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Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 4. Leipzig u. a., 1778.

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III. Abschnitt. V. Fragment. Stellen aus Nikolai.
mie schließen, als das moralisch Böse." -- Sehr wahr -- ausgenommen in dem Momente, wo das
moralisch Böse in Bewegung ist!

2.

Nicht die Errathung einzelner Charakter, vielmehr die Kenntniß menschlicher Charakter überhaupt --
ist der Zweck der Physiognomik. -- Das heißt -- allgemeine Zeichen von Kräften und Empfindungen
zu finden -- die freylich nichts nützen, wenn sie sich nicht wieder auf jedes einzelne Jndividuum an-
wenden lassen -- zumal da wir immer nur mit Jndividuen zu thun haben.

3.

Wenn man viele Bildnisse desselben Menschen von Jahr zu Jahr richtig zeichnete, und dabey das
Original genau kennte -- das wäre großer Nutzen für die Physiognomik. -- Was leicht möglich, vielleicht
allein möglich ist -- sind genaue Silhouetten -- oder Abgüsse. Denn das wenige der Verände-
rung wird selten ein Zeichner scharf und physiognomisch genug bemerken.

4.

Die Hauptfrage des Physiognomisten bey seinen Untersuchungen des Menschen wird immer die seyn:
Auf welche Art er sinnlicher Eindrücke fähig sey? Durch welches Perspektiv er die Welt ansehe? --
Was er überhaupt -- empfangen und geben könne!

5.

Eben die lebhafte Einbildungskraft, die schnelle Perzeptibilität, ohne die sich kein Physiognomist den-
ken läßt, ist vielleicht beynahe unzertrennlich mit andern Eigenschaften des Geistes verbunden, welche die höch-
ste Behutsamkeit nöthig machen, wenn er das Resultat seiner Beobachtungen auf wirkliche Geschäffte anwenden
will. -- Wahr; -- aber wenn er seine schnellen Gefühle in bestimmte Zeichen aufzulösen sucht; wenn
er die allgemeinen Zeichen gewisser Kräfte, Empfindungen, Leidenschaften -- vorzulegen im Stan-
de ist -- und seine schnelle Einbildungskraft ihm nur dazu dienet, die Aehnlichkeiten leichter zu fin-
den und zu bezeichnen -- so hätte es doch so viele Gefahr auch nicht.



Sechstes

III. Abſchnitt. V. Fragment. Stellen aus Nikolai.
mie ſchließen, als das moraliſch Boͤſe.“ — Sehr wahr — ausgenommen in dem Momente, wo das
moraliſch Boͤſe in Bewegung iſt!

2.

Nicht die Errathung einzelner Charakter, vielmehr die Kenntniß menſchlicher Charakter uͤberhaupt —
iſt der Zweck der Phyſiognomik. — Das heißt — allgemeine Zeichen von Kraͤften und Empfindungen
zu finden — die freylich nichts nuͤtzen, wenn ſie ſich nicht wieder auf jedes einzelne Jndividuum an-
wenden laſſen — zumal da wir immer nur mit Jndividuen zu thun haben.

3.

Wenn man viele Bildniſſe deſſelben Menſchen von Jahr zu Jahr richtig zeichnete, und dabey das
Original genau kennte — das waͤre großer Nutzen fuͤr die Phyſiognomik. — Was leicht moͤglich, vielleicht
allein moͤglich iſt — ſind genaue Silhouetten — oder Abguͤſſe. Denn das wenige der Veraͤnde-
rung wird ſelten ein Zeichner ſcharf und phyſiognomiſch genug bemerken.

4.

Die Hauptfrage des Phyſiognomiſten bey ſeinen Unterſuchungen des Menſchen wird immer die ſeyn:
Auf welche Art er ſinnlicher Eindruͤcke faͤhig ſey? Durch welches Perſpektiv er die Welt anſehe? —
Was er uͤberhaupt — empfangen und geben koͤnne!

5.

Eben die lebhafte Einbildungskraft, die ſchnelle Perzeptibilitaͤt, ohne die ſich kein Phyſiognomiſt den-
ken laͤßt, iſt vielleicht beynahe unzertrennlich mit andern Eigenſchaften des Geiſtes verbunden, welche die hoͤch-
ſte Behutſamkeit noͤthig machen, wenn er das Reſultat ſeiner Beobachtungen auf wirkliche Geſchaͤffte anwenden
will. — Wahr; — aber wenn er ſeine ſchnellen Gefuͤhle in beſtimmte Zeichen aufzuloͤſen ſucht; wenn
er die allgemeinen Zeichen gewiſſer Kraͤfte, Empfindungen, Leidenſchaften — vorzulegen im Stan-
de iſt — und ſeine ſchnelle Einbildungskraft ihm nur dazu dienet, die Aehnlichkeiten leichter zu fin-
den und zu bezeichnen — ſo haͤtte es doch ſo viele Gefahr auch nicht.



Sechstes
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[186/0216] III. Abſchnitt. V. Fragment. Stellen aus Nikolai. mie ſchließen, als das moraliſch Boͤſe.“ — Sehr wahr — ausgenommen in dem Momente, wo das moraliſch Boͤſe in Bewegung iſt! 2. Nicht die Errathung einzelner Charakter, vielmehr die Kenntniß menſchlicher Charakter uͤberhaupt — iſt der Zweck der Phyſiognomik. — Das heißt — allgemeine Zeichen von Kraͤften und Empfindungen zu finden — die freylich nichts nuͤtzen, wenn ſie ſich nicht wieder auf jedes einzelne Jndividuum an- wenden laſſen — zumal da wir immer nur mit Jndividuen zu thun haben. 3. Wenn man viele Bildniſſe deſſelben Menſchen von Jahr zu Jahr richtig zeichnete, und dabey das Original genau kennte — das waͤre großer Nutzen fuͤr die Phyſiognomik. — Was leicht moͤglich, vielleicht allein moͤglich iſt — ſind genaue Silhouetten — oder Abguͤſſe. Denn das wenige der Veraͤnde- rung wird ſelten ein Zeichner ſcharf und phyſiognomiſch genug bemerken. 4. Die Hauptfrage des Phyſiognomiſten bey ſeinen Unterſuchungen des Menſchen wird immer die ſeyn: Auf welche Art er ſinnlicher Eindruͤcke faͤhig ſey? Durch welches Perſpektiv er die Welt anſehe? — Was er uͤberhaupt — empfangen und geben koͤnne! 5. Eben die lebhafte Einbildungskraft, die ſchnelle Perzeptibilitaͤt, ohne die ſich kein Phyſiognomiſt den- ken laͤßt, iſt vielleicht beynahe unzertrennlich mit andern Eigenſchaften des Geiſtes verbunden, welche die hoͤch- ſte Behutſamkeit noͤthig machen, wenn er das Reſultat ſeiner Beobachtungen auf wirkliche Geſchaͤffte anwenden will. — Wahr; — aber wenn er ſeine ſchnellen Gefuͤhle in beſtimmte Zeichen aufzuloͤſen ſucht; wenn er die allgemeinen Zeichen gewiſſer Kraͤfte, Empfindungen, Leidenſchaften — vorzulegen im Stan- de iſt — und ſeine ſchnelle Einbildungskraft ihm nur dazu dienet, die Aehnlichkeiten leichter zu fin- den und zu bezeichnen — ſo haͤtte es doch ſo viele Gefahr auch nicht. Sechstes

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Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 4. Leipzig u. a., 1778, S. 186. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente04_1778/216>, abgerufen am 17.11.2024.