Athen gehören dem Reiche der zeitlosen Ideen an. Denkgesetze, allseitige Welterkenntniss, Wissenschaften, Sprache, Literatur und Kunst, Ge- sittung, veredelte Humanität: das sind die unsterblichen Thaten Athens gewesen. Das Verhältniss der Menschheit zur Stadt der Pallas -- und nur als solche, als die Metropole des hellenischen Heiden- thums, war sie die Quelle alles Schönen und die Mutter der Weis- heit, wie man sie selbst noch in den dunklen Jahrhunderten des Mittelalters mit traditioneller Ehrfurcht genannt hat --, dies Verhält- niss der Pietät wurde zu einem einzigartigen Cultus von idealer Natur. Er setzte immer das Bewusstsein des unvergänglichen Werthes der attischen Bildung voraus. Man darf sagen: Nur wer die Weihen des Geistes genommen hatte, konnte den Genius Athens verstehen; nur die Aristokratie der Geister hat Athen verehrt. Auch Barbaren konnten die weltbeherrschende Grösse und Majestät Roms bewundern; aber was hätte einem Alarich oder Attila die Stadt des Plato und Phidias zu sein vermocht? Zur Zeit, als sie den Gipfel ihres bürger- lichen Lebens erstiegen hatte, nannte sie Perikles die Schule des ganzen Griechenlands. Isokrates bezeichnete ihre Bedeutung mit diesen Worten: dass sie durch ihre Weisheit und Beredsamkeit alle anderen Völker übertroffen habe, dass ihre Schüler die Lehrer Anderer ge- worden seien, dass es der Geist sei, der die Griechen kennzeichnet, und dass diese weniger die gemeinsame Abstammung, als die ethische Bildung zu Hellenen mache. Die wahrhaft schöpferische Epoche Athens umfasste nur einen kleinen Zeitraum, und doch genügte derselbe zur Hervorbringung einer kaum zu übersehenden Fülle von ewig giltigen Meisterwerken der Cultur, die in mancher Richtung kein folgendes Zeitalter mehr zu erreichen vermocht hat."
Westlich von Piräus gewahrt man zwischen der bergigen Insel Salamis und den kahlen, steil zum Meere abfallenden Skaramanga- höhen die nach dem Golf von Eleusis führende berühmte Enge von Salamis, an deren Westseite die Ambelakibucht, der Schauplatz der am 20. September 480 v. Chr. heldenmüthig geschlagenen Befreiungs- schlacht, liegt, in welcher die übermächtige Flotte des Xerxes von der griechischen völlig vernichtet worden war. Xerxes soll, die Nieder- lage der Griechen voll Siegeszuversicht erwartend, auf einer gegen- wärtig "Thron des Xerxes" genannten Höhe nächst der Küste dem Kampfe beigewohnt und laut aufgejammert haben, als er den Unter- gang seiner Flotte sich vollziehen sah Aeschylos, der selbst in der Schlacht mitkämpfte, hat in seinen "Persern" eine lebendige Schil- derung des Kampfes auf uns vererbt.
Das Mittelmeerbecken.
Athen gehören dem Reiche der zeitlosen Ideen an. Denkgesetze, allseitige Welterkenntniss, Wissenschaften, Sprache, Literatur und Kunst, Ge- sittung, veredelte Humanität: das sind die unsterblichen Thaten Athens gewesen. Das Verhältniss der Menschheit zur Stadt der Pallas — und nur als solche, als die Metropole des hellenischen Heiden- thums, war sie die Quelle alles Schönen und die Mutter der Weis- heit, wie man sie selbst noch in den dunklen Jahrhunderten des Mittelalters mit traditioneller Ehrfurcht genannt hat —, dies Verhält- niss der Pietät wurde zu einem einzigartigen Cultus von idealer Natur. Er setzte immer das Bewusstsein des unvergänglichen Werthes der attischen Bildung voraus. Man darf sagen: Nur wer die Weihen des Geistes genommen hatte, konnte den Genius Athens verstehen; nur die Aristokratie der Geister hat Athen verehrt. Auch Barbaren konnten die weltbeherrschende Grösse und Majestät Roms bewundern; aber was hätte einem Alarich oder Attila die Stadt des Plato und Phidias zu sein vermocht? Zur Zeit, als sie den Gipfel ihres bürger- lichen Lebens erstiegen hatte, nannte sie Perikles die Schule des ganzen Griechenlands. Isokrates bezeichnete ihre Bedeutung mit diesen Worten: dass sie durch ihre Weisheit und Beredsamkeit alle anderen Völker übertroffen habe, dass ihre Schüler die Lehrer Anderer ge- worden seien, dass es der Geist sei, der die Griechen kennzeichnet, und dass diese weniger die gemeinsame Abstammung, als die ethische Bildung zu Hellenen mache. Die wahrhaft schöpferische Epoche Athens umfasste nur einen kleinen Zeitraum, und doch genügte derselbe zur Hervorbringung einer kaum zu übersehenden Fülle von ewig giltigen Meisterwerken der Cultur, die in mancher Richtung kein folgendes Zeitalter mehr zu erreichen vermocht hat.“
Westlich von Piräus gewahrt man zwischen der bergigen Insel Salamis und den kahlen, steil zum Meere abfallenden Skaramanga- höhen die nach dem Golf von Eleusis führende berühmte Enge von Salamis, an deren Westseite die Ambelakibucht, der Schauplatz der am 20. September 480 v. Chr. heldenmüthig geschlagenen Befreiungs- schlacht, liegt, in welcher die übermächtige Flotte des Xerxes von der griechischen völlig vernichtet worden war. Xerxes soll, die Nieder- lage der Griechen voll Siegeszuversicht erwartend, auf einer gegen- wärtig „Thron des Xerxes“ genannten Höhe nächst der Küste dem Kampfe beigewohnt und laut aufgejammert haben, als er den Unter- gang seiner Flotte sich vollziehen sah Aeschylos, der selbst in der Schlacht mitkämpfte, hat in seinen „Persern“ eine lebendige Schil- derung des Kampfes auf uns vererbt.
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Das Mittelmeerbecken.
Athen gehören dem Reiche der zeitlosen Ideen an. Denkgesetze, allseitige
Welterkenntniss, Wissenschaften, Sprache, Literatur und Kunst, Ge-
sittung, veredelte Humanität: das sind die unsterblichen Thaten
Athens gewesen. Das Verhältniss der Menschheit zur Stadt der Pallas
— und nur als solche, als die Metropole des hellenischen Heiden-
thums, war sie die Quelle alles Schönen und die Mutter der Weis-
heit, wie man sie selbst noch in den dunklen Jahrhunderten des
Mittelalters mit traditioneller Ehrfurcht genannt hat —, dies Verhält-
niss der Pietät wurde zu einem einzigartigen Cultus von idealer
Natur. Er setzte immer das Bewusstsein des unvergänglichen Werthes
der attischen Bildung voraus. Man darf sagen: Nur wer die Weihen
des Geistes genommen hatte, konnte den Genius Athens verstehen;
nur die Aristokratie der Geister hat Athen verehrt. Auch Barbaren
konnten die weltbeherrschende Grösse und Majestät Roms bewundern;
aber was hätte einem Alarich oder Attila die Stadt des Plato und
Phidias zu sein vermocht? Zur Zeit, als sie den Gipfel ihres bürger-
lichen Lebens erstiegen hatte, nannte sie Perikles die Schule des
ganzen Griechenlands. Isokrates bezeichnete ihre Bedeutung mit diesen
Worten: dass sie durch ihre Weisheit und Beredsamkeit alle anderen
Völker übertroffen habe, dass ihre Schüler die Lehrer Anderer ge-
worden seien, dass es der Geist sei, der die Griechen kennzeichnet,
und dass diese weniger die gemeinsame Abstammung, als die ethische
Bildung zu Hellenen mache. Die wahrhaft schöpferische Epoche Athens
umfasste nur einen kleinen Zeitraum, und doch genügte derselbe zur
Hervorbringung einer kaum zu übersehenden Fülle von ewig giltigen
Meisterwerken der Cultur, die in mancher Richtung kein folgendes
Zeitalter mehr zu erreichen vermocht hat.“
Westlich von Piräus gewahrt man zwischen der bergigen Insel
Salamis und den kahlen, steil zum Meere abfallenden Skaramanga-
höhen die nach dem Golf von Eleusis führende berühmte Enge von
Salamis, an deren Westseite die Ambelakibucht, der Schauplatz der
am 20. September 480 v. Chr. heldenmüthig geschlagenen Befreiungs-
schlacht, liegt, in welcher die übermächtige Flotte des Xerxes von
der griechischen völlig vernichtet worden war. Xerxes soll, die Nieder-
lage der Griechen voll Siegeszuversicht erwartend, auf einer gegen-
wärtig „Thron des Xerxes“ genannten Höhe nächst der Küste dem
Kampfe beigewohnt und laut aufgejammert haben, als er den Unter-
gang seiner Flotte sich vollziehen sah Aeschylos, der selbst in der
Schlacht mitkämpfte, hat in seinen „Persern“ eine lebendige Schil-
derung des Kampfes auf uns vererbt.
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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen01_1891/102>, abgerufen am 24.11.2024.
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