Die Frauenbewegung und die Frauenstimmrechts- bewegung sind in ihrem geistigen Zusammenhang nicht voneinander zu trennen. Ueberall, wo die Frauenbewegung festen Boden gewonnen hat, wo die vielseitigen Bestrebungen zur Hebung der sitt- lichen, geistigen und rechtlichen Stellung der Frau ein klares Programm, eine feste Organisation ge- schaffen haben, wird die Frauenstimmrechtsbewe- gung einsetzen. Sie wird bewußt oder unbewußt in die Erscheinung treten, wenn es gilt, den Frauen ein Mitbestimmungsrecht auf irgendeinem Gebiet einzu- räumen, auf welchem weibliche Interessen zu ver- treten sind und auf dem der Mann bisher allein zu entscheiden hatte.
Frauenbewegung und Frauenstimmrechtsbewe- gung als organisierte Bestrebungen sind die Errun- genschaften des letzten Jahrhunderts.
Von jeher schon haben aber hervorragende Denker beiderlei Geschlechts die Anerkennung der Frauen als gleichberechtigte Staatsbürgerinnen in deren eigenem Interesse und zum Wohle des Staa- tes gefordert.
Es sei an Platos Lehre vom Staat erinnert, der den Frauen die Fälligkeit zuspricht, bei glei- cher Ausbildung den besten, zur Volkserziehung be- rufenen Bürgern zugesellt zu werden, an den Aus- spruch Condorcets (1742-92), des Präsidenten der gesetzgebenden Versammlung in Paris: "Wir halten es für eines der natürlichsten Rechte des Menschen, in gemeinschaftlichen Angelegenheiten ent- weder persönlich oder durch frei gewählte Reprä- sentanten zu stimmen. Ist es nicht in ihrer Eigen-
Die Frauenbewegung und die Frauenstimmrechts- bewegung sind in ihrem geistigen Zusammenhang nicht voneinander zu trennen. Ueberall, wo die Frauenbewegung festen Boden gewonnen hat, wo die vielseitigen Bestrebungen zur Hebung der sitt- lichen, geistigen und rechtlichen Stellung der Frau ein klares Programm, eine feste Organisation ge- schaffen haben, wird die Frauenstimmrechtsbewe- gung einsetzen. Sie wird bewußt oder unbewußt in die Erscheinung treten, wenn es gilt, den Frauen ein Mitbestimmungsrecht auf irgendeinem Gebiet einzu- räumen, auf welchem weibliche Interessen zu ver- treten sind und auf dem der Mann bisher allein zu entscheiden hatte.
Frauenbewegung und Frauenstimmrechtsbewe- gung als organisierte Bestrebungen sind die Errun- genschaften des letzten Jahrhunderts.
Von jeher schon haben aber hervorragende Denker beiderlei Geschlechts die Anerkennung der Frauen als gleichberechtigte Staatsbürgerinnen in deren eigenem Interesse und zum Wohle des Staa- tes gefordert.
Es sei an Platos Lehre vom Staat erinnert, der den Frauen die Fälligkeit zuspricht, bei glei- cher Ausbildung den besten, zur Volkserziehung be- rufenen Bürgern zugesellt zu werden, an den Aus- spruch Condorcets (1742-92), des Präsidenten der gesetzgebenden Versammlung in Paris: „Wir halten es für eines der natürlichsten Rechte des Menschen, in gemeinschaftlichen Angelegenheiten ent- weder persönlich oder durch frei gewählte Reprä- sentanten zu stimmen. Ist es nicht in ihrer Eigen-
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[[5]/0005]
Die Frauenbewegung und die Frauenstimmrechts-
bewegung sind in ihrem geistigen Zusammenhang
nicht voneinander zu trennen. Ueberall, wo die
Frauenbewegung festen Boden gewonnen hat, wo
die vielseitigen Bestrebungen zur Hebung der sitt-
lichen, geistigen und rechtlichen Stellung der Frau
ein klares Programm, eine feste Organisation ge-
schaffen haben, wird die Frauenstimmrechtsbewe-
gung einsetzen. Sie wird bewußt oder unbewußt in
die Erscheinung treten, wenn es gilt, den Frauen ein
Mitbestimmungsrecht auf irgendeinem Gebiet einzu-
räumen, auf welchem weibliche Interessen zu ver-
treten sind und auf dem der Mann bisher allein
zu entscheiden hatte.
Frauenbewegung und Frauenstimmrechtsbewe-
gung als organisierte Bestrebungen sind die Errun-
genschaften des letzten Jahrhunderts.
Von jeher schon haben aber hervorragende
Denker beiderlei Geschlechts die Anerkennung der
Frauen als gleichberechtigte Staatsbürgerinnen in
deren eigenem Interesse und zum Wohle des Staa-
tes gefordert.
Es sei an Platos Lehre vom Staat erinnert,
der den Frauen die Fälligkeit zuspricht, bei glei-
cher Ausbildung den besten, zur Volkserziehung be-
rufenen Bürgern zugesellt zu werden, an den Aus-
spruch Condorcets (1742-92), des Präsidenten
der gesetzgebenden Versammlung in Paris: „Wir
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Menschen, in gemeinschaftlichen Angelegenheiten ent-
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Ledermann, Frieda: Zur Geschichte der Frauenstimmrechtsbewegung. Berlin, 1918, S. [5]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ledermann_frauenstimmrechtsbewegung_1918/5>, abgerufen am 16.07.2024.
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