Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 4. Leipzig u. a., 1778.

Bild:
<< vorherige Seite

VI. Abschnitt. IV. Fragment.
sichtes keiner, obgleich nur erdichteten, obersten Gottheit würdig wäre; -- geschweige, daß ein ein-
ziger Zug von der Güte dessen drinn sey, den alle Götter anbeten. *) Aber ein herrliches Bild
großer menschlicher Stärke.

Unterste Stufe zur Kraft eines deorum genitor atque hominum sator -- Eiserne
Festigkeit und Bewußtseyn der Unüberwindlichkeit im Ganzen. Nicht Herkules zermalmende
Stärke; stillere, verschloßnere, mehr ehrwürdige als furchtbare Stärke -- Die Stirn ist für
den höchsten Ausdruck fester Stärke um etwas zu lang. Aber in der Form, der Lage der
Augenbraunen, und im Zwischenraume zwischen denselben, in der Tiefe und Form der Augen,
deren Winkel jedoch zu stumpf sind -- liegt eiserner Sinn; unerschütterliche, beynahe über-
menschliche Kraft, die aber durch die abgeschliffene Nase wieder vieles verliert. Vielleicht ist
auch der Knochen an der Hand, zu der Breite der Brust gerechnet, etwas zu schmal.



Hier noch ein Bild eines Matrosen, der allen Ausdruck unbeweglicher Felsenstärke
hat; so hat sich vielleicht physische Kraft ohne Seele und Reizbarkeit selten eingefleischt. Die
Tiefe unter der Nase allein zieht wieder was Beträchtliches von der sonst großen Stärke dieses
Gesichtes ab. Man bemerke besonders den geraden beynahe perpendikulären Umriß des Hin-

terhauptes
*) Von der Unterlippe ist alles Erhabene auf ewig
verbannt. Der Raum zwischen der Nase und der Mit-
tellinie des Mundes läßt keine Oberlippe zu, die der
untern entsprechen könnte. Und wäre sie kleiner als
[Spaltenumbruch] die untere, wie unwürdig! Weder Stirne noch Nase
sind Jupiterisch genug. So eine Nase hat kein Mensch,
der vergöttert wird. Der Blick des Auges ist kräftig,
aber nicht erhaben.

VI. Abſchnitt. IV. Fragment.
ſichtes keiner, obgleich nur erdichteten, oberſten Gottheit wuͤrdig waͤre; — geſchweige, daß ein ein-
ziger Zug von der Guͤte deſſen drinn ſey, den alle Goͤtter anbeten. *) Aber ein herrliches Bild
großer menſchlicher Staͤrke.

Unterſte Stufe zur Kraft eines deorum genitor atque hominum ſator — Eiſerne
Feſtigkeit und Bewußtſeyn der Unuͤberwindlichkeit im Ganzen. Nicht Herkules zermalmende
Staͤrke; ſtillere, verſchloßnere, mehr ehrwuͤrdige als furchtbare Staͤrke — Die Stirn iſt fuͤr
den hoͤchſten Ausdruck feſter Staͤrke um etwas zu lang. Aber in der Form, der Lage der
Augenbraunen, und im Zwiſchenraume zwiſchen denſelben, in der Tiefe und Form der Augen,
deren Winkel jedoch zu ſtumpf ſind — liegt eiſerner Sinn; unerſchuͤtterliche, beynahe uͤber-
menſchliche Kraft, die aber durch die abgeſchliffene Naſe wieder vieles verliert. Vielleicht iſt
auch der Knochen an der Hand, zu der Breite der Bruſt gerechnet, etwas zu ſchmal.



Hier noch ein Bild eines Matroſen, der allen Ausdruck unbeweglicher Felſenſtaͤrke
hat; ſo hat ſich vielleicht phyſiſche Kraft ohne Seele und Reizbarkeit ſelten eingefleiſcht. Die
Tiefe unter der Naſe allein zieht wieder was Betraͤchtliches von der ſonſt großen Staͤrke dieſes
Geſichtes ab. Man bemerke beſonders den geraden beynahe perpendikulaͤren Umriß des Hin-

terhauptes
*) Von der Unterlippe iſt alles Erhabene auf ewig
verbannt. Der Raum zwiſchen der Naſe und der Mit-
tellinie des Mundes laͤßt keine Oberlippe zu, die der
untern entſprechen koͤnnte. Und waͤre ſie kleiner als
[Spaltenumbruch] die untere, wie unwuͤrdig! Weder Stirne noch Naſe
ſind Jupiteriſch genug. So eine Naſe hat kein Menſch,
der vergoͤttert wird. Der Blick des Auges iſt kraͤftig,
aber nicht erhaben.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0436" n="360"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">VI.</hi> Ab&#x017F;chnitt. <hi rendition="#aq">IV.</hi> Fragment.</hi></fw><lb/>
&#x017F;ichtes keiner, obgleich nur erdichteten, ober&#x017F;ten Gottheit wu&#x0364;rdig wa&#x0364;re; &#x2014; ge&#x017F;chweige, daß ein ein-<lb/>
ziger Zug von der <hi rendition="#fr">Gu&#x0364;te</hi> de&#x017F;&#x017F;en drinn &#x017F;ey, <hi rendition="#fr">den alle Go&#x0364;tter anbeten.</hi> <note place="foot" n="*)">Von der Unterlippe i&#x017F;t alles Erhabene auf ewig<lb/>
verbannt. Der Raum zwi&#x017F;chen der Na&#x017F;e und der Mit-<lb/>
tellinie des Mundes la&#x0364;ßt keine Oberlippe zu, die der<lb/>
untern ent&#x017F;prechen ko&#x0364;nnte. Und wa&#x0364;re &#x017F;ie kleiner als<lb/><cb/>
die untere, wie unwu&#x0364;rdig! Weder Stirne noch Na&#x017F;e<lb/>
&#x017F;ind Jupiteri&#x017F;ch genug. So eine Na&#x017F;e hat kein Men&#x017F;ch,<lb/>
der vergo&#x0364;ttert wird. Der Blick des Auges i&#x017F;t kra&#x0364;ftig,<lb/>
aber nicht erhaben.</note> Aber ein herrliches Bild<lb/>
großer men&#x017F;chlicher Sta&#x0364;rke.</p><lb/>
            <p>Unter&#x017F;te Stufe zur Kraft eines <hi rendition="#aq">deorum genitor atque hominum &#x017F;ator</hi> &#x2014; Ei&#x017F;erne<lb/>
Fe&#x017F;tigkeit und Bewußt&#x017F;eyn der Unu&#x0364;berwindlichkeit im Ganzen. Nicht <hi rendition="#fr">Herkules</hi> zermalmende<lb/>
Sta&#x0364;rke; &#x017F;tillere, ver&#x017F;chloßnere, mehr ehrwu&#x0364;rdige als furchtbare Sta&#x0364;rke &#x2014; Die Stirn i&#x017F;t fu&#x0364;r<lb/>
den ho&#x0364;ch&#x017F;ten Ausdruck fe&#x017F;ter Sta&#x0364;rke um etwas zu lang. Aber in der Form, der Lage der<lb/>
Augenbraunen, und im Zwi&#x017F;chenraume zwi&#x017F;chen den&#x017F;elben, in der Tiefe und Form der Augen,<lb/>
deren Winkel jedoch zu &#x017F;tumpf &#x017F;ind &#x2014; liegt ei&#x017F;erner Sinn; uner&#x017F;chu&#x0364;tterliche, beynahe u&#x0364;ber-<lb/>
men&#x017F;chliche Kraft, die aber durch die abge&#x017F;chliffene Na&#x017F;e wieder vieles verliert. Vielleicht i&#x017F;t<lb/>
auch der Knochen an der Hand, zu der Breite der Bru&#x017F;t gerechnet, etwas zu &#x017F;chmal.</p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
            <p>Hier noch ein Bild eines Matro&#x017F;en, der allen Ausdruck unbeweglicher <hi rendition="#fr">Fel&#x017F;en&#x017F;ta&#x0364;rke</hi><lb/>
hat; &#x017F;o hat &#x017F;ich vielleicht phy&#x017F;i&#x017F;che Kraft ohne Seele und Reizbarkeit &#x017F;elten eingeflei&#x017F;cht. Die<lb/>
Tiefe unter der Na&#x017F;e allein zieht wieder was Betra&#x0364;chtliches von der &#x017F;on&#x017F;t großen Sta&#x0364;rke die&#x017F;es<lb/>
Ge&#x017F;ichtes ab. Man bemerke be&#x017F;onders den geraden beynahe perpendikula&#x0364;ren Umriß des Hin-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">terhauptes</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[360/0436] VI. Abſchnitt. IV. Fragment. ſichtes keiner, obgleich nur erdichteten, oberſten Gottheit wuͤrdig waͤre; — geſchweige, daß ein ein- ziger Zug von der Guͤte deſſen drinn ſey, den alle Goͤtter anbeten. *) Aber ein herrliches Bild großer menſchlicher Staͤrke. Unterſte Stufe zur Kraft eines deorum genitor atque hominum ſator — Eiſerne Feſtigkeit und Bewußtſeyn der Unuͤberwindlichkeit im Ganzen. Nicht Herkules zermalmende Staͤrke; ſtillere, verſchloßnere, mehr ehrwuͤrdige als furchtbare Staͤrke — Die Stirn iſt fuͤr den hoͤchſten Ausdruck feſter Staͤrke um etwas zu lang. Aber in der Form, der Lage der Augenbraunen, und im Zwiſchenraume zwiſchen denſelben, in der Tiefe und Form der Augen, deren Winkel jedoch zu ſtumpf ſind — liegt eiſerner Sinn; unerſchuͤtterliche, beynahe uͤber- menſchliche Kraft, die aber durch die abgeſchliffene Naſe wieder vieles verliert. Vielleicht iſt auch der Knochen an der Hand, zu der Breite der Bruſt gerechnet, etwas zu ſchmal. Hier noch ein Bild eines Matroſen, der allen Ausdruck unbeweglicher Felſenſtaͤrke hat; ſo hat ſich vielleicht phyſiſche Kraft ohne Seele und Reizbarkeit ſelten eingefleiſcht. Die Tiefe unter der Naſe allein zieht wieder was Betraͤchtliches von der ſonſt großen Staͤrke dieſes Geſichtes ab. Man bemerke beſonders den geraden beynahe perpendikulaͤren Umriß des Hin- terhauptes *) Von der Unterlippe iſt alles Erhabene auf ewig verbannt. Der Raum zwiſchen der Naſe und der Mit- tellinie des Mundes laͤßt keine Oberlippe zu, die der untern entſprechen koͤnnte. Und waͤre ſie kleiner als die untere, wie unwuͤrdig! Weder Stirne noch Naſe ſind Jupiteriſch genug. So eine Naſe hat kein Menſch, der vergoͤttert wird. Der Blick des Auges iſt kraͤftig, aber nicht erhaben.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente04_1778
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente04_1778/436
Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 4. Leipzig u. a., 1778, S. 360. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente04_1778/436>, abgerufen am 24.11.2024.