Lehmann, Rudolf: Deutsche Poetik. München, 1908.ple_059.001 ple_059.006 ple_059.009 ple_059.028 7. Poetik als Wertlehre. Bedingungen der dichterischen Wirkung. ple_059.029 ple_059.042 ple_059.001 ple_059.006 ple_059.009 ple_059.028 7. Poetik als Wertlehre. Bedingungen der dichterischen Wirkung. ple_059.029 ple_059.042 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0073" n="59"/><lb n="ple_059.001"/> wird. Aber es zeigt sich doch auch hier wiederum, daß, wo die einheitliche <lb n="ple_059.002"/> Intention grundsätzlich aus dem Auge gelassen wird, wie das in Lachmanns <lb n="ple_059.003"/> Untersuchungen über die Ilias und das Nibelungenlied geschah, auch <lb n="ple_059.004"/> die genetische Erklärung leicht auf schiefe Wege und zu falschen Ergebnissen <lb n="ple_059.005"/> führt.</p> <p><lb n="ple_059.006"/> So bestätigt sich denn auch hier, daß die beiden Weisen der Interpretation <lb n="ple_059.007"/> aufeinander angewiesen sind, und daß die ästhetische Erklärung wissenschaftlich <lb n="ple_059.008"/> nicht weniger berechtigt und notwendig ist als die genetische.</p> <p><lb n="ple_059.009"/> Von besonderer Wichtigkeit ist, um zum Schluß auch hierauf hinzuweisen, <lb n="ple_059.010"/> das Verhältnis beider Erklärungsweisen für den deutschen Unterricht, <lb n="ple_059.011"/> besonders in den oberen Klassen. Die Grundlage für das Verständnis <lb n="ple_059.012"/> der gelesenen Dichtungen wird hier stets die sachliche und künstlerische <lb n="ple_059.013"/> Interpretation bleiben müssen, und die Grundzüge wissenschaftlicher <lb n="ple_059.014"/> Hermeneutik zeichnen — hierin liegt ein nicht geringer Teil ihrer <lb n="ple_059.015"/> Bedeutung — stets auch den Gang der didaktischen Überlieferung vor. <lb n="ple_059.016"/> Ist aber durch das ästhetische Verständnis eine feste Grundlage gelegt, so <lb n="ple_059.017"/> wird nun hieraus eine genetische Einsicht gewonnen werden können, indem <lb n="ple_059.018"/> der Unterricht, was bisher im einzelnen behandelt worden ist, nunmehr <lb n="ple_059.019"/> zusammenfaßt und in biographische und geschichtliche Zusammenhänge <lb n="ple_059.020"/> bringt, und damit wird der Schüler auch das einzelne in neuem <lb n="ple_059.021"/> klärenden Lichte sehen. So folgen hier naturgemäß die beiden Arten der <lb n="ple_059.022"/> Erklärung als zwei Unterrichtsziele, zwei Stufen des Verständnisses auf und <lb n="ple_059.023"/> auseinander. Allein ich muß mich an dieser Stelle eines näheren Eingehens <lb n="ple_059.024"/> auf die didaktische Seite der Sache enthalten, einmal weil sie bereits in <lb n="ple_059.025"/> diesem Handbuch ausführlich behandelt ist, und zweitens weil ich das, <lb n="ple_059.026"/> was ich darüber zu sagen hätte, schon vor Jahren in meinem Buche über <lb n="ple_059.027"/> den deutschen Unterricht gesagt habe.</p> </div> <div n="3"> <head> <lb n="ple_059.028"/> <hi rendition="#b">7. Poetik als Wertlehre. Bedingungen der dichterischen Wirkung.</hi> </head> <p><lb n="ple_059.029"/> Von der Poetik erwartete man früher nicht sowohl Einführung in das <lb n="ple_059.030"/> Verständnis der Dichtung, wie Anleitung zur Kritik. Man suchte durch <lb n="ple_059.031"/> sie einen Maßstab zu gewinnen, nach dem die echte Kunst von der <lb n="ple_059.032"/> falschen, das Wertvolle von dem äußerlich Wirksamen, aber Nichtigen, <lb n="ple_059.033"/> im ganzen und im einzelnen mit Sicherheit unterschieden werden könnte. <lb n="ple_059.034"/> Das hat dereinst die Kunstlehre unserer Klassiker geleistet, und wir <lb n="ple_059.035"/> haben im zweiten Abschnitt gesehen, warum sie es leisten konnte. <lb n="ple_059.036"/> Diese Kunstlehre war Bestandteil einer umfassenden moralisch-ästhetischen <lb n="ple_059.037"/> Welt- und Lebensanschauung, die für ihre Ideale den Anspruch auf unbedingte <lb n="ple_059.038"/> Geltung erhob und in der Poesie ihren höchsten Ausdruck sah. <lb n="ple_059.039"/> Eben deshalb aber konnte sie nur diejenigen poetischen Richtungen und <lb n="ple_059.040"/> Schöpfungen als wertvoll anerkennen, die der Form wie dem Inhalt nach <lb n="ple_059.041"/> diesen Idealen entsprachen.</p> <p><lb n="ple_059.042"/> Analoge Erscheinungen finden wir in dem klassischen Zeitalter der <lb n="ple_059.043"/> französischen Dichtung, ja, wir finden sie bereits im hellenischen Kunstleben. </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [59/0073]
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wird. Aber es zeigt sich doch auch hier wiederum, daß, wo die einheitliche ple_059.002
Intention grundsätzlich aus dem Auge gelassen wird, wie das in Lachmanns ple_059.003
Untersuchungen über die Ilias und das Nibelungenlied geschah, auch ple_059.004
die genetische Erklärung leicht auf schiefe Wege und zu falschen Ergebnissen ple_059.005
führt.
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So bestätigt sich denn auch hier, daß die beiden Weisen der Interpretation ple_059.007
aufeinander angewiesen sind, und daß die ästhetische Erklärung wissenschaftlich ple_059.008
nicht weniger berechtigt und notwendig ist als die genetische.
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Von besonderer Wichtigkeit ist, um zum Schluß auch hierauf hinzuweisen, ple_059.010
das Verhältnis beider Erklärungsweisen für den deutschen Unterricht, ple_059.011
besonders in den oberen Klassen. Die Grundlage für das Verständnis ple_059.012
der gelesenen Dichtungen wird hier stets die sachliche und künstlerische ple_059.013
Interpretation bleiben müssen, und die Grundzüge wissenschaftlicher ple_059.014
Hermeneutik zeichnen — hierin liegt ein nicht geringer Teil ihrer ple_059.015
Bedeutung — stets auch den Gang der didaktischen Überlieferung vor. ple_059.016
Ist aber durch das ästhetische Verständnis eine feste Grundlage gelegt, so ple_059.017
wird nun hieraus eine genetische Einsicht gewonnen werden können, indem ple_059.018
der Unterricht, was bisher im einzelnen behandelt worden ist, nunmehr ple_059.019
zusammenfaßt und in biographische und geschichtliche Zusammenhänge ple_059.020
bringt, und damit wird der Schüler auch das einzelne in neuem ple_059.021
klärenden Lichte sehen. So folgen hier naturgemäß die beiden Arten der ple_059.022
Erklärung als zwei Unterrichtsziele, zwei Stufen des Verständnisses auf und ple_059.023
auseinander. Allein ich muß mich an dieser Stelle eines näheren Eingehens ple_059.024
auf die didaktische Seite der Sache enthalten, einmal weil sie bereits in ple_059.025
diesem Handbuch ausführlich behandelt ist, und zweitens weil ich das, ple_059.026
was ich darüber zu sagen hätte, schon vor Jahren in meinem Buche über ple_059.027
den deutschen Unterricht gesagt habe.
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7. Poetik als Wertlehre. Bedingungen der dichterischen Wirkung. ple_059.029
Von der Poetik erwartete man früher nicht sowohl Einführung in das ple_059.030
Verständnis der Dichtung, wie Anleitung zur Kritik. Man suchte durch ple_059.031
sie einen Maßstab zu gewinnen, nach dem die echte Kunst von der ple_059.032
falschen, das Wertvolle von dem äußerlich Wirksamen, aber Nichtigen, ple_059.033
im ganzen und im einzelnen mit Sicherheit unterschieden werden könnte. ple_059.034
Das hat dereinst die Kunstlehre unserer Klassiker geleistet, und wir ple_059.035
haben im zweiten Abschnitt gesehen, warum sie es leisten konnte. ple_059.036
Diese Kunstlehre war Bestandteil einer umfassenden moralisch-ästhetischen ple_059.037
Welt- und Lebensanschauung, die für ihre Ideale den Anspruch auf unbedingte ple_059.038
Geltung erhob und in der Poesie ihren höchsten Ausdruck sah. ple_059.039
Eben deshalb aber konnte sie nur diejenigen poetischen Richtungen und ple_059.040
Schöpfungen als wertvoll anerkennen, die der Form wie dem Inhalt nach ple_059.041
diesen Idealen entsprachen.
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Analoge Erscheinungen finden wir in dem klassischen Zeitalter der ple_059.043
französischen Dichtung, ja, wir finden sie bereits im hellenischen Kunstleben.
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