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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891.

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Piräus.

Das heutige Piräus ist eine Schöpfung der neuesten Zeit. Seit
seiner einstigen Glanzperiode gerieth in der tiefen Nacht der Bar-
barei, die auf das Land sich gesenkt hatte, selbst der Name des
berühmten athenischen Hafens gänzlich in Vergessenheit. Bis zum
Jahre 1835, in welchem der Sitz der griechischen Regierung nach
Athen verlegt wurde, war die nur von Fischern bewohnte Bucht von
Piräus als Porto Leone bekannt, welcher Name von den Venetianern
herstammte und auf den 1687 dort gefundenen und nach Venedig
überführten Marmorlöwen (vor dem Seearsenale daselbst aufgestellt)
sich bezog.

Das alte Piräus durchlebte als glanzvolle Hafenstadt eine Periode von nahe-
zu vier Jahrhunderten, und zwar von 474 bis 86 v. Chr. Der Hafen war eine
Schöpfung des Themistokles, des Begründers der griechischen Seemacht, dessen
Standhaftigkeit der Sieg von Salamis, welcher die persische Macht gebrochen
hatte, zu verdanken war. Ja, Themistokles soll sogar geplant haben, die Haupt-
stadt Athen nach dem Piräus zu verlegen.

Bis zu den Perserkriegen war Phaleron der bescheidene Hafen von Athen;
dann erst trat die vorzüglich gelegene Bucht von Piräus an seine Stelle. Dort
entstanden grosse Hafenanlagen und Befestigungen und die neue Schöpfung war
nicht nur ein bedeutender Handelsplatz, sondern auch ein gewaltiger Kriegshafen.
Perikles vollführte den Ausbau der Hafenstadt nach dem einheitlichen Plane des
Hippodamos aus Milet und bald zählte sie ihrer prächtigen Bauwerke wegen zu
den schönsten Städten Griechenlands. Berühmt waren ihre Schiffshäuser, welche
die Athener mit den Propyläen und dem Parthenon verglichen.

Die "langen Mauern", welche die Verbindung Piräus' mit Athen für alle
Zeiten sichern sollten, wurden in den Jahren 460--456 aufgeführt. Allein nach
dem Siege Spartas über Athen (404) mussten die Mauern, sämmtliche Befesti-
gungen und die Schiffshäuser niedergerissen werden. Zehn Jahre später erstanden
diese Bauten neuerdings, und Piräus sowie Athen traten in eine neue Epoche der
Blüthe, die aber nur von kurzer Dauer war, denn zu lange hatte Athen und ganz
Hellas gezögert, den Kampf gegen Philipp von Makedonien kraftvoll aufzunehmen.
Die Schlacht bei Chäroneia (338) versetzte der griechischen Freiheit den Todes-
stoss. Nach dem unglücklichen Aufstande im Jahre 322 erhielt Athen sowohl
wie die Burg Munychia bei Piräus eine makedonische Besatzung. Die Occupation
währte fast ein Jahrhundert.

Dann kamen als Beherrscher die Römer, die nach Niederwerfung des
achäischen Bundes und der Zerstörung von Korinth (146 v. Chr.) Griechenland
und Makedonien zu einer römischen Provinz erklärten. Als aber die Athener an
die Seite des pontischen Königs Mithridates getreten waren, der den Kampf gegen
die Römer um die Herrschaft in Asien auf griechischem Boden entscheiden wollte,
ward die Stadt am 1. März 86 n. Chr. durch die Legionen unter Sulla gestürmt
und geplündert. Die Befestigungen des Piräus wurden abgetragen und erstanden
nie wieder.

Von dem berühmten Kantharos, dem Kriegshafen, wo Kriegs-
schiffe den Hafeneingang bewachten, und dem unter Lykurgos ent-

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Piräus.

Das heutige Piräus ist eine Schöpfung der neuesten Zeit. Seit
seiner einstigen Glanzperiode gerieth in der tiefen Nacht der Bar-
barei, die auf das Land sich gesenkt hatte, selbst der Name des
berühmten athenischen Hafens gänzlich in Vergessenheit. Bis zum
Jahre 1835, in welchem der Sitz der griechischen Regierung nach
Athen verlegt wurde, war die nur von Fischern bewohnte Bucht von
Piräus als Porto Leone bekannt, welcher Name von den Venetianern
herstammte und auf den 1687 dort gefundenen und nach Venedig
überführten Marmorlöwen (vor dem Seearsenale daselbst aufgestellt)
sich bezog.

Das alte Piräus durchlebte als glanzvolle Hafenstadt eine Periode von nahe-
zu vier Jahrhunderten, und zwar von 474 bis 86 v. Chr. Der Hafen war eine
Schöpfung des Themistokles, des Begründers der griechischen Seemacht, dessen
Standhaftigkeit der Sieg von Salamis, welcher die persische Macht gebrochen
hatte, zu verdanken war. Ja, Themistokles soll sogar geplant haben, die Haupt-
stadt Athen nach dem Piräus zu verlegen.

Bis zu den Perserkriegen war Phaleron der bescheidene Hafen von Athen;
dann erst trat die vorzüglich gelegene Bucht von Piräus an seine Stelle. Dort
entstanden grosse Hafenanlagen und Befestigungen und die neue Schöpfung war
nicht nur ein bedeutender Handelsplatz, sondern auch ein gewaltiger Kriegshafen.
Perikles vollführte den Ausbau der Hafenstadt nach dem einheitlichen Plane des
Hippodamos aus Milet und bald zählte sie ihrer prächtigen Bauwerke wegen zu
den schönsten Städten Griechenlands. Berühmt waren ihre Schiffshäuser, welche
die Athener mit den Propyläen und dem Parthenon verglichen.

Die „langen Mauern“, welche die Verbindung Piräus’ mit Athen für alle
Zeiten sichern sollten, wurden in den Jahren 460—456 aufgeführt. Allein nach
dem Siege Spartas über Athen (404) mussten die Mauern, sämmtliche Befesti-
gungen und die Schiffshäuser niedergerissen werden. Zehn Jahre später erstanden
diese Bauten neuerdings, und Piräus sowie Athen traten in eine neue Epoche der
Blüthe, die aber nur von kurzer Dauer war, denn zu lange hatte Athen und ganz
Hellas gezögert, den Kampf gegen Philipp von Makedonien kraftvoll aufzunehmen.
Die Schlacht bei Chäroneia (338) versetzte der griechischen Freiheit den Todes-
stoss. Nach dem unglücklichen Aufstande im Jahre 322 erhielt Athen sowohl
wie die Burg Munychia bei Piräus eine makedonische Besatzung. Die Occupation
währte fast ein Jahrhundert.

Dann kamen als Beherrscher die Römer, die nach Niederwerfung des
achäischen Bundes und der Zerstörung von Korinth (146 v. Chr.) Griechenland
und Makedonien zu einer römischen Provinz erklärten. Als aber die Athener an
die Seite des pontischen Königs Mithridates getreten waren, der den Kampf gegen
die Römer um die Herrschaft in Asien auf griechischem Boden entscheiden wollte,
ward die Stadt am 1. März 86 n. Chr. durch die Legionen unter Sulla gestürmt
und geplündert. Die Befestigungen des Piräus wurden abgetragen und erstanden
nie wieder.

Von dem berühmten Kantharos, dem Kriegshafen, wo Kriegs-
schiffe den Hafeneingang bewachten, und dem unter Lykurgos ent-

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[83/0103] Piräus. Das heutige Piräus ist eine Schöpfung der neuesten Zeit. Seit seiner einstigen Glanzperiode gerieth in der tiefen Nacht der Bar- barei, die auf das Land sich gesenkt hatte, selbst der Name des berühmten athenischen Hafens gänzlich in Vergessenheit. Bis zum Jahre 1835, in welchem der Sitz der griechischen Regierung nach Athen verlegt wurde, war die nur von Fischern bewohnte Bucht von Piräus als Porto Leone bekannt, welcher Name von den Venetianern herstammte und auf den 1687 dort gefundenen und nach Venedig überführten Marmorlöwen (vor dem Seearsenale daselbst aufgestellt) sich bezog. Das alte Piräus durchlebte als glanzvolle Hafenstadt eine Periode von nahe- zu vier Jahrhunderten, und zwar von 474 bis 86 v. Chr. Der Hafen war eine Schöpfung des Themistokles, des Begründers der griechischen Seemacht, dessen Standhaftigkeit der Sieg von Salamis, welcher die persische Macht gebrochen hatte, zu verdanken war. Ja, Themistokles soll sogar geplant haben, die Haupt- stadt Athen nach dem Piräus zu verlegen. Bis zu den Perserkriegen war Phaleron der bescheidene Hafen von Athen; dann erst trat die vorzüglich gelegene Bucht von Piräus an seine Stelle. Dort entstanden grosse Hafenanlagen und Befestigungen und die neue Schöpfung war nicht nur ein bedeutender Handelsplatz, sondern auch ein gewaltiger Kriegshafen. Perikles vollführte den Ausbau der Hafenstadt nach dem einheitlichen Plane des Hippodamos aus Milet und bald zählte sie ihrer prächtigen Bauwerke wegen zu den schönsten Städten Griechenlands. Berühmt waren ihre Schiffshäuser, welche die Athener mit den Propyläen und dem Parthenon verglichen. Die „langen Mauern“, welche die Verbindung Piräus’ mit Athen für alle Zeiten sichern sollten, wurden in den Jahren 460—456 aufgeführt. Allein nach dem Siege Spartas über Athen (404) mussten die Mauern, sämmtliche Befesti- gungen und die Schiffshäuser niedergerissen werden. Zehn Jahre später erstanden diese Bauten neuerdings, und Piräus sowie Athen traten in eine neue Epoche der Blüthe, die aber nur von kurzer Dauer war, denn zu lange hatte Athen und ganz Hellas gezögert, den Kampf gegen Philipp von Makedonien kraftvoll aufzunehmen. Die Schlacht bei Chäroneia (338) versetzte der griechischen Freiheit den Todes- stoss. Nach dem unglücklichen Aufstande im Jahre 322 erhielt Athen sowohl wie die Burg Munychia bei Piräus eine makedonische Besatzung. Die Occupation währte fast ein Jahrhundert. Dann kamen als Beherrscher die Römer, die nach Niederwerfung des achäischen Bundes und der Zerstörung von Korinth (146 v. Chr.) Griechenland und Makedonien zu einer römischen Provinz erklärten. Als aber die Athener an die Seite des pontischen Königs Mithridates getreten waren, der den Kampf gegen die Römer um die Herrschaft in Asien auf griechischem Boden entscheiden wollte, ward die Stadt am 1. März 86 n. Chr. durch die Legionen unter Sulla gestürmt und geplündert. Die Befestigungen des Piräus wurden abgetragen und erstanden nie wieder. Von dem berühmten Kantharos, dem Kriegshafen, wo Kriegs- schiffe den Hafeneingang bewachten, und dem unter Lykurgos ent- 11*

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Zitationshilfe: Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen01_1891/103>, abgerufen am 24.11.2024.