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Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 4. Leipzig u. a., 1778.

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Physiognomischer Sinn, Genie, Ahndung.
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Jch kenne Leute, die den unschuldigsten Menschen auf alle nur erdenkliche Weise zu schaden,
oder doch wehe zu thun suchen -- und ihr Anblick hat für diese unterdrückten, verfolgten, wundge-
schlagenen, nichts Revoltantes, nichts Entfernendes; sie weiden sich an ihrem Gesichte; sie gewin-
nen es lieb; sie könnens nicht begreifen, wie so viel Verfolgungssucht in so freundlichen Gesichtern
wohnen kann -- und sind daher geneigt, ihre ganze Handelnsart einem schiefen Gesichtspunkte zuzu-
schreiben, aus dem sie nun einmal alles anzusehen und zu beurtheilen gewohnt sind. Sie könnten ih-
nen um den Hals fallen, und sie, wie Joseph seine Brüder, mit Thränen umarmen. -- Andre hin-
gegen, die uns schmeicheln, uns aufrichtig dienen, uns anbeten, können wir nie ohne geheimen Wi-
derstand umarmen.*) Wir sind in ihrer Gegenwart gehemmt und gedrückt -- und nicht nur wir;
sondern wer sie sieht, führt die Klage -- woher das? Es müssen gewisse Züge in ihrem Gesichte

seyn,
*) [Spaltenumbruch] Ein merkwürdiges Exempel des Abscheues eines
Frauenzimmers gegen eine Weibsperson in Mannsklei-
dern, die so gänzlich unerkannt war, daß man das
[Spaltenumbruch] Frauenzimmer, alles ihres Widerstandes ungeachtet, zur
Heirath zwang, findet sich im V. Theil des allgemeinen
Magazins.
Q 2
Phyſiognomiſcher Sinn, Genie, Ahndung.
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Jch kenne Leute, die den unſchuldigſten Menſchen auf alle nur erdenkliche Weiſe zu ſchaden,
oder doch wehe zu thun ſuchen — und ihr Anblick hat fuͤr dieſe unterdruͤckten, verfolgten, wundge-
ſchlagenen, nichts Revoltantes, nichts Entfernendes; ſie weiden ſich an ihrem Geſichte; ſie gewin-
nen es lieb; ſie koͤnnens nicht begreifen, wie ſo viel Verfolgungsſucht in ſo freundlichen Geſichtern
wohnen kann — und ſind daher geneigt, ihre ganze Handelnsart einem ſchiefen Geſichtspunkte zuzu-
ſchreiben, aus dem ſie nun einmal alles anzuſehen und zu beurtheilen gewohnt ſind. Sie koͤnnten ih-
nen um den Hals fallen, und ſie, wie Joſeph ſeine Bruͤder, mit Thraͤnen umarmen. — Andre hin-
gegen, die uns ſchmeicheln, uns aufrichtig dienen, uns anbeten, koͤnnen wir nie ohne geheimen Wi-
derſtand umarmen.*) Wir ſind in ihrer Gegenwart gehemmt und gedruͤckt — und nicht nur wir;
ſondern wer ſie ſieht, fuͤhrt die Klage — woher das? Es muͤſſen gewiſſe Zuͤge in ihrem Geſichte

ſeyn,
*) [Spaltenumbruch] Ein merkwuͤrdiges Exempel des Abſcheues eines
Frauenzimmers gegen eine Weibsperſon in Mannsklei-
dern, die ſo gaͤnzlich unerkannt war, daß man das
[Spaltenumbruch] Frauenzimmer, alles ihres Widerſtandes ungeachtet, zur
Heirath zwang, findet ſich im V. Theil des allgemeinen
Magazins.
Q 2
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[123/0151] Phyſiognomiſcher Sinn, Genie, Ahndung. [Abbildung] Jch kenne Leute, die den unſchuldigſten Menſchen auf alle nur erdenkliche Weiſe zu ſchaden, oder doch wehe zu thun ſuchen — und ihr Anblick hat fuͤr dieſe unterdruͤckten, verfolgten, wundge- ſchlagenen, nichts Revoltantes, nichts Entfernendes; ſie weiden ſich an ihrem Geſichte; ſie gewin- nen es lieb; ſie koͤnnens nicht begreifen, wie ſo viel Verfolgungsſucht in ſo freundlichen Geſichtern wohnen kann — und ſind daher geneigt, ihre ganze Handelnsart einem ſchiefen Geſichtspunkte zuzu- ſchreiben, aus dem ſie nun einmal alles anzuſehen und zu beurtheilen gewohnt ſind. Sie koͤnnten ih- nen um den Hals fallen, und ſie, wie Joſeph ſeine Bruͤder, mit Thraͤnen umarmen. — Andre hin- gegen, die uns ſchmeicheln, uns aufrichtig dienen, uns anbeten, koͤnnen wir nie ohne geheimen Wi- derſtand umarmen. *) Wir ſind in ihrer Gegenwart gehemmt und gedruͤckt — und nicht nur wir; ſondern wer ſie ſieht, fuͤhrt die Klage — woher das? Es muͤſſen gewiſſe Zuͤge in ihrem Geſichte ſeyn, *) Ein merkwuͤrdiges Exempel des Abſcheues eines Frauenzimmers gegen eine Weibsperſon in Mannsklei- dern, die ſo gaͤnzlich unerkannt war, daß man das Frauenzimmer, alles ihres Widerſtandes ungeachtet, zur Heirath zwang, findet ſich im V. Theil des allgemeinen Magazins. Q 2

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Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 4. Leipzig u. a., 1778, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente04_1778/151>, abgerufen am 22.11.2024.