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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891.

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Constantinopel.
heiligen Schauern auch der unvergängliche Geist der uralten, tief in
der griechischen Sagenwelt wurzelnden Geschichte der wechselvollen
frohen und entsetzlichen Schicksale der Bewohner dieses Erdentheiles.

Eine solche Empfindung mag Lord Byron beherrscht haben, als
er von der Schönheit der Residenzstadt am Bosporus begeistert aus-
rief: "Ich sah Athens heilige Räume, ich sah die Tempel von Ephesus
und war in Delphi, ich habe Europa durchstreift von einem Ende
zum anderen und die schönsten Länder Asiens besucht, aber nirgends
erfreute mein Auge ein Anblick, dem von Constantinopel vergleichbar."

Am Kreuzungspunkte der Landroute von Europa nach Asien
mit der zum Schwarzen Meere führenden Wasserstrasse gelegen, nahm
Byzanz-Canstantinopel, dessen Gründung in das Jahr 658 v. Chr.
fällt, zu allen Zeiten eine vornehme commercielle und politische Stell-
lung ein; allein gerade die Früchte der natürlichen Begünstigung:
Reichthum und Macht wurden wiederholt zu Ursachen der furcht-
barsten Katastrophen für die Einwohnerschaften der Stadt, denn ab-
seits der Anziehungskraft, welche ein reiches Gemeindewesen in
Kriegszeiten ausübt, waren Bosporus und Hellespont vielbefahrene
und günstig beschaffene Wasserstrassen, über welche die ungeheueren
Kriegermassen der Darius, Xerxes und Alexander, die Heere der fana-
tischen Kreuzfahrer und einer Revanche gleich die Völkerwanderung
der Osmanen von einem Continente zum anderen hinübersetzten und
wie eine vernichtende Sturmflut allen auf ihrem Wege gelegenen
Wohnstätten den Untergang brachten. Auch die thätige Antheilnahme
Byzanz' an den Kämpfen der Perser, Athener und Spartaner, der
Makedonier und Römer hatte zur Folge, dass die Stadt wiederholt
als Opfer zu Füssen des jeweiligen Eroberers lag und vergeblich
um Erbarmen flehte.

So kam es, dass, als Byzanz für den Gegner des Kaisers Septimus
Severus Partei ergiff, die Stadt auch vor dem "Vae victis" der Römer er-
bebte, der Römer, deren eifrigste Verbündete die freie Stadt einst gewesen.
Nach dreijähriger heldenmüthiger Belagerung stürmten die Legionen
(196 n. Chr.) über die Breschen in die besiegte Stadt. Wie alle alten
Völker, übten auch die Römer gegen den Besiegten die härteste Grau-
samkeit. Eroberte Städte verfielen den Flammen, und die Bewohner-
schaft wurde meist ohne Rücksicht auf Alter oder Geschlecht erbar-
mungslos niedergemetzelt. Vae victis! Wehe den Besiegten!

Die Römer zerstörten Byzanz bis zu den Fundamenten und liessen
nur rauchende Trümmer zurück. Selbst der uralte Name Byzanz sollte
vernichtet bleiben, allein die Tradition siegte, und er lebte weiter.


Constantinopel.
heiligen Schauern auch der unvergängliche Geist der uralten, tief in
der griechischen Sagenwelt wurzelnden Geschichte der wechselvollen
frohen und entsetzlichen Schicksale der Bewohner dieses Erdentheiles.

Eine solche Empfindung mag Lord Byron beherrscht haben, als
er von der Schönheit der Residenzstadt am Bosporus begeistert aus-
rief: „Ich sah Athens heilige Räume, ich sah die Tempel von Ephesus
und war in Delphi, ich habe Europa durchstreift von einem Ende
zum anderen und die schönsten Länder Asiens besucht, aber nirgends
erfreute mein Auge ein Anblick, dem von Constantinopel vergleichbar.“

Am Kreuzungspunkte der Landroute von Europa nach Asien
mit der zum Schwarzen Meere führenden Wasserstrasse gelegen, nahm
Byzanz-Canstantinopel, dessen Gründung in das Jahr 658 v. Chr.
fällt, zu allen Zeiten eine vornehme commercielle und politische Stell-
lung ein; allein gerade die Früchte der natürlichen Begünstigung:
Reichthum und Macht wurden wiederholt zu Ursachen der furcht-
barsten Katastrophen für die Einwohnerschaften der Stadt, denn ab-
seits der Anziehungskraft, welche ein reiches Gemeindewesen in
Kriegszeiten ausübt, waren Bosporus und Hellespont vielbefahrene
und günstig beschaffene Wasserstrassen, über welche die ungeheueren
Kriegermassen der Darius, Xerxes und Alexander, die Heere der fana-
tischen Kreuzfahrer und einer Revanche gleich die Völkerwanderung
der Osmanen von einem Continente zum anderen hinübersetzten und
wie eine vernichtende Sturmflut allen auf ihrem Wege gelegenen
Wohnstätten den Untergang brachten. Auch die thätige Antheilnahme
Byzanz’ an den Kämpfen der Perser, Athener und Spartaner, der
Makedonier und Römer hatte zur Folge, dass die Stadt wiederholt
als Opfer zu Füssen des jeweiligen Eroberers lag und vergeblich
um Erbarmen flehte.

So kam es, dass, als Byzanz für den Gegner des Kaisers Septimus
Severus Partei ergiff, die Stadt auch vor dem „Vae victis“ der Römer er-
bebte, der Römer, deren eifrigste Verbündete die freie Stadt einst gewesen.
Nach dreijähriger heldenmüthiger Belagerung stürmten die Legionen
(196 n. Chr.) über die Breschen in die besiegte Stadt. Wie alle alten
Völker, übten auch die Römer gegen den Besiegten die härteste Grau-
samkeit. Eroberte Städte verfielen den Flammen, und die Bewohner-
schaft wurde meist ohne Rücksicht auf Alter oder Geschlecht erbar-
mungslos niedergemetzelt. Vae victis! Wehe den Besiegten!

Die Römer zerstörten Byzanz bis zu den Fundamenten und liessen
nur rauchende Trümmer zurück. Selbst der uralte Name Byzanz sollte
vernichtet bleiben, allein die Tradition siegte, und er lebte weiter.


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[109/0129] Constantinopel. heiligen Schauern auch der unvergängliche Geist der uralten, tief in der griechischen Sagenwelt wurzelnden Geschichte der wechselvollen frohen und entsetzlichen Schicksale der Bewohner dieses Erdentheiles. Eine solche Empfindung mag Lord Byron beherrscht haben, als er von der Schönheit der Residenzstadt am Bosporus begeistert aus- rief: „Ich sah Athens heilige Räume, ich sah die Tempel von Ephesus und war in Delphi, ich habe Europa durchstreift von einem Ende zum anderen und die schönsten Länder Asiens besucht, aber nirgends erfreute mein Auge ein Anblick, dem von Constantinopel vergleichbar.“ Am Kreuzungspunkte der Landroute von Europa nach Asien mit der zum Schwarzen Meere führenden Wasserstrasse gelegen, nahm Byzanz-Canstantinopel, dessen Gründung in das Jahr 658 v. Chr. fällt, zu allen Zeiten eine vornehme commercielle und politische Stell- lung ein; allein gerade die Früchte der natürlichen Begünstigung: Reichthum und Macht wurden wiederholt zu Ursachen der furcht- barsten Katastrophen für die Einwohnerschaften der Stadt, denn ab- seits der Anziehungskraft, welche ein reiches Gemeindewesen in Kriegszeiten ausübt, waren Bosporus und Hellespont vielbefahrene und günstig beschaffene Wasserstrassen, über welche die ungeheueren Kriegermassen der Darius, Xerxes und Alexander, die Heere der fana- tischen Kreuzfahrer und einer Revanche gleich die Völkerwanderung der Osmanen von einem Continente zum anderen hinübersetzten und wie eine vernichtende Sturmflut allen auf ihrem Wege gelegenen Wohnstätten den Untergang brachten. Auch die thätige Antheilnahme Byzanz’ an den Kämpfen der Perser, Athener und Spartaner, der Makedonier und Römer hatte zur Folge, dass die Stadt wiederholt als Opfer zu Füssen des jeweiligen Eroberers lag und vergeblich um Erbarmen flehte. So kam es, dass, als Byzanz für den Gegner des Kaisers Septimus Severus Partei ergiff, die Stadt auch vor dem „Vae victis“ der Römer er- bebte, der Römer, deren eifrigste Verbündete die freie Stadt einst gewesen. Nach dreijähriger heldenmüthiger Belagerung stürmten die Legionen (196 n. Chr.) über die Breschen in die besiegte Stadt. Wie alle alten Völker, übten auch die Römer gegen den Besiegten die härteste Grau- samkeit. Eroberte Städte verfielen den Flammen, und die Bewohner- schaft wurde meist ohne Rücksicht auf Alter oder Geschlecht erbar- mungslos niedergemetzelt. Vae victis! Wehe den Besiegten! Die Römer zerstörten Byzanz bis zu den Fundamenten und liessen nur rauchende Trümmer zurück. Selbst der uralte Name Byzanz sollte vernichtet bleiben, allein die Tradition siegte, und er lebte weiter.

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Zitationshilfe: Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen01_1891/129>, abgerufen am 26.11.2024.