Aber gleich wie in anderen orientalischen Städten verbirgt sich auch in Smyrna hinter dem imposanten Aeusseren die abstossende Nüchternheit des Innern. Arm an Erinnerungszeichen ihres uralten Bestandes und ohne hervorragende Bauwerke, trägt die Stadt daher vorwiegend den Charakter eines Handelsplatzes.
Die Eintheilung Smyrnas entspricht den grossen Bevölkerungs- gruppen der Levante. Im nordöstlichen Theile zunächst des Quais liegt das Frankenviertel, hinter diesem das Griechenviertel, weiter südlich in der Umgebung des Bahnhofes nach Cossaba ist das Ar- menierviertel. Das zum Theile die Abhänge des Pagos bedeckende Türkenviertel bildet den südlichsten Theil der Stadt und umschliesst das schlechtgebaute Judenviertel.
Mit Ausnahme weniger Strassen besteht das Gros der Stadt aus einem völligen Labyrinth vielverzweigter enger und krummer Gäss- chen, in denen sich zurechtzufinden ohne Führer kaum möglich ist. Oede und verlassen sind infolge der muselmanischen Sitten und reli- giösen Einrichtungen die Gässchen der Türkenstadt. Dort herrscht kein nachbarlicher Verkehr, kein Strassenleben und kaum eines jener dichtvergitterten Fenster, wie man solche an Haremsgebäuden wahr- nimmt, blickt melancholisch hinab auf den schmalen Weg. Der min- der wohlhabende Türke ist nämlich gezwungen, sein ganzes Haus in einen Harem zu verwandeln, da er nicht die Mittel besitzt, abgeson- derte Frauengemächer zu unterhalten. Deshalb sind die Gassenzüge durch lange hohe Mauern gebildet, welche in der Regel die Woh- nungen von der Aussenwelt abschliessen. Hier ist für die Poesie des Orients kein Raum.
Anziehend ist dagegen das Gassenleben im Griechenviertel, be- sonders während der frühen Abendstunden, wenn Jung und Alt vor den Hausthüren gemüthlich zum Plaudern sich niedergelassen und lebhaft die Tagesereignisse bespricht. Hier ist das Hauptquartier der levan- tinischen Frauenschönheit. Manch feurigem Blick einer graziösen Frau begegnet unser Auge oder taucht in das unergründliche Dunkel der Gazellenaugen eines blühenden Mädchenantlitzes. Allein honni soit qui mal y pense, bei aller natürlichen Munterkeit, die uns hier erfreut, herrscht die lobenswertheste Sittsamkeit.
Nahezu parallel mit der Marina durchzieht die langgestreckte Frankenstrasse das Viertel der Franken. An ihren Häuserzeilen liegen unter anderem die katholische Kirche St. Policarpo mit dem anstossenden Kapuzinerkloster und die griechische Kathedrale Aja Photini mit der Resi- denz des griechischen Erzbischofs. Den religiösen Bedürfnissen ist durch
Smyrna.
Aber gleich wie in anderen orientalischen Städten verbirgt sich auch in Smyrna hinter dem imposanten Aeusseren die abstossende Nüchternheit des Innern. Arm an Erinnerungszeichen ihres uralten Bestandes und ohne hervorragende Bauwerke, trägt die Stadt daher vorwiegend den Charakter eines Handelsplatzes.
Die Eintheilung Smyrnas entspricht den grossen Bevölkerungs- gruppen der Levante. Im nordöstlichen Theile zunächst des Quais liegt das Frankenviertel, hinter diesem das Griechenviertel, weiter südlich in der Umgebung des Bahnhofes nach Cossaba ist das Ar- menierviertel. Das zum Theile die Abhänge des Pagos bedeckende Türkenviertel bildet den südlichsten Theil der Stadt und umschliesst das schlechtgebaute Judenviertel.
Mit Ausnahme weniger Strassen besteht das Gros der Stadt aus einem völligen Labyrinth vielverzweigter enger und krummer Gäss- chen, in denen sich zurechtzufinden ohne Führer kaum möglich ist. Oede und verlassen sind infolge der muselmanischen Sitten und reli- giösen Einrichtungen die Gässchen der Türkenstadt. Dort herrscht kein nachbarlicher Verkehr, kein Strassenleben und kaum eines jener dichtvergitterten Fenster, wie man solche an Haremsgebäuden wahr- nimmt, blickt melancholisch hinab auf den schmalen Weg. Der min- der wohlhabende Türke ist nämlich gezwungen, sein ganzes Haus in einen Harem zu verwandeln, da er nicht die Mittel besitzt, abgeson- derte Frauengemächer zu unterhalten. Deshalb sind die Gassenzüge durch lange hohe Mauern gebildet, welche in der Regel die Woh- nungen von der Aussenwelt abschliessen. Hier ist für die Poesie des Orients kein Raum.
Anziehend ist dagegen das Gassenleben im Griechenviertel, be- sonders während der frühen Abendstunden, wenn Jung und Alt vor den Hausthüren gemüthlich zum Plaudern sich niedergelassen und lebhaft die Tagesereignisse bespricht. Hier ist das Hauptquartier der levan- tinischen Frauenschönheit. Manch feurigem Blick einer graziösen Frau begegnet unser Auge oder taucht in das unergründliche Dunkel der Gazellenaugen eines blühenden Mädchenantlitzes. Allein honni soit qui mal y pense, bei aller natürlichen Munterkeit, die uns hier erfreut, herrscht die lobenswertheste Sittsamkeit.
Nahezu parallel mit der Marina durchzieht die langgestreckte Frankenstrasse das Viertel der Franken. An ihren Häuserzeilen liegen unter anderem die katholische Kirche St. Policarpo mit dem anstossenden Kapuzinerkloster und die griechische Kathedrale Aja Photini mit der Resi- denz des griechischen Erzbischofs. Den religiösen Bedürfnissen ist durch
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Smyrna.
Aber gleich wie in anderen orientalischen Städten verbirgt sich auch
in Smyrna hinter dem imposanten Aeusseren die abstossende Nüchternheit
des Innern. Arm an Erinnerungszeichen ihres uralten Bestandes und
ohne hervorragende Bauwerke, trägt die Stadt daher vorwiegend den
Charakter eines Handelsplatzes.
Die Eintheilung Smyrnas entspricht den grossen Bevölkerungs-
gruppen der Levante. Im nordöstlichen Theile zunächst des Quais liegt
das Frankenviertel, hinter diesem das Griechenviertel, weiter
südlich in der Umgebung des Bahnhofes nach Cossaba ist das Ar-
menierviertel. Das zum Theile die Abhänge des Pagos bedeckende
Türkenviertel bildet den südlichsten Theil der Stadt und umschliesst
das schlechtgebaute Judenviertel.
Mit Ausnahme weniger Strassen besteht das Gros der Stadt aus
einem völligen Labyrinth vielverzweigter enger und krummer Gäss-
chen, in denen sich zurechtzufinden ohne Führer kaum möglich ist.
Oede und verlassen sind infolge der muselmanischen Sitten und reli-
giösen Einrichtungen die Gässchen der Türkenstadt. Dort herrscht
kein nachbarlicher Verkehr, kein Strassenleben und kaum eines jener
dichtvergitterten Fenster, wie man solche an Haremsgebäuden wahr-
nimmt, blickt melancholisch hinab auf den schmalen Weg. Der min-
der wohlhabende Türke ist nämlich gezwungen, sein ganzes Haus in
einen Harem zu verwandeln, da er nicht die Mittel besitzt, abgeson-
derte Frauengemächer zu unterhalten. Deshalb sind die Gassenzüge
durch lange hohe Mauern gebildet, welche in der Regel die Woh-
nungen von der Aussenwelt abschliessen. Hier ist für die Poesie des
Orients kein Raum.
Anziehend ist dagegen das Gassenleben im Griechenviertel, be-
sonders während der frühen Abendstunden, wenn Jung und Alt vor den
Hausthüren gemüthlich zum Plaudern sich niedergelassen und lebhaft
die Tagesereignisse bespricht. Hier ist das Hauptquartier der levan-
tinischen Frauenschönheit. Manch feurigem Blick einer graziösen Frau
begegnet unser Auge oder taucht in das unergründliche Dunkel der
Gazellenaugen eines blühenden Mädchenantlitzes. Allein honni soit qui
mal y pense, bei aller natürlichen Munterkeit, die uns hier erfreut,
herrscht die lobenswertheste Sittsamkeit.
Nahezu parallel mit der Marina durchzieht die langgestreckte
Frankenstrasse das Viertel der Franken. An ihren Häuserzeilen liegen
unter anderem die katholische Kirche St. Policarpo mit dem anstossenden
Kapuzinerkloster und die griechische Kathedrale Aja Photini mit der Resi-
denz des griechischen Erzbischofs. Den religiösen Bedürfnissen ist durch
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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891, S. 205. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen01_1891/225>, abgerufen am 25.11.2024.
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