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Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 4. Leipzig u. a., 1778.

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Beylagen verschiedener Porträte.
Beylage B. 25. Mannsköpfe.
Des IV Ban-
des XLI. Ta-
fel. W. Mr.

Fünf und zwanzig ohne Absicht zusammengestellte Mannsköpfe, die meistens aus Ei-
ner Stadt -- alle ohne Ausnahme etwas mißzeichnet. Bey vielen ist das Nasenläpp-
chen zu nah am Auge, wodurch allemal der Ausdruck kleinlich wird. Dieß ist besonders in 1, 2, 3,
5, 15. auffallend. Auch haben die meisten Augen etwas ähnliches unter sich, das ihnen nicht die
Natur, sondern der Zeichner gab.

Unter allen Gesichtern, wie sie da liegen, erscheint keines als rein groß.

Mein Urtheil über diese Gesichter ist folgendes:

1. Hat eine denkende Stirn und Nase. 2. Ein gutes Gedächtniß, und einen leicht überseh-
baren Wirkungskreis. 3. Ein treffendes, ausholendes Auge, Künstlerblick, Schalkslaune. 4. Be-
dächtlich und schüchtern, und hat Disposition zur Frömmigkeit. 5. Mehr Verstand als Geschmack.
6. Vermuthlich nur durch Zeichners Schuld -- ist viel Anlage zur Größe verdehnt, nicht ganz ver-
drängt. 7. Kalt, gesetzt, fest, richtig urtheilend. 8. Talent, Witz, Laune, Freyheit -- sind sichtbar.
9. Ein Gesicht voll Treue und Fleiß und Geschicklichkeit, die für Genie passirt. 10. Ein herzgu-
tes, edles Gesichtgen, das, so wie's da ist, viel verspräche. 11. Kalter, heller Verstand -- ver-
dorben durch Uebellaune, die der Zeichner beygoß. 12. Zu fader Kraftlosigkeit -- heraberniedri-
get -- vornehmlich durch die unnatürliche Disproportion des Raumes zwischen Aug und Nasen-
läppchen, und von da bis unten ans Kinn. 13. Das klügste Gesicht auf dieser Tafel. 14. Gut-
müthigkeit -- Harmlosigkeit, die durch die Kleinheit der Nase zu diesem Gesichte beynahe zu kin-
disch wird. 15. Durch die Gedehntheit des Untertheils des Gesichtes, die offenbar Zeichners Schuld
ist -- wie kalt, wie vergröbert! 16. Dienstfertige Treue -- ohne unternehmenden Geist. 17. Stirn
und Nase hellverständig. Der Mund witzreich und kalt und geschwätzig. 18. Feine Sinnlichkeit;
heller Blick; Leichtigkeit in allem. 19. Gemeine Beschränktheit. 20. Karrikatur, die keine Kraft
übrig gelassen hat. 21. Kann ein äußerst originelles Gesicht seyn; scheint aber vernachläßigt. 22.
Ohne Feinheit -- weibisch; geschwätzig, in sehr beschränktem Kreise verständig. 23. Das rechte
Auge zu tief; sonst Talentreich, weitblickend, wohlanstellig. 24. Mehr roh als dumm. 25. Be-
dächtlich, und zu allerley Machenschaft geschickt.

Beylage
Beylagen verſchiedener Portraͤte.
Beylage B. 25. Mannskoͤpfe.
Des IV Ban-
des XLI. Ta-
fel. W. Mr.

Fuͤnf und zwanzig ohne Abſicht zuſammengeſtellte Mannskoͤpfe, die meiſtens aus Ei-
ner Stadt — alle ohne Ausnahme etwas mißzeichnet. Bey vielen iſt das Naſenlaͤpp-
chen zu nah am Auge, wodurch allemal der Ausdruck kleinlich wird. Dieß iſt beſonders in 1, 2, 3,
5, 15. auffallend. Auch haben die meiſten Augen etwas aͤhnliches unter ſich, das ihnen nicht die
Natur, ſondern der Zeichner gab.

Unter allen Geſichtern, wie ſie da liegen, erſcheint keines als rein groß.

Mein Urtheil uͤber dieſe Geſichter iſt folgendes:

1. Hat eine denkende Stirn und Naſe. 2. Ein gutes Gedaͤchtniß, und einen leicht uͤberſeh-
baren Wirkungskreis. 3. Ein treffendes, ausholendes Auge, Kuͤnſtlerblick, Schalkslaune. 4. Be-
daͤchtlich und ſchuͤchtern, und hat Diſpoſition zur Froͤmmigkeit. 5. Mehr Verſtand als Geſchmack.
6. Vermuthlich nur durch Zeichners Schuld — iſt viel Anlage zur Groͤße verdehnt, nicht ganz ver-
draͤngt. 7. Kalt, geſetzt, feſt, richtig urtheilend. 8. Talent, Witz, Laune, Freyheit — ſind ſichtbar.
9. Ein Geſicht voll Treue und Fleiß und Geſchicklichkeit, die fuͤr Genie paſſirt. 10. Ein herzgu-
tes, edles Geſichtgen, das, ſo wie’s da iſt, viel verſpraͤche. 11. Kalter, heller Verſtand — ver-
dorben durch Uebellaune, die der Zeichner beygoß. 12. Zu fader Kraftloſigkeit — heraberniedri-
get — vornehmlich durch die unnatuͤrliche Disproportion des Raumes zwiſchen Aug und Naſen-
laͤppchen, und von da bis unten ans Kinn. 13. Das kluͤgſte Geſicht auf dieſer Tafel. 14. Gut-
muͤthigkeit — Harmloſigkeit, die durch die Kleinheit der Naſe zu dieſem Geſichte beynahe zu kin-
diſch wird. 15. Durch die Gedehntheit des Untertheils des Geſichtes, die offenbar Zeichners Schuld
iſt — wie kalt, wie vergroͤbert! 16. Dienſtfertige Treue — ohne unternehmenden Geiſt. 17. Stirn
und Naſe hellverſtaͤndig. Der Mund witzreich und kalt und geſchwaͤtzig. 18. Feine Sinnlichkeit;
heller Blick; Leichtigkeit in allem. 19. Gemeine Beſchraͤnktheit. 20. Karrikatur, die keine Kraft
uͤbrig gelaſſen hat. 21. Kann ein aͤußerſt originelles Geſicht ſeyn; ſcheint aber vernachlaͤßigt. 22.
Ohne Feinheit — weibiſch; geſchwaͤtzig, in ſehr beſchraͤnktem Kreiſe verſtaͤndig. 23. Das rechte
Auge zu tief; ſonſt Talentreich, weitblickend, wohlanſtellig. 24. Mehr roh als dumm. 25. Be-
daͤchtlich, und zu allerley Machenſchaft geſchickt.

Beylage
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[407/0505] Beylagen verſchiedener Portraͤte. Beylage B. 25. Mannskoͤpfe. Fuͤnf und zwanzig ohne Abſicht zuſammengeſtellte Mannskoͤpfe, die meiſtens aus Ei- ner Stadt — alle ohne Ausnahme etwas mißzeichnet. Bey vielen iſt das Naſenlaͤpp- chen zu nah am Auge, wodurch allemal der Ausdruck kleinlich wird. Dieß iſt beſonders in 1, 2, 3, 5, 15. auffallend. Auch haben die meiſten Augen etwas aͤhnliches unter ſich, das ihnen nicht die Natur, ſondern der Zeichner gab. Unter allen Geſichtern, wie ſie da liegen, erſcheint keines als rein groß. Mein Urtheil uͤber dieſe Geſichter iſt folgendes: 1. Hat eine denkende Stirn und Naſe. 2. Ein gutes Gedaͤchtniß, und einen leicht uͤberſeh- baren Wirkungskreis. 3. Ein treffendes, ausholendes Auge, Kuͤnſtlerblick, Schalkslaune. 4. Be- daͤchtlich und ſchuͤchtern, und hat Diſpoſition zur Froͤmmigkeit. 5. Mehr Verſtand als Geſchmack. 6. Vermuthlich nur durch Zeichners Schuld — iſt viel Anlage zur Groͤße verdehnt, nicht ganz ver- draͤngt. 7. Kalt, geſetzt, feſt, richtig urtheilend. 8. Talent, Witz, Laune, Freyheit — ſind ſichtbar. 9. Ein Geſicht voll Treue und Fleiß und Geſchicklichkeit, die fuͤr Genie paſſirt. 10. Ein herzgu- tes, edles Geſichtgen, das, ſo wie’s da iſt, viel verſpraͤche. 11. Kalter, heller Verſtand — ver- dorben durch Uebellaune, die der Zeichner beygoß. 12. Zu fader Kraftloſigkeit — heraberniedri- get — vornehmlich durch die unnatuͤrliche Disproportion des Raumes zwiſchen Aug und Naſen- laͤppchen, und von da bis unten ans Kinn. 13. Das kluͤgſte Geſicht auf dieſer Tafel. 14. Gut- muͤthigkeit — Harmloſigkeit, die durch die Kleinheit der Naſe zu dieſem Geſichte beynahe zu kin- diſch wird. 15. Durch die Gedehntheit des Untertheils des Geſichtes, die offenbar Zeichners Schuld iſt — wie kalt, wie vergroͤbert! 16. Dienſtfertige Treue — ohne unternehmenden Geiſt. 17. Stirn und Naſe hellverſtaͤndig. Der Mund witzreich und kalt und geſchwaͤtzig. 18. Feine Sinnlichkeit; heller Blick; Leichtigkeit in allem. 19. Gemeine Beſchraͤnktheit. 20. Karrikatur, die keine Kraft uͤbrig gelaſſen hat. 21. Kann ein aͤußerſt originelles Geſicht ſeyn; ſcheint aber vernachlaͤßigt. 22. Ohne Feinheit — weibiſch; geſchwaͤtzig, in ſehr beſchraͤnktem Kreiſe verſtaͤndig. 23. Das rechte Auge zu tief; ſonſt Talentreich, weitblickend, wohlanſtellig. 24. Mehr roh als dumm. 25. Be- daͤchtlich, und zu allerley Machenſchaft geſchickt. Beylage

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Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 4. Leipzig u. a., 1778, S. 407. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente04_1778/505>, abgerufen am 17.11.2024.