Eine gewisse Wahrscheinlichkeit besitzt endlich die Ansicht mancher Praktiker, dass auch der im erstarrten Stahle im legirten, d. h. fest gewordenen Zustande zurückgebliebene Wasserstoffgehalt der Stahl- sorten nicht ohne nachtheiligen Einfluss auf ihre physikalischen Eigen- schaften sei; und dass der Tiegelgussstahl, der überhaupt weniger Gelegenheit zur Auflösung von Wasserstoff findet, auch aus diesem Grunde sich vor anderen Flussstahlsorten vortheilhaft auszeichne.
Obgleich, wie sich aus der Besprechung der Tiegelgussstahldar- stellung ergiebt, die Zusammensetzung des Stahles ausserordentlich mannigfaltig sein kann, so mögen doch einige Analysen bewährter Tiegelgussstahlsorten als Beispiele dafür dienen, wie man diese Zusam- mensetzung für die verschiedene ins Auge gefasste Verwendung regelt.
1)
Analysen von Wolframstahl wurden bereits auf S. 263 mitgetheilt; Chromstahl zu Werkzeugen stellt man, wie schon erwähnt wurde, mit einem Chromgehalte von selten mehr als 1 Proc., gewöhnlich nur 0.3--0.5 Proc. bei einem Kohlenstoffgehalte von etwa 1 Proc. oder etwas weniger dar.
Tiegelgussstahl für Feilen, Grabstichel, harte Drehstähle u. s. w. pflegt 1--1.2 Proc. Kohlenstoff, für Gewindebohrer, Schneidbacken, Reibahlen u. s. w. 0.8--1 Proc. Kohlenstoff, für Prägstempel, Meissel 0.75 Proc. Kohlenstoff zu enthalten.
8. Der Martinprocess.
Einleitung.
Man versteht unter der Bezeichnung Martinprocess die Darstellung von Flusseisen auf dem Herde eines Flammofens (englisch open-hearth- process). Schon in den vierziger und fünfziger Jahren dieses Jahr- hunderts wurden verschiedentliche Versuche gemacht, durch Zusammen- schmelzen von Roheisen und Schmiedeeisen im Herdflammofen Stahl zu erzeugen; einen befriedigenden Erfolg ergaben diese Versuche erst, nachdem man durch Einführung der Siemensfeuerungen die Möglich- keit erlangt hatte, höhere Temperaturen als bisher bei Flammöfen zu erreichen. Im Jahre 1865 führten zuerst die Gebrüder Martin in Sireuil in einem von W. Siemens zu diesem Zwecke gebauten Ofen einen regelmässigen Betrieb ein.
Die Materialien für die Herstellung des Martineisens können, wie
1) Berg- und hüttenm. Zeitung 1870, Nr. 29.
Ledebur, Handbuch. 55
Der Martinprocess.
Eine gewisse Wahrscheinlichkeit besitzt endlich die Ansicht mancher Praktiker, dass auch der im erstarrten Stahle im legirten, d. h. fest gewordenen Zustande zurückgebliebene Wasserstoffgehalt der Stahl- sorten nicht ohne nachtheiligen Einfluss auf ihre physikalischen Eigen- schaften sei; und dass der Tiegelgussstahl, der überhaupt weniger Gelegenheit zur Auflösung von Wasserstoff findet, auch aus diesem Grunde sich vor anderen Flussstahlsorten vortheilhaft auszeichne.
Obgleich, wie sich aus der Besprechung der Tiegelgussstahldar- stellung ergiebt, die Zusammensetzung des Stahles ausserordentlich mannigfaltig sein kann, so mögen doch einige Analysen bewährter Tiegelgussstahlsorten als Beispiele dafür dienen, wie man diese Zusam- mensetzung für die verschiedene ins Auge gefasste Verwendung regelt.
1)
Analysen von Wolframstahl wurden bereits auf S. 263 mitgetheilt; Chromstahl zu Werkzeugen stellt man, wie schon erwähnt wurde, mit einem Chromgehalte von selten mehr als 1 Proc., gewöhnlich nur 0.3—0.5 Proc. bei einem Kohlenstoffgehalte von etwa 1 Proc. oder etwas weniger dar.
Tiegelgussstahl für Feilen, Grabstichel, harte Drehstähle u. s. w. pflegt 1—1.2 Proc. Kohlenstoff, für Gewindebohrer, Schneidbacken, Reibahlen u. s. w. 0.8—1 Proc. Kohlenstoff, für Prägstempel, Meissel 0.75 Proc. Kohlenstoff zu enthalten.
8. Der Martinprocess.
Einleitung.
Man versteht unter der Bezeichnung Martinprocess die Darstellung von Flusseisen auf dem Herde eines Flammofens (englisch open-hearth- process). Schon in den vierziger und fünfziger Jahren dieses Jahr- hunderts wurden verschiedentliche Versuche gemacht, durch Zusammen- schmelzen von Roheisen und Schmiedeeisen im Herdflammofen Stahl zu erzeugen; einen befriedigenden Erfolg ergaben diese Versuche erst, nachdem man durch Einführung der Siemensfeuerungen die Möglich- keit erlangt hatte, höhere Temperaturen als bisher bei Flammöfen zu erreichen. Im Jahre 1865 führten zuerst die Gebrüder Martin in Sireuil in einem von W. Siemens zu diesem Zwecke gebauten Ofen einen regelmässigen Betrieb ein.
Die Materialien für die Herstellung des Martineisens können, wie
1) Berg- und hüttenm. Zeitung 1870, Nr. 29.
Ledebur, Handbuch. 55
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><pbfacs="#f0937"n="857"/><fwplace="top"type="header">Der Martinprocess.</fw><lb/><p>Eine gewisse Wahrscheinlichkeit besitzt endlich die Ansicht mancher<lb/>
Praktiker, dass auch der im erstarrten Stahle im legirten, d. h. fest<lb/>
gewordenen Zustande zurückgebliebene Wasserstoffgehalt der Stahl-<lb/>
sorten nicht ohne nachtheiligen Einfluss auf ihre physikalischen Eigen-<lb/>
schaften sei; und dass der Tiegelgussstahl, der überhaupt weniger<lb/>
Gelegenheit zur Auflösung von Wasserstoff findet, auch aus diesem<lb/>
Grunde sich vor anderen Flussstahlsorten vortheilhaft auszeichne.</p><lb/><p>Obgleich, wie sich aus der Besprechung der Tiegelgussstahldar-<lb/>
stellung ergiebt, die Zusammensetzung des Stahles ausserordentlich<lb/>
mannigfaltig sein kann, so mögen doch einige Analysen bewährter<lb/>
Tiegelgussstahlsorten als Beispiele dafür dienen, wie man diese Zusam-<lb/>
mensetzung für die verschiedene ins Auge gefasste Verwendung regelt.</p><lb/><table><row><cell><noteplace="foot"n="1)">Berg- und hüttenm. Zeitung 1870, Nr. 29.</note></cell></row></table><lb/><p>Analysen von Wolframstahl wurden bereits auf S. 263 mitgetheilt;<lb/>
Chromstahl zu Werkzeugen stellt man, wie schon erwähnt wurde, mit<lb/>
einem Chromgehalte von selten mehr als 1 Proc., gewöhnlich nur<lb/>
0.<hirendition="#sub">3</hi>—0.<hirendition="#sub">5</hi> Proc. bei einem Kohlenstoffgehalte von etwa 1 Proc. oder<lb/>
etwas weniger dar.</p><lb/><p>Tiegelgussstahl für Feilen, Grabstichel, harte Drehstähle u. s. w.<lb/>
pflegt 1—1.<hirendition="#sub">2</hi> Proc. Kohlenstoff, für Gewindebohrer, Schneidbacken,<lb/>
Reibahlen u. s. w. 0.<hirendition="#sub">8</hi>—1 Proc. Kohlenstoff, für Prägstempel, Meissel<lb/>
0.<hirendition="#sub">75</hi> Proc. Kohlenstoff zu enthalten.</p></div></div><lb/><divn="3"><head><hirendition="#b">8. Der Martinprocess.</hi></head><lb/><divn="4"><head><hirendition="#b">Einleitung.</hi></head><lb/><p>Man versteht unter der Bezeichnung Martinprocess die Darstellung<lb/>
von Flusseisen auf dem Herde eines Flammofens (englisch open-hearth-<lb/>
process). Schon in den vierziger und fünfziger Jahren dieses Jahr-<lb/>
hunderts wurden verschiedentliche Versuche gemacht, durch Zusammen-<lb/>
schmelzen von Roheisen und Schmiedeeisen im Herdflammofen Stahl<lb/>
zu erzeugen; einen befriedigenden Erfolg ergaben diese Versuche erst,<lb/>
nachdem man durch Einführung der Siemensfeuerungen die Möglich-<lb/>
keit erlangt hatte, höhere Temperaturen als bisher bei Flammöfen zu<lb/>
erreichen. Im Jahre 1865 führten zuerst die Gebrüder <hirendition="#g">Martin</hi> in<lb/>
Sireuil in einem von W. <hirendition="#g">Siemens</hi> zu diesem Zwecke gebauten Ofen<lb/>
einen regelmässigen Betrieb ein.</p><lb/><p>Die Materialien für die Herstellung des Martineisens können, wie<lb/><fwplace="bottom"type="sig"><hirendition="#g">Ledebur</hi>, Handbuch. 55</fw><lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[857/0937]
Der Martinprocess.
Eine gewisse Wahrscheinlichkeit besitzt endlich die Ansicht mancher
Praktiker, dass auch der im erstarrten Stahle im legirten, d. h. fest
gewordenen Zustande zurückgebliebene Wasserstoffgehalt der Stahl-
sorten nicht ohne nachtheiligen Einfluss auf ihre physikalischen Eigen-
schaften sei; und dass der Tiegelgussstahl, der überhaupt weniger
Gelegenheit zur Auflösung von Wasserstoff findet, auch aus diesem
Grunde sich vor anderen Flussstahlsorten vortheilhaft auszeichne.
Obgleich, wie sich aus der Besprechung der Tiegelgussstahldar-
stellung ergiebt, die Zusammensetzung des Stahles ausserordentlich
mannigfaltig sein kann, so mögen doch einige Analysen bewährter
Tiegelgussstahlsorten als Beispiele dafür dienen, wie man diese Zusam-
mensetzung für die verschiedene ins Auge gefasste Verwendung regelt.
1)
Analysen von Wolframstahl wurden bereits auf S. 263 mitgetheilt;
Chromstahl zu Werkzeugen stellt man, wie schon erwähnt wurde, mit
einem Chromgehalte von selten mehr als 1 Proc., gewöhnlich nur
0.3—0.5 Proc. bei einem Kohlenstoffgehalte von etwa 1 Proc. oder
etwas weniger dar.
Tiegelgussstahl für Feilen, Grabstichel, harte Drehstähle u. s. w.
pflegt 1—1.2 Proc. Kohlenstoff, für Gewindebohrer, Schneidbacken,
Reibahlen u. s. w. 0.8—1 Proc. Kohlenstoff, für Prägstempel, Meissel
0.75 Proc. Kohlenstoff zu enthalten.
8. Der Martinprocess.
Einleitung.
Man versteht unter der Bezeichnung Martinprocess die Darstellung
von Flusseisen auf dem Herde eines Flammofens (englisch open-hearth-
process). Schon in den vierziger und fünfziger Jahren dieses Jahr-
hunderts wurden verschiedentliche Versuche gemacht, durch Zusammen-
schmelzen von Roheisen und Schmiedeeisen im Herdflammofen Stahl
zu erzeugen; einen befriedigenden Erfolg ergaben diese Versuche erst,
nachdem man durch Einführung der Siemensfeuerungen die Möglich-
keit erlangt hatte, höhere Temperaturen als bisher bei Flammöfen zu
erreichen. Im Jahre 1865 führten zuerst die Gebrüder Martin in
Sireuil in einem von W. Siemens zu diesem Zwecke gebauten Ofen
einen regelmässigen Betrieb ein.
Die Materialien für die Herstellung des Martineisens können, wie
1) Berg- und hüttenm. Zeitung 1870, Nr. 29.
Ledebur, Handbuch. 55
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Ledebur, Adolf: Handbuch der Eisenhüttenkunde. Leipzig, 1884, S. 857. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ledebur_eisenhuettenkunde_1884/937>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.