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Ledebur, Adolf: Handbuch der Eisenhüttenkunde. Leipzig, 1884.

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Das metallurgisch-chemische Verhalten des Eisens und seiner Begleiter.
2. Krystallisation des Eisens.

Dass das chemisch reine Eisen im regulären Systeme krystallisire,
wurde bereits erwähnt.

Auf der Bruchfläche und in Hohlräumen des technisch dargestellten
Eisens aber lassen sich zwei ganz verschiedene Krystallformen unter-
scheiden.

Die eine derselben gehört ebenfalls dem regulären Systeme an.
Die betreffenden Krystalle jedoch erscheinen niemals in vollkommener
Ausbildung, sondern sie bestehen aus Gerippen, deren Umrisse das
reguläre Oktaeder erkennen lassen und welche nur aus rechtwinkligen
Balken erster, zweiter und dritter Ordnung mit abnehmenden Graden
der Vollkommenheit zusammengesetzt sind. 1) Fig. 50 zeigt das gewöhn-

[Abbildung] Fig. 50.
liche Aussehen dieser Krystalle, die man in
der Praxis einer gewissen Aehnlichkeit mit
der Form eines Tannenbäumchens halber wohl
als "Tannenbaumkrystalle" bezeichnet. Am
häufigsten und grössten (mitunter mit einem
Durchmesser von mehreren Centimetern) fin-
den sie sich in Drusenräumen des grauen
Roheisens, deren Wände oft vollständig mit
diesen Krystallen bedeckt sind; aber auch im
weissen Roheisen wie im gegossenen schmied-
baren Eisen lassen sie sich, obschon sie hier
selten die Grösse wie im grauen Roheisen
erreichen, theils mit unbewaffnetem Auge,
theils mit der Lupe oder dem Mikroskope
deutlich erkennen.

Man pflegt nach Tunner 2) diese Kry-
stalle als krystallisirtes "reines" oder "freies"
Eisen zu betrachten, welches beim Erstarren infolge einer stattfindenden
Saigerung aus dem mit anderen Körpern legirten Eisen sich trennte.
Der Umstand, dass gerade solche Eisensorten besonders reich an der-
artigen Bildungen zu sein pflegen, welche bei einem verhältnissmässig
hohen Gehalte an reinem Eisen eine Neigung besitzen, beim Erstarren
zu "saigern", d. h. in verschieden zusammengesetzte Körper zu zer-
fallen (die von fremden Stoffen reineren Sorten grauen Roheisens), ver-
leiht jener Annahme einen ziemlich hohen Grad von Wahrscheinlich-
keit. Dass bei der Analyse dieser Krystalle nicht etwa blos chemisch
reines Eisen gefunden wird, sondern dass die Zusammensetzung der-
selben ziemlich genau mit derjenigen übereinstimmt, welche das Mutter-
eisen besitzt, spricht nicht etwa gegen die erwähnte Theorie. Die Kry-
stalle sind aus der Krystallisation des erstarrenden freien Eisens her-
vorgegangen; mechanisch aber enthalten sie die fremden Stoffe ein-
geschlossen, welche im flüssigen Zustande mit dem Eisen legirt waren.
Ihre unfertige Form ist vielleicht eine Folge der Anwesenheit dieser
fremden Körper; und thatsächlich pflegen diejenigen Krystalle die

1) A. Knop, Molekularconstitution und Wachsthum der Krystalle. Leipzig
1867, S. 68.
2) Jahrbuch der Bergakademieen zu Leoben und Pribram, Bd. X (1861), S. 477.
Das metallurgisch-chemische Verhalten des Eisens und seiner Begleiter.
2. Krystallisation des Eisens.

Dass das chemisch reine Eisen im regulären Systeme krystallisire,
wurde bereits erwähnt.

Auf der Bruchfläche und in Hohlräumen des technisch dargestellten
Eisens aber lassen sich zwei ganz verschiedene Krystallformen unter-
scheiden.

Die eine derselben gehört ebenfalls dem regulären Systeme an.
Die betreffenden Krystalle jedoch erscheinen niemals in vollkommener
Ausbildung, sondern sie bestehen aus Gerippen, deren Umrisse das
reguläre Oktaeder erkennen lassen und welche nur aus rechtwinkligen
Balken erster, zweiter und dritter Ordnung mit abnehmenden Graden
der Vollkommenheit zusammengesetzt sind. 1) Fig. 50 zeigt das gewöhn-

[Abbildung] Fig. 50.
liche Aussehen dieser Krystalle, die man in
der Praxis einer gewissen Aehnlichkeit mit
der Form eines Tannenbäumchens halber wohl
als „Tannenbaumkrystalle“ bezeichnet. Am
häufigsten und grössten (mitunter mit einem
Durchmesser von mehreren Centimetern) fin-
den sie sich in Drusenräumen des grauen
Roheisens, deren Wände oft vollständig mit
diesen Krystallen bedeckt sind; aber auch im
weissen Roheisen wie im gegossenen schmied-
baren Eisen lassen sie sich, obschon sie hier
selten die Grösse wie im grauen Roheisen
erreichen, theils mit unbewaffnetem Auge,
theils mit der Lupe oder dem Mikroskope
deutlich erkennen.

Man pflegt nach Tunner 2) diese Kry-
stalle als krystallisirtes „reines“ oder „freies“
Eisen zu betrachten, welches beim Erstarren infolge einer stattfindenden
Saigerung aus dem mit anderen Körpern legirten Eisen sich trennte.
Der Umstand, dass gerade solche Eisensorten besonders reich an der-
artigen Bildungen zu sein pflegen, welche bei einem verhältnissmässig
hohen Gehalte an reinem Eisen eine Neigung besitzen, beim Erstarren
zu „saigern“, d. h. in verschieden zusammengesetzte Körper zu zer-
fallen (die von fremden Stoffen reineren Sorten grauen Roheisens), ver-
leiht jener Annahme einen ziemlich hohen Grad von Wahrscheinlich-
keit. Dass bei der Analyse dieser Krystalle nicht etwa blos chemisch
reines Eisen gefunden wird, sondern dass die Zusammensetzung der-
selben ziemlich genau mit derjenigen übereinstimmt, welche das Mutter-
eisen besitzt, spricht nicht etwa gegen die erwähnte Theorie. Die Kry-
stalle sind aus der Krystallisation des erstarrenden freien Eisens her-
vorgegangen; mechanisch aber enthalten sie die fremden Stoffe ein-
geschlossen, welche im flüssigen Zustande mit dem Eisen legirt waren.
Ihre unfertige Form ist vielleicht eine Folge der Anwesenheit dieser
fremden Körper; und thatsächlich pflegen diejenigen Krystalle die

1) A. Knop, Molekularconstitution und Wachsthum der Krystalle. Leipzig
1867, S. 68.
2) Jahrbuch der Bergakademieen zu Leoben und Přibram, Bd. X (1861), S. 477.
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[220/0266] Das metallurgisch-chemische Verhalten des Eisens und seiner Begleiter. 2. Krystallisation des Eisens. Dass das chemisch reine Eisen im regulären Systeme krystallisire, wurde bereits erwähnt. Auf der Bruchfläche und in Hohlräumen des technisch dargestellten Eisens aber lassen sich zwei ganz verschiedene Krystallformen unter- scheiden. Die eine derselben gehört ebenfalls dem regulären Systeme an. Die betreffenden Krystalle jedoch erscheinen niemals in vollkommener Ausbildung, sondern sie bestehen aus Gerippen, deren Umrisse das reguläre Oktaeder erkennen lassen und welche nur aus rechtwinkligen Balken erster, zweiter und dritter Ordnung mit abnehmenden Graden der Vollkommenheit zusammengesetzt sind. 1) Fig. 50 zeigt das gewöhn- [Abbildung Fig. 50.] liche Aussehen dieser Krystalle, die man in der Praxis einer gewissen Aehnlichkeit mit der Form eines Tannenbäumchens halber wohl als „Tannenbaumkrystalle“ bezeichnet. Am häufigsten und grössten (mitunter mit einem Durchmesser von mehreren Centimetern) fin- den sie sich in Drusenräumen des grauen Roheisens, deren Wände oft vollständig mit diesen Krystallen bedeckt sind; aber auch im weissen Roheisen wie im gegossenen schmied- baren Eisen lassen sie sich, obschon sie hier selten die Grösse wie im grauen Roheisen erreichen, theils mit unbewaffnetem Auge, theils mit der Lupe oder dem Mikroskope deutlich erkennen. Man pflegt nach Tunner 2) diese Kry- stalle als krystallisirtes „reines“ oder „freies“ Eisen zu betrachten, welches beim Erstarren infolge einer stattfindenden Saigerung aus dem mit anderen Körpern legirten Eisen sich trennte. Der Umstand, dass gerade solche Eisensorten besonders reich an der- artigen Bildungen zu sein pflegen, welche bei einem verhältnissmässig hohen Gehalte an reinem Eisen eine Neigung besitzen, beim Erstarren zu „saigern“, d. h. in verschieden zusammengesetzte Körper zu zer- fallen (die von fremden Stoffen reineren Sorten grauen Roheisens), ver- leiht jener Annahme einen ziemlich hohen Grad von Wahrscheinlich- keit. Dass bei der Analyse dieser Krystalle nicht etwa blos chemisch reines Eisen gefunden wird, sondern dass die Zusammensetzung der- selben ziemlich genau mit derjenigen übereinstimmt, welche das Mutter- eisen besitzt, spricht nicht etwa gegen die erwähnte Theorie. Die Kry- stalle sind aus der Krystallisation des erstarrenden freien Eisens her- vorgegangen; mechanisch aber enthalten sie die fremden Stoffe ein- geschlossen, welche im flüssigen Zustande mit dem Eisen legirt waren. Ihre unfertige Form ist vielleicht eine Folge der Anwesenheit dieser fremden Körper; und thatsächlich pflegen diejenigen Krystalle die 1) A. Knop, Molekularconstitution und Wachsthum der Krystalle. Leipzig 1867, S. 68. 2) Jahrbuch der Bergakademieen zu Leoben und Přibram, Bd. X (1861), S. 477.

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Zitationshilfe: Ledebur, Adolf: Handbuch der Eisenhüttenkunde. Leipzig, 1884, S. 220. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ledebur_eisenhuettenkunde_1884/266>, abgerufen am 23.11.2024.