Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 4. Leipzig u. a., 1778.Ueber Christusbilder. Bessere Christusbilder verdrängen schlechtere, und löschen den fatalen Eindruck von diesen Ferner: Je bessere Christusgesichter, desto mehr Glauben an Christus. Ein schö- Wer Christus lebendes Gesicht erkannte, in ihm Ebenbild des Vaters sah, der glaubte und Nur Mangel an physiognomischem Sinn war's, daß man Christus nicht Nicht jeder Christ kann ein Christusgesicht zeichnen. Aber gewiß der geschickteste Mahler Gesell- *) Jn einer Ausführung Christus von Rubens, die Herr von Mechel in Basel besitzt, ist das Christusge- sicht der leibhafte Rubens. J i i 2
Ueber Chriſtusbilder. Beſſere Chriſtusbilder verdraͤngen ſchlechtere, und loͤſchen den fatalen Eindruck von dieſen Ferner: Je beſſere Chriſtusgeſichter, deſto mehr Glauben an Chriſtus. Ein ſchoͤ- Wer Chriſtus lebendes Geſicht erkannte, in ihm Ebenbild des Vaters ſah, der glaubte und Nur Mangel an phyſiognomiſchem Sinn war’s, daß man Chriſtus nicht Nicht jeder Chriſt kann ein Chriſtusgeſicht zeichnen. Aber gewiß der geſchickteſte Mahler Geſell- *) Jn einer Ausfuͤhrung Chriſtus von Rubens, die Herr von Mechel in Baſel beſitzt, iſt das Chriſtusge- ſicht der leibhafte Rubens. J i i 2
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Ueber Chriſtusbilder.
Beſſere Chriſtusbilder verdraͤngen ſchlechtere, und loͤſchen den fatalen Eindruck von dieſen
aus, und machen ſie unertraͤglich.
Ferner: Je beſſere Chriſtusgeſichter, deſto mehr Glauben an Chriſtus. Ein ſchoͤ-
nes Chriſtusgeſicht wirkt Glauben an Chriſtus. Der Vater kann durch alles zum Sohne ziehen.
Alles giebt Chriſtus Zeugniß. Das allgemeine tauſendſtimmige Zeugniß von Chriſtus zu ſehen
und zu hoͤren — heiß ich Glauben und Geiſt haben.
Wer Chriſtus lebendes Geſicht erkannte, in ihm Ebenbild des Vaters ſah, der glaubte und
hatte Sinn fuͤr alle Wahrheit und Goͤttlichkeit.
Nur Mangel an phyſiognomiſchem Sinn war’s, daß man Chriſtus nicht
glaubte. Nur dieß Nichtgefuͤhl der Einfalt und Unſchuld ſeines Geſichtes konnte rufen: Hin-
weg mit ihm! Pilatus fuͤhlte etwas von dieſer Unſchuld, und darum koſtete es ihn ſo harten
Kampf zu urtheilen, daß ihr Begehren geſchehen ſollte — aber er fuͤhlte es nicht ganz; doch wuſch
er ſich die Haͤnde — Jch finde keine Schuld an ihm. Haͤtte er ſein Geſicht ganz gefuͤhlt; er
haͤtte ſich nicht uͤbertaͤuben laſſen. Aber es mußte ſo zugehen, damit die Schriften erfuͤllet
wuͤrden. — — Wenn ſie ihn erkennt haͤtten, haͤtten ſie den Herrn der Herrlichkeit nicht
gekreuzigt. Noch ein Paar Jahre wird’s Gelaͤchter — dann ernſte heilige Wahrheit ſeyn — Mit
dem Steigen und Sinken des Chriſtenthums ſteigt und ſinkt phyſiognomiſcher Sinn.
Mit dem Steigen und Sinken des Chriſtenthums ſteigt und ſinkt die Schoͤnheit der
Chriſtusgemaͤhlde.
Nicht jeder Chriſt kann ein Chriſtusgeſicht zeichnen. Aber gewiß der geſchickteſte Mahler
ohne Glauben und Liebe zu Chriſtus wird nichts ertraͤgliches ſchaffen. Jeder Mahler mahlt mehr
und minder ſich ſelbſt. *) Wie einer iſt, ſo mahlt er auch. — Jeder Chriſt hat ſo gewiß Zuͤ-
ge von Chriſtus, Mienen von Chriſtus, ſo gewiß er vom Geiſte Chriſtus hat. Wer das beſtrei-
tet, hat gewiß wenig Menſchen- und Chriſtuskenntniß. Demuth, Geiſtesſtaͤrke, Geduld, Glau-
be, Liebe, Hoffnung, haben in allen Welten dieſelben weſentlichen Grundzuͤge — Tugend Ei-
ner Art hat Einen Charakter; Chriſtustugend Chriſtuscharakter. Haben alle religioſe
Geſell-
*) Jn einer Ausfuͤhrung Chriſtus von Rubens, die Herr von Mechel in Baſel beſitzt, iſt das Chriſtusge-
ſicht der leibhafte Rubens.
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