unwillkührlichen Hang zu der Leidenschaft finde, deren sichtbare Zeichen ich nachzuahmen suche. Ja ich bin überzeugt, man wird das beynahe nicht vermeiden können; gesetzt, daß man sich auch Mühe gebe, die Leiden- schaft von den ihr zugehörigen Gebärden abzusondern. Dieser Campanella hatte es so sehr in seiner Gewalt, seine Aufmerksamkeit von den stärksten körperlichen Leiden abzuwenden, daß er die Tortur selbst ohne viele Schmerzen ertragen konnte.
Jm Gegentheil, wenn aus irgend einer Ursache der Körper nicht in der Verfassung ist, die Gebärden anzunehmen, oder sich in die Bewegungen setzen zu lassen, die von einer gewissen Leidenschaft ordentlicher Wei- se hervorgebracht werden; so entsteht auch diese Leidenschaft selbst nicht, wenn auch sonst noch so starke Ursachen zu derselben vorhanden wären, und wenn gleich diese Leidenschaft nur durch Vorstellungen wirkt, und keinen der äußern Sinne berührt. So wird ein Opiat, oder ein starker Liqueur die Wirksamkeit der Traurigkeit, der Furcht, oder des Zornes auf eine Zeitlang, trutz allem Widerstande, aufheben, und dieß bloß, weil der Kör- per in eine Verfassung gesetzt wird, die derjenigen entgegen ist, in welche er bey diesen Leidenschaften geräth.
2. Campanella. De sensu rerum et magia.
Physiognomia Aristotelis contra ipsum quoque docet, vitia, virtutesque temperamentum sequi. No- bis autem physiognomicus syllogismus sumitur a temperie et ex formatione cerebri et oculi, et motu et lo- cutione. Hi enim patentes loci sunt, et actus ipsius spiritus. Acutus Cajeta noster laudabat alteram phy- siognomizandi rationem, ut, si quando video hominem, statim imaginor, me habere nasum ut ille habet, et pilum, et vultum, et frontem, et locutionem, et tunc qui affectus, et cogitationes in hac cogitatione mi- hi obrepunt, judico esse proprias illi, quem ita imaginando contueor, et quidem non absque ratione et ex- perientia. Spiritus enim format corpus et juxta affectus innatos ipsum fingit exprimitque ... Cum imagi- nor, me habere nasum grandem, subito quaedam affectio magnanimitatis suboritus; si srontem retrusam, timoris et cautelae; si porrectam foras, in pericula labilem quasi me video. pag. 190.
3. Nanzianzenus. De Iuliano apostata ex Socrat. Hist. Eccles. I. 2. c. 19.
Fecit me vatem gestuum ipsius deformitas, et ingens admiratio, si quidem optimus vates est, qui ex conjecturis optime ratiocinatur. Nequaquam vero mihi haec boni hominis signa esse videbantur: colli crebrae gesticulationes; humeri alternis subsultantes, pedes instabiles, crebrae gesticulationes. Nasus contu-
meliam
Phys. Fragm.IVVersuch. B b
Vermiſchte Stellen.
unwillkuͤhrlichen Hang zu der Leidenſchaft finde, deren ſichtbare Zeichen ich nachzuahmen ſuche. Ja ich bin uͤberzeugt, man wird das beynahe nicht vermeiden koͤnnen; geſetzt, daß man ſich auch Muͤhe gebe, die Leiden- ſchaft von den ihr zugehoͤrigen Gebaͤrden abzuſondern. Dieſer Campanella hatte es ſo ſehr in ſeiner Gewalt, ſeine Aufmerkſamkeit von den ſtaͤrkſten koͤrperlichen Leiden abzuwenden, daß er die Tortur ſelbſt ohne viele Schmerzen ertragen konnte.
Jm Gegentheil, wenn aus irgend einer Urſache der Koͤrper nicht in der Verfaſſung iſt, die Gebaͤrden anzunehmen, oder ſich in die Bewegungen ſetzen zu laſſen, die von einer gewiſſen Leidenſchaft ordentlicher Wei- ſe hervorgebracht werden; ſo entſteht auch dieſe Leidenſchaft ſelbſt nicht, wenn auch ſonſt noch ſo ſtarke Urſachen zu derſelben vorhanden waͤren, und wenn gleich dieſe Leidenſchaft nur durch Vorſtellungen wirkt, und keinen der aͤußern Sinne beruͤhrt. So wird ein Opiat, oder ein ſtarker Liqueur die Wirkſamkeit der Traurigkeit, der Furcht, oder des Zornes auf eine Zeitlang, trutz allem Widerſtande, aufheben, und dieß bloß, weil der Koͤr- per in eine Verfaſſung geſetzt wird, die derjenigen entgegen iſt, in welche er bey dieſen Leidenſchaften geraͤth.
2. Campanella. De ſenſu rerum et magia.
Phyſiognomia Ariſtotelis contra ipſum quoque docet, vitia, virtutesque temperamentum ſequi. No- bis autem phyſiognomicus ſyllogiſmus ſumitur a temperie et ex formatione cerebri et oculi, et motu et lo- cutione. Hi enim patentes loci ſunt, et actus ipſius ſpiritus. Acutus Cajeta noſter laudabat alteram phy- ſiognomizandi rationem, ut, ſi quando video hominem, ſtatim imaginor, me habere naſum ut ille habet, et pilum, et vultum, et frontem, et locutionem, et tunc qui affectus, et cogitationes in hac cogitatione mi- hi obrepunt, judico eſſe proprias illi, quem ita imaginando contueor, et quidem non absque ratione et ex- perientia. Spiritus enim format corpus et juxta affectus innatos ipſum fingit exprimitque ... Cum imagi- nor, me habere naſum grandem, ſubito quaedam affectio magnanimitatis ſuboritus; ſi ſrontem retruſam, timoris et cautelae; ſi porrectam foras, in pericula labilem quaſi me video. pag. 190.
3. Nanzianzenus. De Iuliano apoſtata ex Socrat. Hiſt. Eccleſ. I. 2. c. 19.
Fecit me vatem geſtuum ipſius deformitas, et ingens admiratio, ſi quidem optimus vates eſt, qui ex conjecturis optime ratiocinatur. Nequaquam vero mihi haec boni hominis ſigna eſſe videbantur: colli crebrae geſticulationes; humeri alternis ſubſultantes, pedes inſtabiles, crebrae geſticulationes. Naſus contu-
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Phyſ. Fragm.IVVerſuch. B b
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Vermiſchte Stellen.
unwillkuͤhrlichen Hang zu der Leidenſchaft finde, deren ſichtbare Zeichen ich nachzuahmen ſuche. Ja ich bin
uͤberzeugt, man wird das beynahe nicht vermeiden koͤnnen; geſetzt, daß man ſich auch Muͤhe gebe, die Leiden-
ſchaft von den ihr zugehoͤrigen Gebaͤrden abzuſondern. Dieſer Campanella hatte es ſo ſehr in ſeiner Gewalt,
ſeine Aufmerkſamkeit von den ſtaͤrkſten koͤrperlichen Leiden abzuwenden, daß er die Tortur ſelbſt ohne viele
Schmerzen ertragen konnte.
Jm Gegentheil, wenn aus irgend einer Urſache der Koͤrper nicht in der Verfaſſung iſt, die Gebaͤrden
anzunehmen, oder ſich in die Bewegungen ſetzen zu laſſen, die von einer gewiſſen Leidenſchaft ordentlicher Wei-
ſe hervorgebracht werden; ſo entſteht auch dieſe Leidenſchaft ſelbſt nicht, wenn auch ſonſt noch ſo ſtarke Urſachen
zu derſelben vorhanden waͤren, und wenn gleich dieſe Leidenſchaft nur durch Vorſtellungen wirkt, und keinen der
aͤußern Sinne beruͤhrt. So wird ein Opiat, oder ein ſtarker Liqueur die Wirkſamkeit der Traurigkeit, der
Furcht, oder des Zornes auf eine Zeitlang, trutz allem Widerſtande, aufheben, und dieß bloß, weil der Koͤr-
per in eine Verfaſſung geſetzt wird, die derjenigen entgegen iſt, in welche er bey dieſen Leidenſchaften geraͤth.
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Campanella.
De ſenſu rerum et magia.
Phyſiognomia Ariſtotelis contra ipſum quoque docet, vitia, virtutesque temperamentum ſequi. No-
bis autem phyſiognomicus ſyllogiſmus ſumitur a temperie et ex formatione cerebri et oculi, et motu et lo-
cutione. Hi enim patentes loci ſunt, et actus ipſius ſpiritus. Acutus Cajeta noſter laudabat alteram phy-
ſiognomizandi rationem, ut, ſi quando video hominem, ſtatim imaginor, me habere naſum ut ille habet,
et pilum, et vultum, et frontem, et locutionem, et tunc qui affectus, et cogitationes in hac cogitatione mi-
hi obrepunt, judico eſſe proprias illi, quem ita imaginando contueor, et quidem non absque ratione et ex-
perientia. Spiritus enim format corpus et juxta affectus innatos ipſum fingit exprimitque ... Cum imagi-
nor, me habere naſum grandem, ſubito quaedam affectio magnanimitatis ſuboritus; ſi ſrontem retruſam,
timoris et cautelae; ſi porrectam foras, in pericula labilem quaſi me video. pag. 190.
3.
Nanzianzenus.
De Iuliano apoſtata ex Socrat. Hiſt. Eccleſ. I. 2. c. 19.
Fecit me vatem geſtuum ipſius deformitas, et ingens admiratio, ſi quidem optimus vates eſt, qui
ex conjecturis optime ratiocinatur. Nequaquam vero mihi haec boni hominis ſigna eſſe videbantur: colli
crebrae geſticulationes; humeri alternis ſubſultantes, pedes inſtabiles, crebrae geſticulationes. Naſus contu-
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Phyſ. Fragm. IV Verſuch. B b
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Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 4. Leipzig u. a., 1778, S. 193. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente04_1778/223>, abgerufen am 23.02.2025.
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