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Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 4. Leipzig u. a., 1778.

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VI. Abschnitt. IV. Fragment.
Viertes Fragment.
Einige Kennzeichen körperlicher Stärke und Schwäche.

Man heißt einen menschlichen Körper stark, der andre Körper leicht verändern, und durch an-
dere Körper nicht leicht verändert werden kann. Je mehr einer unmittelbar wirken, und je weniger
einer unmittelbar entwegt werden kann, desto stärker ist er. Desto schwächer, je weniger er wirken,
und den Wirkungen anderer widerstehen kann.

Es giebt stille Stärke, deren Wesen Unbeweglichkeit; und lebendige Stärke, deren Wesen
Bewegung ist. Diese sind zugleich außerordentlich unbeweglich, und außerordentlich bewegend.
Sie sind elastisch. Es giebt Felsenstärke und Federstärke.

Es giebt Herkules, die aus Knochen und Sehnen gebaut, dicht, fest, gedrängt, säulen-
artig stark sind.

Und unherkulische Helden, die nicht von so fester, dichter Natur und Statur, nicht so
untersetzt, nicht so steinern sind, und dennoch, wenn sie gereizt werden, wenn man ihrer Wirksam-
keit widerstehen will, dem Drucke so stark entgegen wirken, mit solcher elastischer Kraft dem Wi-
derstande widerstehen, als kaum die starkgebeintesten, sehnenreichsten zu thun im Stande sind.

Ein Elephant hat natürliche Knochenstärke; gereizt und ungereizt trägt er ungeheure La-
sten, und zerstampft mit seinem leisesten Fußtritt. -- Eine gereizte Wespe hat eine ganz andere Art
von Stärke. Beyde Arten der Stärke setzen Festigkeit der Grundtheile, und Festigkeit des Zu-
sammenhangs voraus.

Alle Lockerheit hebt Stärke auf.

Die Grundstärke eines Menschen, so wie seine Grundschwäche, ist also durch seine Lo-
ckerheit oder Unlockerheit leicht sichtbar. Auch die Elastizität eines Körpers hat auffallende Merk-
male, die nicht zulassen, daß man ihn mit dem unelastischen vermische. Der Fuß eines Elephan-
ten
und eines Hirsches, einer Wespe und einer Mücke -- welch ein sichtbarer Unterschied der
Stärke!

Stille, feste Stärke zeigt sich in proportionirter Gestalt, die jedoch eher etwas zu kurz,
als zu lang seyn darf;

Zeigt
VI. Abſchnitt. IV. Fragment.
Viertes Fragment.
Einige Kennzeichen koͤrperlicher Staͤrke und Schwaͤche.

Man heißt einen menſchlichen Koͤrper ſtark, der andre Koͤrper leicht veraͤndern, und durch an-
dere Koͤrper nicht leicht veraͤndert werden kann. Je mehr einer unmittelbar wirken, und je weniger
einer unmittelbar entwegt werden kann, deſto ſtaͤrker iſt er. Deſto ſchwaͤcher, je weniger er wirken,
und den Wirkungen anderer widerſtehen kann.

Es giebt ſtille Staͤrke, deren Weſen Unbeweglichkeit; und lebendige Staͤrke, deren Weſen
Bewegung iſt. Dieſe ſind zugleich außerordentlich unbeweglich, und außerordentlich bewegend.
Sie ſind elaſtiſch. Es giebt Felſenſtaͤrke und Federſtaͤrke.

Es giebt Herkules, die aus Knochen und Sehnen gebaut, dicht, feſt, gedraͤngt, ſaͤulen-
artig ſtark ſind.

Und unherkuliſche Helden, die nicht von ſo feſter, dichter Natur und Statur, nicht ſo
unterſetzt, nicht ſo ſteinern ſind, und dennoch, wenn ſie gereizt werden, wenn man ihrer Wirkſam-
keit widerſtehen will, dem Drucke ſo ſtark entgegen wirken, mit ſolcher elaſtiſcher Kraft dem Wi-
derſtande widerſtehen, als kaum die ſtarkgebeinteſten, ſehnenreichſten zu thun im Stande ſind.

Ein Elephant hat natuͤrliche Knochenſtaͤrke; gereizt und ungereizt traͤgt er ungeheure La-
ſten, und zerſtampft mit ſeinem leiſeſten Fußtritt. — Eine gereizte Weſpe hat eine ganz andere Art
von Staͤrke. Beyde Arten der Staͤrke ſetzen Feſtigkeit der Grundtheile, und Feſtigkeit des Zu-
ſammenhangs voraus.

Alle Lockerheit hebt Staͤrke auf.

Die Grundſtaͤrke eines Menſchen, ſo wie ſeine Grundſchwaͤche, iſt alſo durch ſeine Lo-
ckerheit oder Unlockerheit leicht ſichtbar. Auch die Elaſtizitaͤt eines Koͤrpers hat auffallende Merk-
male, die nicht zulaſſen, daß man ihn mit dem unelaſtiſchen vermiſche. Der Fuß eines Elephan-
ten
und eines Hirſches, einer Weſpe und einer Muͤcke — welch ein ſichtbarer Unterſchied der
Staͤrke!

Stille, feſte Staͤrke zeigt ſich in proportionirter Geſtalt, die jedoch eher etwas zu kurz,
als zu lang ſeyn darf;

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[358/0428] VI. Abſchnitt. IV. Fragment. Viertes Fragment. Einige Kennzeichen koͤrperlicher Staͤrke und Schwaͤche. Man heißt einen menſchlichen Koͤrper ſtark, der andre Koͤrper leicht veraͤndern, und durch an- dere Koͤrper nicht leicht veraͤndert werden kann. Je mehr einer unmittelbar wirken, und je weniger einer unmittelbar entwegt werden kann, deſto ſtaͤrker iſt er. Deſto ſchwaͤcher, je weniger er wirken, und den Wirkungen anderer widerſtehen kann. Es giebt ſtille Staͤrke, deren Weſen Unbeweglichkeit; und lebendige Staͤrke, deren Weſen Bewegung iſt. Dieſe ſind zugleich außerordentlich unbeweglich, und außerordentlich bewegend. Sie ſind elaſtiſch. Es giebt Felſenſtaͤrke und Federſtaͤrke. Es giebt Herkules, die aus Knochen und Sehnen gebaut, dicht, feſt, gedraͤngt, ſaͤulen- artig ſtark ſind. Und unherkuliſche Helden, die nicht von ſo feſter, dichter Natur und Statur, nicht ſo unterſetzt, nicht ſo ſteinern ſind, und dennoch, wenn ſie gereizt werden, wenn man ihrer Wirkſam- keit widerſtehen will, dem Drucke ſo ſtark entgegen wirken, mit ſolcher elaſtiſcher Kraft dem Wi- derſtande widerſtehen, als kaum die ſtarkgebeinteſten, ſehnenreichſten zu thun im Stande ſind. Ein Elephant hat natuͤrliche Knochenſtaͤrke; gereizt und ungereizt traͤgt er ungeheure La- ſten, und zerſtampft mit ſeinem leiſeſten Fußtritt. — Eine gereizte Weſpe hat eine ganz andere Art von Staͤrke. Beyde Arten der Staͤrke ſetzen Feſtigkeit der Grundtheile, und Feſtigkeit des Zu- ſammenhangs voraus. Alle Lockerheit hebt Staͤrke auf. Die Grundſtaͤrke eines Menſchen, ſo wie ſeine Grundſchwaͤche, iſt alſo durch ſeine Lo- ckerheit oder Unlockerheit leicht ſichtbar. Auch die Elaſtizitaͤt eines Koͤrpers hat auffallende Merk- male, die nicht zulaſſen, daß man ihn mit dem unelaſtiſchen vermiſche. Der Fuß eines Elephan- ten und eines Hirſches, einer Weſpe und einer Muͤcke — welch ein ſichtbarer Unterſchied der Staͤrke! Stille, feſte Staͤrke zeigt ſich in proportionirter Geſtalt, die jedoch eher etwas zu kurz, als zu lang ſeyn darf; Zeigt

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Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 4. Leipzig u. a., 1778, S. 358. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente04_1778/428>, abgerufen am 17.11.2024.