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Lehmann, Rudolf: Deutsche Poetik. München, 1908.

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sind. So die Fallstaff-Szenen in Heinrich IV., die Gloster-Handlung im ple_181.002
Lear, auch die Tragödie Max Piccolominis im Wallenstein, die der Dichter ple_181.003
freilich, so fest er es vermochte, mit der tragischen Entwicklung des Helden ple_181.004
selbst vernietet hat. Geradezu Prinzip der Komposition ist die Doppelhandlung ple_181.005
im Lustspiel geworden. Aus dem Bedürfnis einer fortschreitenden ple_181.006
und interessierenden Handlung einerseits, aus der Überlieferung der ple_181.007
Clownrolle andrerseits, auf die das Publikum, vielleicht auch der Dichter, ple_181.008
nicht verzichten mochte, entstand auf der englischen Bühne die Gewohnheit, ple_181.009
Szenen ernsthaften Inhalts oder feinerer Komik mit Auftritten drastisch ple_181.010
derben Humors abwechseln zu lassen, und beide Reihen sind dann immer ple_181.011
nur durch äußere Fäden, durch eine oder die andere gemeinsame Person ple_181.012
oder verbindende Wendung verknüpft. So in Shakespeares Was ihr wollt, ple_181.013
in der bezähmten Widerspenstigen, im Sommernachtstraum und Viel Lärm ple_181.014
um nichts; im Kaufmann von Venedig ist der Parallelismus sogar ein dreifacher. ple_181.015
Auch das französische Lustspiel des 18. Jahrhunderts zeigt die ple_181.016
Doppelheit ernsterer und komischer Szenen, zumeist im Gegensatz zwischen ple_181.017
Herrschaft und Dienerschaft, und seit Lessings Minna von Barnhelm ist ple_181.018
diese Doppelheit der Handlung auf der deutschen Bühne so üblich geworden, ple_181.019
daß nur wenige umfangreichere Lustspiele einen schlanken und ple_181.020
einfachen Gang der Handlung zeigen: unter den klassischen Komödien ple_181.021
besonders Kleists Zerbrochener Krug und Grillparzers "Weh' dem, der lügt!".

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Im allgemeinen haben die deutschen Dramatiker von Lessing an den ple_181.023
Mittelweg zwischen dem allzu streng bindenden Formengesetz der Franzosen ple_181.024
und der bisweilen allzu lockeren Kompositionsweise Shakespeares ple_181.025
gesucht, und sie haben recht daran getan. Das moderne Milieudrama jedoch ple_181.026
ist aus inneren Gründen zu der strengeren Fassung der Einheit ple_181.027
zurückgekehrt. Insbesondere für Ibsens Dramatik, wie sie vorhin charakterisiert ple_181.028
worden ist, ergibt sich die Einschränkung nach Ort, Zeit und Personenzahl ple_181.029
nicht nur zumeist selbstverständlich aus dem Inhalt und der ple_181.030
Form der Enthüllungstragödie, sondern sie gereicht auch dem künstlerischen ple_181.031
Gesamteindruck zum wesentlichen Vorteil. Wenn der Dichter vor ple_181.032
allem Gefühl und Verständnis dafür erwecken will, wie die Charaktere und ple_181.033
Handlungen seiner Personen aus ihrer Umwelt erwachsen, so kann er ple_181.034
offenbar nichts Besseres tun, als auch die Zuschauer für die Dauer des ple_181.035
Stückes in dem Bannkreis dieser Welt festzustellen. Wir leben einige ple_181.036
Stunden oder Tage in dem bestimmten Umkreis, dem die handelnden Personen ple_181.037
angehören, wir atmen drei Akte hindurch die beklemmende Fjordluft ple_181.038
der Gespenster, die mit leisem Moderduft durchzogene vornehme ple_181.039
Atmosphäre von Rosmersholm. Eine Intimität des Nachempfindens und ple_181.040
Miterlebens bis in die kaum ausgesprochenen Einzelheiten hinein wird ple_181.041
hierdurch ermöglicht, die in weiter ausgreifenden Kompositionen, wo mehr ple_181.042
Menschen und verschiedene Schauplätze an uns vorüberziehen, ein für ple_181.043
allemal nicht erreicht werden kann.

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Lear, auch die Tragödie Max Piccolominis im Wallenstein, die der Dichter ple_181.003
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einfachen Gang der Handlung zeigen: unter den klassischen Komödien ple_181.021
besonders Kleists Zerbrochener Krug und Grillparzers „Weh' dem, der lügt!“.

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Im allgemeinen haben die deutschen Dramatiker von Lessing an den ple_181.023
Mittelweg zwischen dem allzu streng bindenden Formengesetz der Franzosen ple_181.024
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Form der Enthüllungstragödie, sondern sie gereicht auch dem künstlerischen ple_181.031
Gesamteindruck zum wesentlichen Vorteil. Wenn der Dichter vor ple_181.032
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Zitationshilfe: Lehmann, Rudolf: Deutsche Poetik. München, 1908, S. 181. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehmann_poetik_1908/195>, abgerufen am 26.12.2024.