Werfen wir noch einen Blick auf das Leben in Liverpool, so sehen wir eine Stadt vor uns, in welcher die geschäftlichen Interessen Alles überwiegen und Anderes nur in zweiter Linie in Betracht kommt. Liverpool ist nicht wie London zugleich das politische Centrum des Landes, der Sitz des Hofes und einer überreichen Aristokratie, wo sich auch die Fäden des geistigen Lebens enge verknüpfen, Liverpool ist Handelsstadt par excellence. Es besitzt trotzdem wissenschaftliche Etablissements und Einrichtungen, welche dem Vergnügen gewidmet sind, und seine Einwohner verstehen auch das Leben zu geniessen, namentlich jene, welche sich schöne Capitalien bereits erworben haben; aber des Geschäftes wird man nicht los, und selbst in der Atmosphäre der Stadt mahnen Staub und Kohlenruss an die Dinge, denen das Tageswerk gewidmet ist.
Dafür hat Liverpool aber jederzeit die lebhafteste Theilnahme für alle commerziellen und wirtschaftlichen Interessen bethätigt, und es ist ganz insbesondere bemerkenswerth, dass die grosse gegen die Kornzölle gerichtete Bewegung, welche von freihändlerischen Tendenzen getragen war, von Liverpool ihren Ausgang nahm, und dass in dieser Stadt der berühmte Cobden die Agitation leitete.
Die Schwesterstadt von Liverpool, Birkenhead, verdankt ihr Entstehen ihrer ausserordentlich günstigen Lage, welche es zu einer Art Ergänzung von Liverpool bestimmte. In der Grafschaft Cheshire gelegen, war es ein kleiner Flecken von keiner Bedeutung. Es ent- wickelte sich erst, als man daran ging, auch dort Dockanlagen sammt Zugehör herzustellen. Auf der Birkenheadseite des Mersey waren die Tiefenverhältnisse günstiger als jenseits, und dies erleichterte maritime Bauten. Im Jahre 1844 begann man mit der Einrichtung eines Docks an Stelle eines grossen Sumpfes. Der Bau kam jedoch erst nach mancherlei Zwischenfällen zu Stande, als der Mersey-Dock and Harbour Board auch die Anlagen von Birkenhead seiner Competenz überwiesen er- hielt (1855). Seither hat sich die Zahl der Docks auf fünf vermehrt, welche über eine Quailänge von 12.000 m und über eine Wasserfläche von 202 ha disponiren. Die Birkenheader Anlagen haben entgegen jenen von Liverpool durchwegs den grossen Vorzug, dass sie schon im Zeitalter der Eisenbahnen ins Leben gerufen wurden und man daher bei ihrer Einrichtung auf die bezüglichen Erfordernisse vollauf Bedacht nehmen konnte. Jene fünf Docks sind das Morpeth- und Egerton-Dock, dann das Great-Float mit zwei durch einen Canal verbundenen selb- ständigen Bassins (East-Float und West-Float) und einem Vorhafen (Alfred-Dock), endlich das Wallasey-Dock. Hier gelangen zunächst
Der atlantische Ocean.
Werfen wir noch einen Blick auf das Leben in Liverpool, so sehen wir eine Stadt vor uns, in welcher die geschäftlichen Interessen Alles überwiegen und Anderes nur in zweiter Linie in Betracht kommt. Liverpool ist nicht wie London zugleich das politische Centrum des Landes, der Sitz des Hofes und einer überreichen Aristokratie, wo sich auch die Fäden des geistigen Lebens enge verknüpfen, Liverpool ist Handelsstadt par excellence. Es besitzt trotzdem wissenschaftliche Etablissements und Einrichtungen, welche dem Vergnügen gewidmet sind, und seine Einwohner verstehen auch das Leben zu geniessen, namentlich jene, welche sich schöne Capitalien bereits erworben haben; aber des Geschäftes wird man nicht los, und selbst in der Atmosphäre der Stadt mahnen Staub und Kohlenruss an die Dinge, denen das Tageswerk gewidmet ist.
Dafür hat Liverpool aber jederzeit die lebhafteste Theilnahme für alle commerziellen und wirtschaftlichen Interessen bethätigt, und es ist ganz insbesondere bemerkenswerth, dass die grosse gegen die Kornzölle gerichtete Bewegung, welche von freihändlerischen Tendenzen getragen war, von Liverpool ihren Ausgang nahm, und dass in dieser Stadt der berühmte Cobden die Agitation leitete.
Die Schwesterstadt von Liverpool, Birkenhead, verdankt ihr Entstehen ihrer ausserordentlich günstigen Lage, welche es zu einer Art Ergänzung von Liverpool bestimmte. In der Grafschaft Cheshire gelegen, war es ein kleiner Flecken von keiner Bedeutung. Es ent- wickelte sich erst, als man daran ging, auch dort Dockanlagen sammt Zugehör herzustellen. Auf der Birkenheadseite des Mersey waren die Tiefenverhältnisse günstiger als jenseits, und dies erleichterte maritime Bauten. Im Jahre 1844 begann man mit der Einrichtung eines Docks an Stelle eines grossen Sumpfes. Der Bau kam jedoch erst nach mancherlei Zwischenfällen zu Stande, als der Mersey-Dock and Harbour Board auch die Anlagen von Birkenhead seiner Competenz überwiesen er- hielt (1855). Seither hat sich die Zahl der Docks auf fünf vermehrt, welche über eine Quailänge von 12.000 m und über eine Wasserfläche von 202 ha disponiren. Die Birkenheader Anlagen haben entgegen jenen von Liverpool durchwegs den grossen Vorzug, dass sie schon im Zeitalter der Eisenbahnen ins Leben gerufen wurden und man daher bei ihrer Einrichtung auf die bezüglichen Erfordernisse vollauf Bedacht nehmen konnte. Jene fünf Docks sind das Morpeth- und Egerton-Dock, dann das Great-Float mit zwei durch einen Canal verbundenen selb- ständigen Bassins (East-Float und West-Float) und einem Vorhafen (Alfred-Dock), endlich das Wallasey-Dock. Hier gelangen zunächst
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[1034/1054]
Der atlantische Ocean.
Werfen wir noch einen Blick auf das Leben in Liverpool, so
sehen wir eine Stadt vor uns, in welcher die geschäftlichen Interessen
Alles überwiegen und Anderes nur in zweiter Linie in Betracht kommt.
Liverpool ist nicht wie London zugleich das politische Centrum des
Landes, der Sitz des Hofes und einer überreichen Aristokratie, wo
sich auch die Fäden des geistigen Lebens enge verknüpfen, Liverpool
ist Handelsstadt par excellence. Es besitzt trotzdem wissenschaftliche
Etablissements und Einrichtungen, welche dem Vergnügen gewidmet
sind, und seine Einwohner verstehen auch das Leben zu geniessen,
namentlich jene, welche sich schöne Capitalien bereits erworben haben;
aber des Geschäftes wird man nicht los, und selbst in der Atmosphäre
der Stadt mahnen Staub und Kohlenruss an die Dinge, denen das
Tageswerk gewidmet ist.
Dafür hat Liverpool aber jederzeit die lebhafteste Theilnahme
für alle commerziellen und wirtschaftlichen Interessen bethätigt, und
es ist ganz insbesondere bemerkenswerth, dass die grosse gegen die
Kornzölle gerichtete Bewegung, welche von freihändlerischen Tendenzen
getragen war, von Liverpool ihren Ausgang nahm, und dass in dieser
Stadt der berühmte Cobden die Agitation leitete.
Die Schwesterstadt von Liverpool, Birkenhead, verdankt ihr
Entstehen ihrer ausserordentlich günstigen Lage, welche es zu einer
Art Ergänzung von Liverpool bestimmte. In der Grafschaft Cheshire
gelegen, war es ein kleiner Flecken von keiner Bedeutung. Es ent-
wickelte sich erst, als man daran ging, auch dort Dockanlagen sammt
Zugehör herzustellen. Auf der Birkenheadseite des Mersey waren die
Tiefenverhältnisse günstiger als jenseits, und dies erleichterte maritime
Bauten. Im Jahre 1844 begann man mit der Einrichtung eines Docks an
Stelle eines grossen Sumpfes. Der Bau kam jedoch erst nach mancherlei
Zwischenfällen zu Stande, als der Mersey-Dock and Harbour Board
auch die Anlagen von Birkenhead seiner Competenz überwiesen er-
hielt (1855). Seither hat sich die Zahl der Docks auf fünf vermehrt,
welche über eine Quailänge von 12.000 m und über eine Wasserfläche
von 202 ha disponiren. Die Birkenheader Anlagen haben entgegen
jenen von Liverpool durchwegs den grossen Vorzug, dass sie schon im
Zeitalter der Eisenbahnen ins Leben gerufen wurden und man daher
bei ihrer Einrichtung auf die bezüglichen Erfordernisse vollauf Bedacht
nehmen konnte. Jene fünf Docks sind das Morpeth- und Egerton-Dock,
dann das Great-Float mit zwei durch einen Canal verbundenen selb-
ständigen Bassins (East-Float und West-Float) und einem Vorhafen
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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891, S. 1034. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen01_1891/1054>, abgerufen am 23.11.2024.
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