Punkt Stambuls ein grossartig ausgedehntes Panorama über die ganze Umgebung bietet.
Interessant sind die Bazare, worunter der sogenannte grosse Bazar mit seinem unentwirrbaren Labyrinth von gedeckten engen Gassen, Durchgängen, Hallen und Kreuzwegen, in welchen Geschäft an Geschäft sich reiht und die Schätze der glänzenden und koketten orientalischen Industrie zur Schau liegen, ein dankbarer Anziehungs- punkt für jeden Fremden ist.
Die navigatorischen Verhältnisse im Bosporus sind im Allge- meinen günstig, nur erfordert die aus dem Schwarzen Meere ziehende scharfe Strömung einen hohen Grad von Vorsicht beim Ein- und Aus- laufen. Für die grossen Passagierdampfer bestehen in dem gut ge- schützten Hafen eine Zahl von Ankerbojen, die einzige Vorkehrung, welche Constantinopel dem Handelsverkehre überhaupt bietet. Bei aller Pracht und Herrlichkeit, welche den wunderbaren Hafen um- geben, vermisst man die Sorgfalt für die Hauptquelle alles höheren Reichthums, den Seehandel.
Wie das echt orientalische Strassenleben von Constantinopel durch die malerischen Trachten seiner allen Nationen angehörenden Einwohner, das lärmende Getriebe der Händler, die vermummten Gestalten der Frauen- welt und hundert andere fremdartige Erscheinungen fesselt, ebenso überrascht das Wasserleben des Hafens durch seinen rasch pulsirenden Verkehr. Die flinken scharfgebauten Kaiks sind hier als Ueberbleibsel uralter Zeiten zwar noch zahlreich in Verwendung, allein der Local- verkehr der Dampfer entzieht denselben immer mehr Gebiete der Thätigkeit.
Nach der amtlichen Statistik des Jahres 1885 zählt Constanti- nopel 873.565 Einwohner, darunter 384.910 Mohammedaner, 152.741 Griechen, 149.590 gregorianische und 6442 katholische Armenier, 4377 Bulgaren, 44.361 Juden, 819 Protestanten, 1082 sogenannte Lateiner (Katholiken als türkische Unterthanen) und 129.243 fremde Unterthanen, unter letzteren ungefähr 50.000 griechische. Constanti- nopel ist Sitz der türkischen Regierung und der Centralbehörden des Reiches, des Hauptes der mohammedanischen Geistlichkeit Scheich-ül- Islam, eines römisch-katholischen Erzbischofes, zugleich apostolischen Vicars, eines griechischen und armenischen Patriarchen, eines arme- nisch-katholischen Patriarchen und eines Grossrabbiners. Aus der Statistik von Constantinopel ist noch erwähnenswerth, dass die Stadt 169 öffentliche Bäder, 54 Druckereien, 45 mohammedanische Biblio- theken mit mehr als 70.000 meist ungedruckten Werken arabischer,
Das Mittelmeerbecken.
Punkt Stambuls ein grossartig ausgedehntes Panorama über die ganze Umgebung bietet.
Interessant sind die Bazare, worunter der sogenannte grosse Bazar mit seinem unentwirrbaren Labyrinth von gedeckten engen Gassen, Durchgängen, Hallen und Kreuzwegen, in welchen Geschäft an Geschäft sich reiht und die Schätze der glänzenden und koketten orientalischen Industrie zur Schau liegen, ein dankbarer Anziehungs- punkt für jeden Fremden ist.
Die navigatorischen Verhältnisse im Bosporus sind im Allge- meinen günstig, nur erfordert die aus dem Schwarzen Meere ziehende scharfe Strömung einen hohen Grad von Vorsicht beim Ein- und Aus- laufen. Für die grossen Passagierdampfer bestehen in dem gut ge- schützten Hafen eine Zahl von Ankerbojen, die einzige Vorkehrung, welche Constantinopel dem Handelsverkehre überhaupt bietet. Bei aller Pracht und Herrlichkeit, welche den wunderbaren Hafen um- geben, vermisst man die Sorgfalt für die Hauptquelle alles höheren Reichthums, den Seehandel.
Wie das echt orientalische Strassenleben von Constantinopel durch die malerischen Trachten seiner allen Nationen angehörenden Einwohner, das lärmende Getriebe der Händler, die vermummten Gestalten der Frauen- welt und hundert andere fremdartige Erscheinungen fesselt, ebenso überrascht das Wasserleben des Hafens durch seinen rasch pulsirenden Verkehr. Die flinken scharfgebauten Kaiks sind hier als Ueberbleibsel uralter Zeiten zwar noch zahlreich in Verwendung, allein der Local- verkehr der Dampfer entzieht denselben immer mehr Gebiete der Thätigkeit.
Nach der amtlichen Statistik des Jahres 1885 zählt Constanti- nopel 873.565 Einwohner, darunter 384.910 Mohammedaner, 152.741 Griechen, 149.590 gregorianische und 6442 katholische Armenier, 4377 Bulgaren, 44.361 Juden, 819 Protestanten, 1082 sogenannte Lateiner (Katholiken als türkische Unterthanen) und 129.243 fremde Unterthanen, unter letzteren ungefähr 50.000 griechische. Constanti- nopel ist Sitz der türkischen Regierung und der Centralbehörden des Reiches, des Hauptes der mohammedanischen Geistlichkeit Scheich-ül- Islam, eines römisch-katholischen Erzbischofes, zugleich apostolischen Vicars, eines griechischen und armenischen Patriarchen, eines arme- nisch-katholischen Patriarchen und eines Grossrabbiners. Aus der Statistik von Constantinopel ist noch erwähnenswerth, dass die Stadt 169 öffentliche Bäder, 54 Druckereien, 45 mohammedanische Biblio- theken mit mehr als 70.000 meist ungedruckten Werken arabischer,
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Das Mittelmeerbecken.
Punkt Stambuls ein grossartig ausgedehntes Panorama über die ganze
Umgebung bietet.
Interessant sind die Bazare, worunter der sogenannte grosse
Bazar mit seinem unentwirrbaren Labyrinth von gedeckten engen
Gassen, Durchgängen, Hallen und Kreuzwegen, in welchen Geschäft
an Geschäft sich reiht und die Schätze der glänzenden und koketten
orientalischen Industrie zur Schau liegen, ein dankbarer Anziehungs-
punkt für jeden Fremden ist.
Die navigatorischen Verhältnisse im Bosporus sind im Allge-
meinen günstig, nur erfordert die aus dem Schwarzen Meere ziehende
scharfe Strömung einen hohen Grad von Vorsicht beim Ein- und Aus-
laufen. Für die grossen Passagierdampfer bestehen in dem gut ge-
schützten Hafen eine Zahl von Ankerbojen, die einzige Vorkehrung,
welche Constantinopel dem Handelsverkehre überhaupt bietet. Bei
aller Pracht und Herrlichkeit, welche den wunderbaren Hafen um-
geben, vermisst man die Sorgfalt für die Hauptquelle alles höheren
Reichthums, den Seehandel.
Wie das echt orientalische Strassenleben von Constantinopel durch
die malerischen Trachten seiner allen Nationen angehörenden Einwohner,
das lärmende Getriebe der Händler, die vermummten Gestalten der Frauen-
welt und hundert andere fremdartige Erscheinungen fesselt, ebenso
überrascht das Wasserleben des Hafens durch seinen rasch pulsirenden
Verkehr. Die flinken scharfgebauten Kaiks sind hier als Ueberbleibsel
uralter Zeiten zwar noch zahlreich in Verwendung, allein der Local-
verkehr der Dampfer entzieht denselben immer mehr Gebiete der
Thätigkeit.
Nach der amtlichen Statistik des Jahres 1885 zählt Constanti-
nopel 873.565 Einwohner, darunter 384.910 Mohammedaner, 152.741
Griechen, 149.590 gregorianische und 6442 katholische Armenier,
4377 Bulgaren, 44.361 Juden, 819 Protestanten, 1082 sogenannte
Lateiner (Katholiken als türkische Unterthanen) und 129.243 fremde
Unterthanen, unter letzteren ungefähr 50.000 griechische. Constanti-
nopel ist Sitz der türkischen Regierung und der Centralbehörden des
Reiches, des Hauptes der mohammedanischen Geistlichkeit Scheich-ül-
Islam, eines römisch-katholischen Erzbischofes, zugleich apostolischen
Vicars, eines griechischen und armenischen Patriarchen, eines arme-
nisch-katholischen Patriarchen und eines Grossrabbiners. Aus der
Statistik von Constantinopel ist noch erwähnenswerth, dass die Stadt
169 öffentliche Bäder, 54 Druckereien, 45 mohammedanische Biblio-
theken mit mehr als 70.000 meist ungedruckten Werken arabischer,
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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen01_1891/142>, abgerufen am 25.11.2024.
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