatismus des eingefleischten Moslims entgegen. Es ist Scheich Sali, ein frommer Derwisch aus Damaskus, welcher im Jahre 1877 in den Reihen seiner Glaubensgenossen tapfer gegen die Russen kämpfte.
Das Mittelmeerbecken.
Zeit unterbrochen durch tiefliegende Thäler, deren reizende Landschaften hier unser Auge doppelt erfreuen und überraschen. Zwischen diesen grossartigen Felsmassen erwartet man nicht, belebte, meist von Maro- niten bewohnte Dörfer zu sehen, vor denen sich grüne Matten er- strecken, durchzogen von sprudelnden Gebirgsbächen. Der Gouverneur des Libanon scheint grosse Summen auf die Instandhaltung der Strasse zu verwenden, denn letztere ist trotz der grossen Schwierigkeiten, welche das steinige Terrain verursacht, mit vieler Sorgfalt gehalten. Für den Handel ist sie sehr wichtig als eines der wenigen Verkehrs- mittel zwischen den syrischen Hafenstädten und Damaskus.
„Nach den ersten Stationen, wo wir uns nur kurz aufhielten, um Pferde zu wechseln oder sie ausruhen zu lassen, entfaltete sich das Panorama bei jeder Biegung des immer mehr ansteigenden Weges herrlicher. Tief unten schimmerte uns das blaue Meer und Beirut ent- gegen, umsäumt von den im Nebel fast verschwindenden Ufern. Nach einer fünfstündigen Fahrt liess uns der treffliche Reiseunternehmer Howard an einem schönen Anssichtspunkte halten, um das gut be- reitete Frühstück serviren zu lassen, welches wir in einem Zelte ein- nahmen.
„Bald wurde aufgebrochen; wir nähern uns grossen Schneefel- dern, die sich bis hart an die Strasse erstrecken, welche ziemlich einsam ist. Nur selten ziehen schwer beladene Maulthier- und Kameel- karawanen, gewöhnlich von Maroniten geführt und bewacht, an uns vor- über. Diese Einwohner des Libanon sind Christen und gehören der katho- lischen Kirche an. Eigenthümlich ist es, bei diesen in orientalischer Tracht gekleideten Leuten blonde Haare, blaue Augen, gerade Züge und trotzdem auffallend semitischen Ausdruck zu finden. Ihre Sprache ist gegenwärtig die arabische, denn die maronitische ist nur mehr in Kirchenbüchern anzutreffen. Mit den Drusen und Metualis bilden die Maroniten die einzige Bevölkerung des Libanon, sind aber harmloser als die ersteren, deren wildes Wesen allgemein gefürchtet ist.
„Wir hatten kaum den Kamm des Gebirges erreicht, als plötz- lich eine interessante Erscheinung auftauchte. An uns vorbei schreitet eine hohe Gestalt mit majestätisch erhobenem Kopfe, dessen wunder- bare Züge uns mächtig anziehen. Man liest die Verachtung darin, welcher der Träger derselben gegen die Christen hegt; aus dem düsteren Ausdruck der dunklen Augen leuchtet der Fanatismus des eingefleischten Moslims entgegen. Es ist Scheich Sali, ein frommer Derwisch aus Damaskus, welcher im Jahre 1877 in den Reihen seiner Glaubensgenossen tapfer gegen die Russen kämpfte.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0256"n="236"/><fwplace="top"type="header">Das Mittelmeerbecken.</fw><lb/>
Zeit unterbrochen durch tiefliegende Thäler, deren reizende Landschaften<lb/>
hier unser Auge doppelt erfreuen und überraschen. Zwischen diesen<lb/>
grossartigen Felsmassen erwartet man nicht, belebte, meist von Maro-<lb/>
niten bewohnte Dörfer zu sehen, vor denen sich grüne Matten er-<lb/>
strecken, durchzogen von sprudelnden Gebirgsbächen. Der Gouverneur<lb/>
des Libanon scheint grosse Summen auf die Instandhaltung der Strasse<lb/>
zu verwenden, denn letztere ist trotz der grossen Schwierigkeiten,<lb/>
welche das steinige Terrain verursacht, mit vieler Sorgfalt gehalten.<lb/>
Für den Handel ist sie sehr wichtig als eines der wenigen Verkehrs-<lb/>
mittel zwischen den syrischen Hafenstädten und Damaskus.</p><lb/><p>„Nach den ersten Stationen, wo wir uns nur kurz aufhielten, um<lb/>
Pferde zu wechseln oder sie ausruhen zu lassen, entfaltete sich das<lb/>
Panorama bei jeder Biegung des immer mehr ansteigenden Weges<lb/>
herrlicher. Tief unten schimmerte uns das blaue Meer und Beirut ent-<lb/>
gegen, umsäumt von den im Nebel fast verschwindenden Ufern. Nach<lb/>
einer fünfstündigen Fahrt liess uns der treffliche Reiseunternehmer<lb/>
Howard an einem schönen Anssichtspunkte halten, um das gut be-<lb/>
reitete Frühstück serviren zu lassen, welches wir in einem Zelte ein-<lb/>
nahmen.</p><lb/><p>„Bald wurde aufgebrochen; wir nähern uns grossen Schneefel-<lb/>
dern, die sich bis hart an die Strasse erstrecken, welche ziemlich<lb/>
einsam ist. Nur selten ziehen schwer beladene Maulthier- und Kameel-<lb/>
karawanen, gewöhnlich von Maroniten geführt und bewacht, an uns vor-<lb/>
über. Diese Einwohner des Libanon sind Christen und gehören der katho-<lb/>
lischen Kirche an. Eigenthümlich ist es, bei diesen in orientalischer<lb/>
Tracht gekleideten Leuten blonde Haare, blaue Augen, gerade Züge<lb/>
und trotzdem auffallend semitischen Ausdruck zu finden. Ihre Sprache<lb/>
ist gegenwärtig die arabische, denn die maronitische ist nur mehr in<lb/>
Kirchenbüchern anzutreffen. Mit den Drusen und Metualis bilden die<lb/>
Maroniten die einzige Bevölkerung des Libanon, sind aber harmloser<lb/>
als die ersteren, deren wildes Wesen allgemein gefürchtet ist.</p><lb/><p>„Wir hatten kaum den Kamm des Gebirges erreicht, als plötz-<lb/>
lich eine interessante Erscheinung auftauchte. An uns vorbei schreitet<lb/>
eine hohe Gestalt mit majestätisch erhobenem Kopfe, dessen wunder-<lb/>
bare Züge uns mächtig anziehen. Man liest die Verachtung darin,<lb/>
welcher der Träger derselben gegen die Christen hegt; aus dem<lb/>
düsteren Ausdruck der dunklen Augen leuchtet der Fanatismus des<lb/>
eingefleischten Moslims entgegen. Es ist <hirendition="#g">Scheich Sali</hi>, ein frommer<lb/>
Derwisch aus Damaskus, welcher im Jahre 1877 in den Reihen seiner<lb/>
Glaubensgenossen tapfer gegen die Russen kämpfte.</p><lb/></div></div></body></text></TEI>
[236/0256]
Das Mittelmeerbecken.
Zeit unterbrochen durch tiefliegende Thäler, deren reizende Landschaften
hier unser Auge doppelt erfreuen und überraschen. Zwischen diesen
grossartigen Felsmassen erwartet man nicht, belebte, meist von Maro-
niten bewohnte Dörfer zu sehen, vor denen sich grüne Matten er-
strecken, durchzogen von sprudelnden Gebirgsbächen. Der Gouverneur
des Libanon scheint grosse Summen auf die Instandhaltung der Strasse
zu verwenden, denn letztere ist trotz der grossen Schwierigkeiten,
welche das steinige Terrain verursacht, mit vieler Sorgfalt gehalten.
Für den Handel ist sie sehr wichtig als eines der wenigen Verkehrs-
mittel zwischen den syrischen Hafenstädten und Damaskus.
„Nach den ersten Stationen, wo wir uns nur kurz aufhielten, um
Pferde zu wechseln oder sie ausruhen zu lassen, entfaltete sich das
Panorama bei jeder Biegung des immer mehr ansteigenden Weges
herrlicher. Tief unten schimmerte uns das blaue Meer und Beirut ent-
gegen, umsäumt von den im Nebel fast verschwindenden Ufern. Nach
einer fünfstündigen Fahrt liess uns der treffliche Reiseunternehmer
Howard an einem schönen Anssichtspunkte halten, um das gut be-
reitete Frühstück serviren zu lassen, welches wir in einem Zelte ein-
nahmen.
„Bald wurde aufgebrochen; wir nähern uns grossen Schneefel-
dern, die sich bis hart an die Strasse erstrecken, welche ziemlich
einsam ist. Nur selten ziehen schwer beladene Maulthier- und Kameel-
karawanen, gewöhnlich von Maroniten geführt und bewacht, an uns vor-
über. Diese Einwohner des Libanon sind Christen und gehören der katho-
lischen Kirche an. Eigenthümlich ist es, bei diesen in orientalischer
Tracht gekleideten Leuten blonde Haare, blaue Augen, gerade Züge
und trotzdem auffallend semitischen Ausdruck zu finden. Ihre Sprache
ist gegenwärtig die arabische, denn die maronitische ist nur mehr in
Kirchenbüchern anzutreffen. Mit den Drusen und Metualis bilden die
Maroniten die einzige Bevölkerung des Libanon, sind aber harmloser
als die ersteren, deren wildes Wesen allgemein gefürchtet ist.
„Wir hatten kaum den Kamm des Gebirges erreicht, als plötz-
lich eine interessante Erscheinung auftauchte. An uns vorbei schreitet
eine hohe Gestalt mit majestätisch erhobenem Kopfe, dessen wunder-
bare Züge uns mächtig anziehen. Man liest die Verachtung darin,
welcher der Träger derselben gegen die Christen hegt; aus dem
düsteren Ausdruck der dunklen Augen leuchtet der Fanatismus des
eingefleischten Moslims entgegen. Es ist Scheich Sali, ein frommer
Derwisch aus Damaskus, welcher im Jahre 1877 in den Reihen seiner
Glaubensgenossen tapfer gegen die Russen kämpfte.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891, S. 236. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen01_1891/256>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.