Lehmann, Rudolf: Deutsche Poetik. München, 1908.ple_006.001 ple_006.007 ple_006.027 1) ple_006.042
Vgl. W. Dilthey, Die Einbildungskraft des Dichters. Bausteine zu einer Poetik. ple_006.043 Philos. Aufsätze, Zeller gewidmet. Straßburg 1887. S. 318. ple_006.001 ple_006.007 ple_006.027 1) ple_006.042
Vgl. W. Dilthey, Die Einbildungskraft des Dichters. Bausteine zu einer Poetik. ple_006.043 Philos. Aufsätze, Zeller gewidmet. Straßburg 1887. S. 318. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0020" n="6"/><lb n="ple_006.001"/> Kunstwerke, welche als die absolut wertvollen Vorbilder aller späteren <lb n="ple_006.002"/> künstlerischen Schöpfungen anerkannt waren, oder wie es Schiller in jenem <lb n="ple_006.003"/> Brief ausdrückte, „durch das Faktum eine Idee realisierten“. Daher konnte <lb n="ple_006.004"/> auch die Induktion, die hieraus gewonnen wurde, den Anspruch darauf <lb n="ple_006.005"/> machen, absolute Norm zu sein.<note xml:id="ple_006_1" place="foot" n="1)"><lb n="ple_006.042"/> Vgl. <hi rendition="#k">W. Dilthey,</hi> Die Einbildungskraft des Dichters. Bausteine zu einer Poetik. <lb n="ple_006.043"/> Philos. Aufsätze, Zeller gewidmet. Straßburg 1887. S. 318.</note> Die Wertung der aristotelischen Poetik <lb n="ple_006.006"/> ist nur ein Symptom der Wertung des Altertums überhaupt.</p> <p><lb n="ple_006.007"/> Der eigentlich entscheidende Zug in der Kunsttheorie unserer klassischen <lb n="ple_006.008"/> Dichter ist nun aber der, daß sie nicht nur die Formen und technischen <lb n="ple_006.009"/> Bedingungen der Poesie endgültig zu erfassen und zu bestimmen, <lb n="ple_006.010"/> sondern zugleich oder vielmehr darüber hinaus eine Welt- und Lebensanschauung <lb n="ple_006.011"/> zu gewinnen strebten, deren unmittelbarer Ausdruck die Dichtung <lb n="ple_006.012"/> sein sollte. Im Verlauf des 18. Jahrhunderts tritt in der deutschen <lb n="ple_006.013"/> Literatur mit wachsender Deutlichkeit und Kraft das Ringen nach einer <lb n="ple_006.014"/> solchen umfassenden Lebensphilosophie hervor. Eine neue Art, Natur und <lb n="ple_006.015"/> Menschen zu sehen, ihre Handlungen und Erscheinungen zu werten, bahnt <lb n="ple_006.016"/> sich an, und an dieser Bewegung hat das Streben, die Kunst und insbesondere <lb n="ple_006.017"/> die Poesie in ihrer Bedeutung zu erfassen und ihre wahre Aufgabe <lb n="ple_006.018"/> zu erkennen, einen wesentlichen Anteil. Daß diese Aufgabe nur in <lb n="ple_006.019"/> einem solchen allgemeinen Zusammenhang richtig begriffen werden konnte, <lb n="ple_006.020"/> daß die Dichtung mehr wollte und sollte als einem unmittelbaren Trieb <lb n="ple_006.021"/> der schöpferischen oder aufnehmenden Phantasie genügen, darüber herrschte <lb n="ple_006.022"/> von vorneherein ein stillschweigendes Einverständnis. Hieraus aber mußte <lb n="ple_006.023"/> eine Poetik hervorgehen, welche einerseits durchaus gesetzgebend auftrat, <lb n="ple_006.024"/> anderseits aber dem Dichter seine Aufgabe nicht aus dem eigenen <hi rendition="#g">Wesen <lb n="ple_006.025"/> der Kunst</hi> heraus, sondern aus allgemeinen Gedankengängen, zumeist <lb n="ple_006.026"/> moralischer Art vorzeichnete.</p> <p><lb n="ple_006.027"/> Schon <hi rendition="#g">Gottsched,</hi> welcher der literarischen Bewegung den ersten Anstoß <lb n="ple_006.028"/> gegeben hat, verlangte von der Dichtkunst, daß sie zum Ausdruck seiner <lb n="ple_006.029"/> sehr unkünstlerischen Lebensanschauung werden sollte. Es war die Aufklärung, <lb n="ple_006.030"/> in deren Dienst er sich und seine Sache mit naiv beschränkter Siegeszuversicht <lb n="ple_006.031"/> stellte; und der moralische Gesichtspunkt war seitdem auf mehr <lb n="ple_006.032"/> als ein Menschenalter hinaus in der Wertung der Poesie und ihrer Aufgabe <lb n="ple_006.033"/> nicht zu erschüttern. Auch Gottscheds Schweizer Gegner huldigten diesem <lb n="ple_006.034"/> Gesichtspunkt, obwohl er mit ihren Grundanschaungen kaum eine innere <lb n="ple_006.035"/> Verwandtschaft hatte. Und Lessing hat wenigstens die höchsten Gattungen <lb n="ple_006.036"/> der Poesie, Tragödie und Komödie, aus moralischen Antrieben abzuleiten <lb n="ple_006.037"/> gesucht, wenn auch in einer freieren und geschickteren Weise als die <lb n="ple_006.038"/> rationalistische Ästhetik Gottscheds und der Franzosen. Aber Lebenskraft <lb n="ple_006.039"/> und Selbständigkeit erhielt die ästhetische Bewegung erst durch den Einfluß <lb n="ple_006.040"/> zweier Gedankenkreise, die ursprünglich wenig oder gar nichts mit der <lb n="ple_006.041"/> Poetik zu tun hatten und gleichwohl von verschiedenen Zentren aus entscheidend </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [6/0020]
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Kunstwerke, welche als die absolut wertvollen Vorbilder aller späteren ple_006.002
künstlerischen Schöpfungen anerkannt waren, oder wie es Schiller in jenem ple_006.003
Brief ausdrückte, „durch das Faktum eine Idee realisierten“. Daher konnte ple_006.004
auch die Induktion, die hieraus gewonnen wurde, den Anspruch darauf ple_006.005
machen, absolute Norm zu sein. 1) Die Wertung der aristotelischen Poetik ple_006.006
ist nur ein Symptom der Wertung des Altertums überhaupt.
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Der eigentlich entscheidende Zug in der Kunsttheorie unserer klassischen ple_006.008
Dichter ist nun aber der, daß sie nicht nur die Formen und technischen ple_006.009
Bedingungen der Poesie endgültig zu erfassen und zu bestimmen, ple_006.010
sondern zugleich oder vielmehr darüber hinaus eine Welt- und Lebensanschauung ple_006.011
zu gewinnen strebten, deren unmittelbarer Ausdruck die Dichtung ple_006.012
sein sollte. Im Verlauf des 18. Jahrhunderts tritt in der deutschen ple_006.013
Literatur mit wachsender Deutlichkeit und Kraft das Ringen nach einer ple_006.014
solchen umfassenden Lebensphilosophie hervor. Eine neue Art, Natur und ple_006.015
Menschen zu sehen, ihre Handlungen und Erscheinungen zu werten, bahnt ple_006.016
sich an, und an dieser Bewegung hat das Streben, die Kunst und insbesondere ple_006.017
die Poesie in ihrer Bedeutung zu erfassen und ihre wahre Aufgabe ple_006.018
zu erkennen, einen wesentlichen Anteil. Daß diese Aufgabe nur in ple_006.019
einem solchen allgemeinen Zusammenhang richtig begriffen werden konnte, ple_006.020
daß die Dichtung mehr wollte und sollte als einem unmittelbaren Trieb ple_006.021
der schöpferischen oder aufnehmenden Phantasie genügen, darüber herrschte ple_006.022
von vorneherein ein stillschweigendes Einverständnis. Hieraus aber mußte ple_006.023
eine Poetik hervorgehen, welche einerseits durchaus gesetzgebend auftrat, ple_006.024
anderseits aber dem Dichter seine Aufgabe nicht aus dem eigenen Wesen ple_006.025
der Kunst heraus, sondern aus allgemeinen Gedankengängen, zumeist ple_006.026
moralischer Art vorzeichnete.
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Schon Gottsched, welcher der literarischen Bewegung den ersten Anstoß ple_006.028
gegeben hat, verlangte von der Dichtkunst, daß sie zum Ausdruck seiner ple_006.029
sehr unkünstlerischen Lebensanschauung werden sollte. Es war die Aufklärung, ple_006.030
in deren Dienst er sich und seine Sache mit naiv beschränkter Siegeszuversicht ple_006.031
stellte; und der moralische Gesichtspunkt war seitdem auf mehr ple_006.032
als ein Menschenalter hinaus in der Wertung der Poesie und ihrer Aufgabe ple_006.033
nicht zu erschüttern. Auch Gottscheds Schweizer Gegner huldigten diesem ple_006.034
Gesichtspunkt, obwohl er mit ihren Grundanschaungen kaum eine innere ple_006.035
Verwandtschaft hatte. Und Lessing hat wenigstens die höchsten Gattungen ple_006.036
der Poesie, Tragödie und Komödie, aus moralischen Antrieben abzuleiten ple_006.037
gesucht, wenn auch in einer freieren und geschickteren Weise als die ple_006.038
rationalistische Ästhetik Gottscheds und der Franzosen. Aber Lebenskraft ple_006.039
und Selbständigkeit erhielt die ästhetische Bewegung erst durch den Einfluß ple_006.040
zweier Gedankenkreise, die ursprünglich wenig oder gar nichts mit der ple_006.041
Poetik zu tun hatten und gleichwohl von verschiedenen Zentren aus entscheidend
1) ple_006.042
Vgl. W. Dilthey, Die Einbildungskraft des Dichters. Bausteine zu einer Poetik. ple_006.043
Philos. Aufsätze, Zeller gewidmet. Straßburg 1887. S. 318.
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