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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891.

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Das Mittelmeerbecken.
letzte Kaiser, fiel dort im dichten Kampfgewühl, und als dann sein
Kopf dem Sultan gebracht wurde, liess er ihn an der herrlichen Säule,
die Justinian's Kolossal-Reiterstandbild trug -- ein schrecklich Rache-
bild -- ausstecken. Drei Tage währte die Plünderung und fast ebenso
lang die Metzelei. Mehr als 60.000 Menschen, meist Frauen und
Kinder, ereilte das entsetzliche Los der Sclaverei.

Mohammed sicherte jenen Christen, welche in der Stadt wohnen
wollten, zwar die Freiheit des Gottesdienstes, verwandelte jedoch
gleichzeitig acht der schönsten Kirchen, darunter die Aya Sophia, in
Moscheen und bereicherte die Stadt durch grosse Bauten. Constanti-
nopel wurde nun der Hort des Islams, dem die Sultane Bajazid, Soli-
man der Glänzende, Selim II., Ahmet, Osman u. a. prächtige Tempel
weihten.

Nahezu fünf Jahrhunderte währt nun die Herrschaft der Osmanen
am goldenen Horn, eine Zeitperiode, die, wenngleich sie manchen
Blutfleck enthält, doch für die Weltstadt Constantin's eine Epoche
ruhiger Entwicklung von einer Dauer und Stabilität bedeutet, wie
solche dort an der Stätte so vieler Gräuelscenen niemals zuvor er-
lebt worden sind.

Aber schon drängt das neuerwachte Griechenthum mächtig zu
den Pforten der Aya Sophia und fordert das kostbare Erbe der christ-
lichen Vorfahren.

Die Frage um die Zukunft von Constantinopel, der, wie Gre-
gorovius sagt, gegenwärtig geheimnissvollsten und wichtigsten aller
Städte der Erde, von deren dämonischem Fatum nicht nur das
Schicksal Athens und Griechenlands, sondern vielleicht die künftige
Gestaltung zweier Welttheile abhängig ist, wird zur Lösung aufge-
worfen.

Ein Blick auf unseren Plan von Constantinopel erleichtert uns
wesentlich die Orientirung in der ausgedehnten Stadt und deren
Nachbargebieten.

Die Hauptstadt des türkischen Reiches wird von denkenden
Türken mit dem Namen Islambol, Stadt des Islams, bezeichnet, ge-
wöhnlich aber wird sie Stambul oder Istambul genannt; allein in
topographischer Hinsicht bezieht sich dieser Name nur auf das in
Dreiecksform zur Serailspitze vorspringende, im Osten durch das gol-
dene Horn begrenzte Stadtgebiet des alten Byzanz. Die Stadt führt
auch den Namen Der-i-Seadet, die Pforte des Glücks, türkisch heisst
sie Konstantinije, griechisch Konstantinupolis und slavisch Zarigrad.

Gegen die Landseite ist Stambul durch die aus dem V. Jahr-

Das Mittelmeerbecken.
letzte Kaiser, fiel dort im dichten Kampfgewühl, und als dann sein
Kopf dem Sultan gebracht wurde, liess er ihn an der herrlichen Säule,
die Justinian’s Kolossal-Reiterstandbild trug — ein schrecklich Rache-
bild — ausstecken. Drei Tage währte die Plünderung und fast ebenso
lang die Metzelei. Mehr als 60.000 Menschen, meist Frauen und
Kinder, ereilte das entsetzliche Los der Sclaverei.

Mohammed sicherte jenen Christen, welche in der Stadt wohnen
wollten, zwar die Freiheit des Gottesdienstes, verwandelte jedoch
gleichzeitig acht der schönsten Kirchen, darunter die Aya Sophia, in
Moscheen und bereicherte die Stadt durch grosse Bauten. Constanti-
nopel wurde nun der Hort des Islams, dem die Sultane Bajazid, Soli-
man der Glänzende, Selim II., Ahmet, Osman u. a. prächtige Tempel
weihten.

Nahezu fünf Jahrhunderte währt nun die Herrschaft der Osmanen
am goldenen Horn, eine Zeitperiode, die, wenngleich sie manchen
Blutfleck enthält, doch für die Weltstadt Constantin’s eine Epoche
ruhiger Entwicklung von einer Dauer und Stabilität bedeutet, wie
solche dort an der Stätte so vieler Gräuelscenen niemals zuvor er-
lebt worden sind.

Aber schon drängt das neuerwachte Griechenthum mächtig zu
den Pforten der Aya Sophia und fordert das kostbare Erbe der christ-
lichen Vorfahren.

Die Frage um die Zukunft von Constantinopel, der, wie Gre-
gorovius sagt, gegenwärtig geheimnissvollsten und wichtigsten aller
Städte der Erde, von deren dämonischem Fatum nicht nur das
Schicksal Athens und Griechenlands, sondern vielleicht die künftige
Gestaltung zweier Welttheile abhängig ist, wird zur Lösung aufge-
worfen.

Ein Blick auf unseren Plan von Constantinopel erleichtert uns
wesentlich die Orientirung in der ausgedehnten Stadt und deren
Nachbargebieten.

Die Hauptstadt des türkischen Reiches wird von denkenden
Türken mit dem Namen Islambol, Stadt des Islams, bezeichnet, ge-
wöhnlich aber wird sie Stambul oder Istambul genannt; allein in
topographischer Hinsicht bezieht sich dieser Name nur auf das in
Dreiecksform zur Serailspitze vorspringende, im Osten durch das gol-
dene Horn begrenzte Stadtgebiet des alten Byzanz. Die Stadt führt
auch den Namen Der-i-Seadet, die Pforte des Glücks, türkisch heisst
sie Konstantinije, griechisch Konstantinupolis und slavisch Zarigrad.

Gegen die Landseite ist Stambul durch die aus dem V. Jahr-

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[112/0132] Das Mittelmeerbecken. letzte Kaiser, fiel dort im dichten Kampfgewühl, und als dann sein Kopf dem Sultan gebracht wurde, liess er ihn an der herrlichen Säule, die Justinian’s Kolossal-Reiterstandbild trug — ein schrecklich Rache- bild — ausstecken. Drei Tage währte die Plünderung und fast ebenso lang die Metzelei. Mehr als 60.000 Menschen, meist Frauen und Kinder, ereilte das entsetzliche Los der Sclaverei. Mohammed sicherte jenen Christen, welche in der Stadt wohnen wollten, zwar die Freiheit des Gottesdienstes, verwandelte jedoch gleichzeitig acht der schönsten Kirchen, darunter die Aya Sophia, in Moscheen und bereicherte die Stadt durch grosse Bauten. Constanti- nopel wurde nun der Hort des Islams, dem die Sultane Bajazid, Soli- man der Glänzende, Selim II., Ahmet, Osman u. a. prächtige Tempel weihten. Nahezu fünf Jahrhunderte währt nun die Herrschaft der Osmanen am goldenen Horn, eine Zeitperiode, die, wenngleich sie manchen Blutfleck enthält, doch für die Weltstadt Constantin’s eine Epoche ruhiger Entwicklung von einer Dauer und Stabilität bedeutet, wie solche dort an der Stätte so vieler Gräuelscenen niemals zuvor er- lebt worden sind. Aber schon drängt das neuerwachte Griechenthum mächtig zu den Pforten der Aya Sophia und fordert das kostbare Erbe der christ- lichen Vorfahren. Die Frage um die Zukunft von Constantinopel, der, wie Gre- gorovius sagt, gegenwärtig geheimnissvollsten und wichtigsten aller Städte der Erde, von deren dämonischem Fatum nicht nur das Schicksal Athens und Griechenlands, sondern vielleicht die künftige Gestaltung zweier Welttheile abhängig ist, wird zur Lösung aufge- worfen. Ein Blick auf unseren Plan von Constantinopel erleichtert uns wesentlich die Orientirung in der ausgedehnten Stadt und deren Nachbargebieten. Die Hauptstadt des türkischen Reiches wird von denkenden Türken mit dem Namen Islambol, Stadt des Islams, bezeichnet, ge- wöhnlich aber wird sie Stambul oder Istambul genannt; allein in topographischer Hinsicht bezieht sich dieser Name nur auf das in Dreiecksform zur Serailspitze vorspringende, im Osten durch das gol- dene Horn begrenzte Stadtgebiet des alten Byzanz. Die Stadt führt auch den Namen Der-i-Seadet, die Pforte des Glücks, türkisch heisst sie Konstantinije, griechisch Konstantinupolis und slavisch Zarigrad. Gegen die Landseite ist Stambul durch die aus dem V. Jahr-

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Zitationshilfe: Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen01_1891/132>, abgerufen am 26.11.2024.