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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891.

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Der atlantische Ocean.
den Handel namentlich mit Nordamerika finden konnte. Jetzt wurde Baumwolle
ein Hauptartikel des Importes, und seither ist auch Liverpool der erste Stapel-
platz hiefür geblieben. Dazu kam dann noch die Entwicklung der Dampf-
schiffahrt, welche der Stadt die Ausnützung ihrer günstigen Position im Zusammen-
hange mit dem industriellen Aufschwunge im Westen Englands wesentlich er-
leichterte. So hat vor Allem die grosse Baumwollstadt Manchester in Liverpool
das Thor zur See gefunden. Die Bevölkerung ist auf fast 700.000 Seelen gestiegen,
hat sich also in unserem Jahrhundert verzehnfacht.

Betrachten wir nunmehr die in Lancashire unter 53° 24' nördl.
Br. und 2° 57' westl. L. v. Gr. gelegene Stadt, so finden wir sofort
einen wichtigen Umstand in der Gestaltung der maritimen Verhält-
nisse. Liverpool liegt an dem Mersey, welcher sich zu einem grossen
breiten Becken erweitert, das sich dann dort, wo am rechten Ufer
Liverpool und ihm gegenüber am anderen Ufer heute Birkenhead
sich befindet, wieder einigermassen verengt, um dann unterhalb dieser
beiden Punkte in die See zu münden. Der Mersey hat gute Tiefe,
wenn auch ein schwaches Gefälle und starke Unterschiede in Ebbe
und Flut. Die Stadt zieht sich am rechten Ufer hin, ist vom
Flusse jedoch heute durch eine ununterbrochene Reihe von Dock-
anlagen geschieden, die für die ganze Schiffsbewegung von der
grössten Bedeutung sind. Es ist übrigens das Eigenthümliche aller
englischen und schottischen Häfen, dass sie fast durchwegs an
Flüssen gelegen sind, und dass ihre Hafenanlagen durch den Lauf
dieser Flüsse vorgezeichnet und zu einer Ausdehnung in die Länge
gezwungen werden.

Die Stadt Liverpool ist durchaus modern angelegt, da ja fast
Alles in unserem Jahrhunderte gebaut wurde. Man kann aber der Stadt,
welche einen ziemlich regelmässigen Charakter ihres Planes aufweist,
nicht nachrühmen, dass sie wesentlich Interessantes bietet, wenn auch
einzelne Baulichkeiten von stattlichem Umfange und architektonischer
Ausbildung vorhanden sind. Den eigentlichen Centralpunkt bildet die
St. Georges Hall, ein im Jahre 1854 vollendetes, in Form eines
korinthischen Tempels gehaltenes Gebäude, welches einen grossen
Raum für öffentliche Versammlungen und eine nicht minder ansehn-
liche Musikhalle enthält, und in dem auch die Localitäten für die
öffentlichen Gerichtssitzungen untergebracht sind. St. Georges Hall,
mit einem Kostenaufwande von 81/2 Millionen Gulden hergestellt und
mit verschiedenen Sculpturwerken äusserlich geziert, steht in Mitte
eines breiten Platzes, auf welchem Reiterstatuen der Königin Victoria
und ihres Gemahls, des Prinzen Albert, sowie des Lord Beaconsfield
sich befinden. Gegenüber der Halle liegt das Alexandertheater, auf

Der atlantische Ocean.
den Handel namentlich mit Nordamerika finden konnte. Jetzt wurde Baumwolle
ein Hauptartikel des Importes, und seither ist auch Liverpool der erste Stapel-
platz hiefür geblieben. Dazu kam dann noch die Entwicklung der Dampf-
schiffahrt, welche der Stadt die Ausnützung ihrer günstigen Position im Zusammen-
hange mit dem industriellen Aufschwunge im Westen Englands wesentlich er-
leichterte. So hat vor Allem die grosse Baumwollstadt Manchester in Liverpool
das Thor zur See gefunden. Die Bevölkerung ist auf fast 700.000 Seelen gestiegen,
hat sich also in unserem Jahrhundert verzehnfacht.

Betrachten wir nunmehr die in Lancashire unter 53° 24′ nördl.
Br. und 2° 57′ westl. L. v. Gr. gelegene Stadt, so finden wir sofort
einen wichtigen Umstand in der Gestaltung der maritimen Verhält-
nisse. Liverpool liegt an dem Mersey, welcher sich zu einem grossen
breiten Becken erweitert, das sich dann dort, wo am rechten Ufer
Liverpool und ihm gegenüber am anderen Ufer heute Birkenhead
sich befindet, wieder einigermassen verengt, um dann unterhalb dieser
beiden Punkte in die See zu münden. Der Mersey hat gute Tiefe,
wenn auch ein schwaches Gefälle und starke Unterschiede in Ebbe
und Flut. Die Stadt zieht sich am rechten Ufer hin, ist vom
Flusse jedoch heute durch eine ununterbrochene Reihe von Dock-
anlagen geschieden, die für die ganze Schiffsbewegung von der
grössten Bedeutung sind. Es ist übrigens das Eigenthümliche aller
englischen und schottischen Häfen, dass sie fast durchwegs an
Flüssen gelegen sind, und dass ihre Hafenanlagen durch den Lauf
dieser Flüsse vorgezeichnet und zu einer Ausdehnung in die Länge
gezwungen werden.

Die Stadt Liverpool ist durchaus modern angelegt, da ja fast
Alles in unserem Jahrhunderte gebaut wurde. Man kann aber der Stadt,
welche einen ziemlich regelmässigen Charakter ihres Planes aufweist,
nicht nachrühmen, dass sie wesentlich Interessantes bietet, wenn auch
einzelne Baulichkeiten von stattlichem Umfange und architektonischer
Ausbildung vorhanden sind. Den eigentlichen Centralpunkt bildet die
St. Georges Hall, ein im Jahre 1854 vollendetes, in Form eines
korinthischen Tempels gehaltenes Gebäude, welches einen grossen
Raum für öffentliche Versammlungen und eine nicht minder ansehn-
liche Musikhalle enthält, und in dem auch die Localitäten für die
öffentlichen Gerichtssitzungen untergebracht sind. St. Georges Hall,
mit einem Kostenaufwande von 8½ Millionen Gulden hergestellt und
mit verschiedenen Sculpturwerken äusserlich geziert, steht in Mitte
eines breiten Platzes, auf welchem Reiterstatuen der Königin Victoria
und ihres Gemahls, des Prinzen Albert, sowie des Lord Beaconsfield
sich befinden. Gegenüber der Halle liegt das Alexandertheater, auf

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[1026/1046] Der atlantische Ocean. den Handel namentlich mit Nordamerika finden konnte. Jetzt wurde Baumwolle ein Hauptartikel des Importes, und seither ist auch Liverpool der erste Stapel- platz hiefür geblieben. Dazu kam dann noch die Entwicklung der Dampf- schiffahrt, welche der Stadt die Ausnützung ihrer günstigen Position im Zusammen- hange mit dem industriellen Aufschwunge im Westen Englands wesentlich er- leichterte. So hat vor Allem die grosse Baumwollstadt Manchester in Liverpool das Thor zur See gefunden. Die Bevölkerung ist auf fast 700.000 Seelen gestiegen, hat sich also in unserem Jahrhundert verzehnfacht. Betrachten wir nunmehr die in Lancashire unter 53° 24′ nördl. Br. und 2° 57′ westl. L. v. Gr. gelegene Stadt, so finden wir sofort einen wichtigen Umstand in der Gestaltung der maritimen Verhält- nisse. Liverpool liegt an dem Mersey, welcher sich zu einem grossen breiten Becken erweitert, das sich dann dort, wo am rechten Ufer Liverpool und ihm gegenüber am anderen Ufer heute Birkenhead sich befindet, wieder einigermassen verengt, um dann unterhalb dieser beiden Punkte in die See zu münden. Der Mersey hat gute Tiefe, wenn auch ein schwaches Gefälle und starke Unterschiede in Ebbe und Flut. Die Stadt zieht sich am rechten Ufer hin, ist vom Flusse jedoch heute durch eine ununterbrochene Reihe von Dock- anlagen geschieden, die für die ganze Schiffsbewegung von der grössten Bedeutung sind. Es ist übrigens das Eigenthümliche aller englischen und schottischen Häfen, dass sie fast durchwegs an Flüssen gelegen sind, und dass ihre Hafenanlagen durch den Lauf dieser Flüsse vorgezeichnet und zu einer Ausdehnung in die Länge gezwungen werden. Die Stadt Liverpool ist durchaus modern angelegt, da ja fast Alles in unserem Jahrhunderte gebaut wurde. Man kann aber der Stadt, welche einen ziemlich regelmässigen Charakter ihres Planes aufweist, nicht nachrühmen, dass sie wesentlich Interessantes bietet, wenn auch einzelne Baulichkeiten von stattlichem Umfange und architektonischer Ausbildung vorhanden sind. Den eigentlichen Centralpunkt bildet die St. Georges Hall, ein im Jahre 1854 vollendetes, in Form eines korinthischen Tempels gehaltenes Gebäude, welches einen grossen Raum für öffentliche Versammlungen und eine nicht minder ansehn- liche Musikhalle enthält, und in dem auch die Localitäten für die öffentlichen Gerichtssitzungen untergebracht sind. St. Georges Hall, mit einem Kostenaufwande von 8½ Millionen Gulden hergestellt und mit verschiedenen Sculpturwerken äusserlich geziert, steht in Mitte eines breiten Platzes, auf welchem Reiterstatuen der Königin Victoria und ihres Gemahls, des Prinzen Albert, sowie des Lord Beaconsfield sich befinden. Gegenüber der Halle liegt das Alexandertheater, auf

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Zitationshilfe: Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891, S. 1026. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen01_1891/1046>, abgerufen am 23.11.2024.