Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 4. Leipzig u. a., 1778.

Bild:
<< vorherige Seite

Schriftstellen.
widerstehen? Ja, o Mensch, wer bist du, der du mit Gott zankest? Sagt auch ein
Werk zu dem, der es gemacht hat, warum hast du mich also gemacht?
*)

Oder hat nicht der Töpfer Gewalt über den Laim, eben aus einem Laimschol-
len das eine Geschirr zwar zu Ehren, das andere aber zu Unehren zu machen? Wenn
aber Gott, als er den Zorn erzeigen und sein Vermögen kund thun wollen, mit großer
Langmüthigkeit die Gefäße des Zorns, die zur Verderbniß zugerichtet sind, getragen
hat, auf daß er kund thäte den Reichthum seiner Herrlichkeit gegen die Gefäße der
Barmherzigkeit, die er zur Herrlichkeit vorbereitet hat.

Jch thue nichts davon, und nichts dazu -- als -- Gott hat alles unter den Ungehor-
sam und Verfall beschlossen, auf daß er sich aller erbarme! -- O welch eine Tiefe des
Reichthums, der Weisheit und der Erkenntniß Gottes! Wie unerforschlich sind seine
Gerichte, und wie unergründlich seine Wege! -- Denn wer hat des Herrn Gemüth er-
kannt, oder wer ist sein Rathgeber gewesen, oder wer hat ihm etwas zuvor gegeben, daß
es ihm sollte wieder vergolten werden? Denn aus ihm und durch ihn und in ihm sind
alle Dinge! Jhm sey Ehre von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen!

IV.
Trost an Zerfallene aus der Schrift.

Siehe Bruder! dein Angesicht ist zerfallen, wie dein Herz. Du erschrickst vor deinem ei-
genen Blicke. Wehmuth und Schaam nagt dir im Mark deiner Gebeine -- du fühlst es im stil-
len Augenblicke, hingestreckt auf dein Lager, oder am Arm eines Freundes, der dich bewundert
und lobt. Du ergrimmst über dich selber -- und denkst dich mit tödtendem Gram in die Unschuld
und Einfalt deiner Jugend zurück ... Verzage nicht, Bruder! es ist Rath und Hülfe vorhan-

den.
*) Jst dein Auge böse, darum, daß ich gut bin?
Habe ich nicht Gewalt, mit dem Meinigen zu thun, was ich will?
Also werden die letzten die ersten, und die ersten die letzten seyn. Denn viel sind Berufne, aber
wenig Auserwählte.
Christus.
D d 3

Schriftſtellen.
widerſtehen? Ja, o Menſch, wer biſt du, der du mit Gott zankeſt? Sagt auch ein
Werk zu dem, der es gemacht hat, warum haſt du mich alſo gemacht?
*)

Oder hat nicht der Toͤpfer Gewalt uͤber den Laim, eben aus einem Laimſchol-
len das eine Geſchirr zwar zu Ehren, das andere aber zu Unehren zu machen? Wenn
aber Gott, als er den Zorn erzeigen und ſein Vermoͤgen kund thun wollen, mit großer
Langmuͤthigkeit die Gefaͤße des Zorns, die zur Verderbniß zugerichtet ſind, getragen
hat, auf daß er kund thaͤte den Reichthum ſeiner Herrlichkeit gegen die Gefaͤße der
Barmherzigkeit, die er zur Herrlichkeit vorbereitet hat.

Jch thue nichts davon, und nichts dazu — als — Gott hat alles unter den Ungehor-
ſam und Verfall beſchloſſen, auf daß er ſich aller erbarme! — O welch eine Tiefe des
Reichthums, der Weisheit und der Erkenntniß Gottes! Wie unerforſchlich ſind ſeine
Gerichte, und wie unergruͤndlich ſeine Wege! — Denn wer hat des Herrn Gemuͤth er-
kannt, oder wer iſt ſein Rathgeber geweſen, oder wer hat ihm etwas zuvor gegeben, daß
es ihm ſollte wieder vergolten werden? Denn aus ihm und durch ihn und in ihm ſind
alle Dinge! Jhm ſey Ehre von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen!

IV.
Troſt an Zerfallene aus der Schrift.

Siehe Bruder! dein Angeſicht iſt zerfallen, wie dein Herz. Du erſchrickſt vor deinem ei-
genen Blicke. Wehmuth und Schaam nagt dir im Mark deiner Gebeine — du fuͤhlſt es im ſtil-
len Augenblicke, hingeſtreckt auf dein Lager, oder am Arm eines Freundes, der dich bewundert
und lobt. Du ergrimmſt uͤber dich ſelber — und denkſt dich mit toͤdtendem Gram in die Unſchuld
und Einfalt deiner Jugend zuruͤck ... Verzage nicht, Bruder! es iſt Rath und Huͤlfe vorhan-

den.
*) Jſt dein Auge boͤſe, darum, daß ich gut bin?
Habe ich nicht Gewalt, mit dem Meinigen zu thun, was ich will?
Alſo werden die letzten die erſten, und die erſten die letzten ſeyn. Denn viel ſind Berufne, aber
wenig Auserwaͤhlte.
Chriſtus.
D d 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p>
                  <pb facs="#f0243" n="213"/>
                  <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#g">Schrift&#x017F;tellen.</hi> </hi> </fw><lb/> <hi rendition="#fr">wider&#x017F;tehen? Ja, o Men&#x017F;ch, wer bi&#x017F;t du, der du mit Gott zanke&#x017F;t? Sagt auch ein<lb/>
Werk zu dem, der es gemacht hat, warum ha&#x017F;t du mich al&#x017F;o gemacht?</hi> <note place="foot" n="*)">
                    <cit>
                      <quote> <hi rendition="#fr">J&#x017F;t dein Auge bo&#x0364;&#x017F;e, darum, daß ich gut bin?<lb/>
Habe ich nicht Gewalt, mit dem Meinigen zu thun, was ich will?<lb/>
Al&#x017F;o werden die letzten die er&#x017F;ten, und die er&#x017F;ten die letzten &#x017F;eyn. Denn viel &#x017F;ind Berufne, aber<lb/>
wenig Auserwa&#x0364;hlte.<lb/><hi rendition="#et">Chri&#x017F;tus.</hi></hi> </quote>
                    </cit>
                  </note>
                </p><lb/>
                <p> <hi rendition="#fr">Oder hat nicht der To&#x0364;pfer Gewalt u&#x0364;ber den Laim, eben aus einem Laim&#x017F;chol-<lb/>
len das eine Ge&#x017F;chirr zwar zu Ehren, das andere aber zu Unehren zu machen? Wenn<lb/>
aber Gott, als er den Zorn erzeigen und &#x017F;ein Vermo&#x0364;gen kund thun wollen, mit großer<lb/>
Langmu&#x0364;thigkeit die Gefa&#x0364;ße des Zorns, die zur Verderbniß zugerichtet &#x017F;ind, getragen<lb/>
hat, auf daß er kund tha&#x0364;te den Reichthum &#x017F;einer Herrlichkeit gegen die Gefa&#x0364;ße der<lb/>
Barmherzigkeit, die er zur Herrlichkeit vorbereitet hat.</hi> </p><lb/>
                <p>Jch thue nichts davon, und nichts dazu &#x2014; als &#x2014; <hi rendition="#fr">Gott hat alles unter den Ungehor-<lb/>
&#x017F;am und Verfall be&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en, auf daß er &#x017F;ich aller erbarme! &#x2014; O welch eine Tiefe des<lb/>
Reichthums, der Weisheit und der Erkenntniß Gottes! Wie unerfor&#x017F;chlich &#x017F;ind &#x017F;eine<lb/>
Gerichte, und wie unergru&#x0364;ndlich &#x017F;eine Wege! &#x2014; Denn wer hat des Herrn Gemu&#x0364;th er-<lb/>
kannt, oder wer i&#x017F;t &#x017F;ein Rathgeber gewe&#x017F;en, oder wer hat ihm etwas zuvor gegeben, daß<lb/>
es ihm &#x017F;ollte wieder vergolten werden? Denn aus ihm und durch ihn und in ihm &#x017F;ind<lb/>
alle Dinge! Jhm &#x017F;ey Ehre von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen!</hi></p>
              </div>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">IV.</hi><lb/>
Tro&#x017F;t an Zerfallene aus der Schrift.</hi> </head><lb/>
              <p>Siehe Bruder! dein Ange&#x017F;icht i&#x017F;t zerfallen, wie dein Herz. Du er&#x017F;chrick&#x017F;t vor deinem ei-<lb/>
genen Blicke. Wehmuth und Schaam nagt dir im Mark deiner Gebeine &#x2014; du fu&#x0364;hl&#x017F;t es im &#x017F;til-<lb/>
len Augenblicke, hinge&#x017F;treckt auf dein Lager, oder am Arm eines Freundes, der dich bewundert<lb/>
und lobt. Du ergrimm&#x017F;t u&#x0364;ber dich &#x017F;elber &#x2014; und denk&#x017F;t dich mit to&#x0364;dtendem Gram in die Un&#x017F;chuld<lb/>
und Einfalt deiner Jugend zuru&#x0364;ck ... Verzage nicht, Bruder! es i&#x017F;t Rath und Hu&#x0364;lfe vorhan-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">D d 3</fw><fw place="bottom" type="catch">den.</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[213/0243] Schriftſtellen. widerſtehen? Ja, o Menſch, wer biſt du, der du mit Gott zankeſt? Sagt auch ein Werk zu dem, der es gemacht hat, warum haſt du mich alſo gemacht? *) Oder hat nicht der Toͤpfer Gewalt uͤber den Laim, eben aus einem Laimſchol- len das eine Geſchirr zwar zu Ehren, das andere aber zu Unehren zu machen? Wenn aber Gott, als er den Zorn erzeigen und ſein Vermoͤgen kund thun wollen, mit großer Langmuͤthigkeit die Gefaͤße des Zorns, die zur Verderbniß zugerichtet ſind, getragen hat, auf daß er kund thaͤte den Reichthum ſeiner Herrlichkeit gegen die Gefaͤße der Barmherzigkeit, die er zur Herrlichkeit vorbereitet hat. Jch thue nichts davon, und nichts dazu — als — Gott hat alles unter den Ungehor- ſam und Verfall beſchloſſen, auf daß er ſich aller erbarme! — O welch eine Tiefe des Reichthums, der Weisheit und der Erkenntniß Gottes! Wie unerforſchlich ſind ſeine Gerichte, und wie unergruͤndlich ſeine Wege! — Denn wer hat des Herrn Gemuͤth er- kannt, oder wer iſt ſein Rathgeber geweſen, oder wer hat ihm etwas zuvor gegeben, daß es ihm ſollte wieder vergolten werden? Denn aus ihm und durch ihn und in ihm ſind alle Dinge! Jhm ſey Ehre von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen! IV. Troſt an Zerfallene aus der Schrift. Siehe Bruder! dein Angeſicht iſt zerfallen, wie dein Herz. Du erſchrickſt vor deinem ei- genen Blicke. Wehmuth und Schaam nagt dir im Mark deiner Gebeine — du fuͤhlſt es im ſtil- len Augenblicke, hingeſtreckt auf dein Lager, oder am Arm eines Freundes, der dich bewundert und lobt. Du ergrimmſt uͤber dich ſelber — und denkſt dich mit toͤdtendem Gram in die Unſchuld und Einfalt deiner Jugend zuruͤck ... Verzage nicht, Bruder! es iſt Rath und Huͤlfe vorhan- den. *) Jſt dein Auge boͤſe, darum, daß ich gut bin? Habe ich nicht Gewalt, mit dem Meinigen zu thun, was ich will? Alſo werden die letzten die erſten, und die erſten die letzten ſeyn. Denn viel ſind Berufne, aber wenig Auserwaͤhlte. Chriſtus. D d 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente04_1778
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente04_1778/243
Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 4. Leipzig u. a., 1778, S. 213. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente04_1778/243>, abgerufen am 17.11.2024.