Bonnet hat, ohne daß wir ihm sonst in seiner Theorie ganz beystimmen könnten, diese Flickwerks- hypothese, die Büffon wohl schwerlich selber von Herzen glauben kann -- durch seine Touts orga- niques hinlänglich bestritten; aber, wie wir gleich hören werden, die Frage von der Aehnlichkeit zwischen Aeltern und Kindern ebenfalls eher ausgewichen, oder seiner Hypothese zu Liebe, die daher für sie entstehenden Schwierigkeiten mehr zu vermindern als zu beantworten gesucht.
BBonnet -- Sur les corps organises. T. I. C. V. §. 65. 66.
"Frage: Sind die Keime einer und ebenderselben Gattung organischer Körper einander "völlig gleich, oder individuell unterschieden? Sind sie nur nach den Organen, die das Geschlecht "charakterisiren, unterschieden? Oder giebt es eine ähnliche Verschiedenheit unter ihnen, wie die, so "wir unter den einzelnen Substanzen einer gleichen Gattung von Pflanzen oder Thieren beobachten?
"Antwort: Betrachten wir die unermeßlich abändernde Mannichfaltigkeit der einzelnen "Dinge, die in der Natur herrscht, so wird das Letztere uns am wahrscheinlichsten seyn. Die Ver- "schiedenheiten, die wir an den Jndividuen einer gleichen Gattung bemerken, hängen vielleicht viel- "mehr von der ersten Gestaltung des Keims ab, als von der Zusammenkunft beyder Geschlechter."
Ueber die Gleichförmigkeit der Kinder mit ihren Aeltern.
"Jch muß doch gestehen, daß es mir noch nicht angegangen, durch die eben vorgebrachte Hy- "pothese die Züge der Aehnlichkeit zu erklären, die wir an den Kindern in Vergleichung mit ihren "Aeltern sehen. Aber sind diese Züge nicht sehr zweydeutig?" (Es thut mir leid, daß ein Philosoph seiner Hypothese zu Liebe, diese beynahe empörende Frage aussprechen darf -- wie viel Millionen Gesichter von Aeltern und Kindern, deren Aehnlichkeit auffallender, weniger zweydeutig ist, als z. E. anliegender Mutter und Tochter?)
[Abbildung]
Nehmen
V. Abſchnitt. X. Fragment.
Bonnet hat, ohne daß wir ihm ſonſt in ſeiner Theorie ganz beyſtimmen koͤnnten, dieſe Flickwerks- hypotheſe, die Buͤffon wohl ſchwerlich ſelber von Herzen glauben kann — durch ſeine Touts orga- niques hinlaͤnglich beſtritten; aber, wie wir gleich hoͤren werden, die Frage von der Aehnlichkeit zwiſchen Aeltern und Kindern ebenfalls eher ausgewichen, oder ſeiner Hypotheſe zu Liebe, die daher fuͤr ſie entſtehenden Schwierigkeiten mehr zu vermindern als zu beantworten geſucht.
BBonnet — Sur les corps organiſés. T. I. C. V. §. 65. 66.
„Frage: Sind die Keime einer und ebenderſelben Gattung organiſcher Koͤrper einander „voͤllig gleich, oder individuell unterſchieden? Sind ſie nur nach den Organen, die das Geſchlecht „charakteriſiren, unterſchieden? Oder giebt es eine aͤhnliche Verſchiedenheit unter ihnen, wie die, ſo „wir unter den einzelnen Subſtanzen einer gleichen Gattung von Pflanzen oder Thieren beobachten?
„Antwort: Betrachten wir die unermeßlich abaͤndernde Mannichfaltigkeit der einzelnen „Dinge, die in der Natur herrſcht, ſo wird das Letztere uns am wahrſcheinlichſten ſeyn. Die Ver- „ſchiedenheiten, die wir an den Jndividuen einer gleichen Gattung bemerken, haͤngen vielleicht viel- „mehr von der erſten Geſtaltung des Keims ab, als von der Zuſammenkunft beyder Geſchlechter.“
Ueber die Gleichfoͤrmigkeit der Kinder mit ihren Aeltern.
„Jch muß doch geſtehen, daß es mir noch nicht angegangen, durch die eben vorgebrachte Hy- „potheſe die Zuͤge der Aehnlichkeit zu erklaͤren, die wir an den Kindern in Vergleichung mit ihren „Aeltern ſehen. Aber ſind dieſe Zuͤge nicht ſehr zweydeutig?“ (Es thut mir leid, daß ein Philoſoph ſeiner Hypotheſe zu Liebe, dieſe beynahe empoͤrende Frage ausſprechen darf — wie viel Millionen Geſichter von Aeltern und Kindern, deren Aehnlichkeit auffallender, weniger zweydeutig iſt, als z. E. anliegender Mutter und Tochter?)
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Nehmen
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V. Abſchnitt. X. Fragment.
Bonnet hat, ohne daß wir ihm ſonſt in ſeiner Theorie ganz beyſtimmen koͤnnten, dieſe Flickwerks-
hypotheſe, die Buͤffon wohl ſchwerlich ſelber von Herzen glauben kann — durch ſeine Touts orga-
niques hinlaͤnglich beſtritten; aber, wie wir gleich hoͤren werden, die Frage von der Aehnlichkeit
zwiſchen Aeltern und Kindern ebenfalls eher ausgewichen, oder ſeiner Hypotheſe zu Liebe, die
daher fuͤr ſie entſtehenden Schwierigkeiten mehr zu vermindern als zu beantworten geſucht.
B Bonnet — Sur les corps organiſés. T. I. C. V. §. 65. 66.
„Frage: Sind die Keime einer und ebenderſelben Gattung organiſcher Koͤrper einander
„voͤllig gleich, oder individuell unterſchieden? Sind ſie nur nach den Organen, die das Geſchlecht
„charakteriſiren, unterſchieden? Oder giebt es eine aͤhnliche Verſchiedenheit unter ihnen, wie die, ſo
„wir unter den einzelnen Subſtanzen einer gleichen Gattung von Pflanzen oder Thieren beobachten?
„Antwort: Betrachten wir die unermeßlich abaͤndernde Mannichfaltigkeit der einzelnen
„Dinge, die in der Natur herrſcht, ſo wird das Letztere uns am wahrſcheinlichſten ſeyn. Die Ver-
„ſchiedenheiten, die wir an den Jndividuen einer gleichen Gattung bemerken, haͤngen vielleicht viel-
„mehr von der erſten Geſtaltung des Keims ab, als von der Zuſammenkunft beyder Geſchlechter.“
Ueber die Gleichfoͤrmigkeit der Kinder mit ihren Aeltern.
„Jch muß doch geſtehen, daß es mir noch nicht angegangen, durch die eben vorgebrachte Hy-
„potheſe die Zuͤge der Aehnlichkeit zu erklaͤren, die wir an den Kindern in Vergleichung mit ihren
„Aeltern ſehen. Aber ſind dieſe Zuͤge nicht ſehr zweydeutig?“ (Es thut mir leid, daß ein Philoſoph
ſeiner Hypotheſe zu Liebe, dieſe beynahe empoͤrende Frage ausſprechen darf — wie viel Millionen
Geſichter von Aeltern und Kindern, deren Aehnlichkeit auffallender, weniger zweydeutig iſt, als
z. E. anliegender Mutter und Tochter?)
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Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 4. Leipzig u. a., 1778, S. 332. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente04_1778/392>, abgerufen am 23.02.2025.
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