Jch kenne Leute, die den unschuldigsten Menschen auf alle nur erdenkliche Weise zu schaden, oder doch wehe zu thun suchen -- und ihr Anblick hat für diese unterdrückten, verfolgten, wundge- schlagenen, nichts Revoltantes, nichts Entfernendes; sie weiden sich an ihrem Gesichte; sie gewin- nen es lieb; sie könnens nicht begreifen, wie so viel Verfolgungssucht in so freundlichen Gesichtern wohnen kann -- und sind daher geneigt, ihre ganze Handelnsart einem schiefen Gesichtspunkte zuzu- schreiben, aus dem sie nun einmal alles anzusehen und zu beurtheilen gewohnt sind. Sie könnten ih- nen um den Hals fallen, und sie, wie Joseph seine Brüder, mit Thränen umarmen. -- Andre hin- gegen, die uns schmeicheln, uns aufrichtig dienen, uns anbeten, können wir nie ohne geheimen Wi- derstand umarmen.*) Wir sind in ihrer Gegenwart gehemmt und gedrückt -- und nicht nur wir; sondern wer sie sieht, führt die Klage -- woher das? Es müssen gewisse Züge in ihrem Gesichte
seyn,
*)[Spaltenumbruch]
Ein merkwürdiges Exempel des Abscheues eines Frauenzimmers gegen eine Weibsperson in Mannsklei- dern, die so gänzlich unerkannt war, daß man das [Spaltenumbruch]
Frauenzimmer, alles ihres Widerstandes ungeachtet, zur Heirath zwang, findet sich im V. Theil des allgemeinen Magazins.
Q 2
Phyſiognomiſcher Sinn, Genie, Ahndung.
[Abbildung]
Jch kenne Leute, die den unſchuldigſten Menſchen auf alle nur erdenkliche Weiſe zu ſchaden, oder doch wehe zu thun ſuchen — und ihr Anblick hat fuͤr dieſe unterdruͤckten, verfolgten, wundge- ſchlagenen, nichts Revoltantes, nichts Entfernendes; ſie weiden ſich an ihrem Geſichte; ſie gewin- nen es lieb; ſie koͤnnens nicht begreifen, wie ſo viel Verfolgungsſucht in ſo freundlichen Geſichtern wohnen kann — und ſind daher geneigt, ihre ganze Handelnsart einem ſchiefen Geſichtspunkte zuzu- ſchreiben, aus dem ſie nun einmal alles anzuſehen und zu beurtheilen gewohnt ſind. Sie koͤnnten ih- nen um den Hals fallen, und ſie, wie Joſeph ſeine Bruͤder, mit Thraͤnen umarmen. — Andre hin- gegen, die uns ſchmeicheln, uns aufrichtig dienen, uns anbeten, koͤnnen wir nie ohne geheimen Wi- derſtand umarmen.*) Wir ſind in ihrer Gegenwart gehemmt und gedruͤckt — und nicht nur wir; ſondern wer ſie ſieht, fuͤhrt die Klage — woher das? Es muͤſſen gewiſſe Zuͤge in ihrem Geſichte
ſeyn,
*)[Spaltenumbruch]
Ein merkwuͤrdiges Exempel des Abſcheues eines Frauenzimmers gegen eine Weibsperſon in Mannsklei- dern, die ſo gaͤnzlich unerkannt war, daß man das [Spaltenumbruch]
Frauenzimmer, alles ihres Widerſtandes ungeachtet, zur Heirath zwang, findet ſich im V. Theil des allgemeinen Magazins.
Q 2
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><pbfacs="#f0151"n="123"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Phyſiognomiſcher Sinn, Genie, Ahndung.</hi></fw><lb/><figure/><p>Jch kenne Leute, die den unſchuldigſten Menſchen auf alle nur erdenkliche Weiſe zu ſchaden,<lb/>
oder doch wehe zu thun ſuchen — und ihr Anblick hat fuͤr dieſe unterdruͤckten, verfolgten, wundge-<lb/>ſchlagenen, nichts Revoltantes, nichts Entfernendes; ſie weiden ſich an ihrem Geſichte; ſie gewin-<lb/>
nen es lieb; ſie koͤnnens nicht begreifen, wie ſo viel Verfolgungsſucht in ſo freundlichen Geſichtern<lb/>
wohnen kann — und ſind daher geneigt, ihre ganze Handelnsart einem ſchiefen Geſichtspunkte zuzu-<lb/>ſchreiben, aus dem ſie nun einmal alles anzuſehen und zu beurtheilen gewohnt ſind. Sie koͤnnten ih-<lb/>
nen um den Hals fallen, und ſie, wie Joſeph ſeine Bruͤder, mit Thraͤnen umarmen. — Andre hin-<lb/>
gegen, die uns ſchmeicheln, uns aufrichtig dienen, uns anbeten, koͤnnen wir nie ohne geheimen Wi-<lb/>
derſtand umarmen.<noteplace="foot"n="*)"><cb/>
Ein merkwuͤrdiges Exempel des Abſcheues eines<lb/>
Frauenzimmers gegen eine Weibsperſon in Mannsklei-<lb/>
dern, die ſo gaͤnzlich unerkannt war, daß man das<lb/><cb/>
Frauenzimmer, alles ihres Widerſtandes ungeachtet, zur<lb/>
Heirath zwang, findet ſich im <hirendition="#aq">V.</hi> Theil des <hirendition="#fr">allgemeinen<lb/>
Magazins.</hi></note> Wir ſind in ihrer Gegenwart gehemmt und gedruͤckt — und nicht nur wir;<lb/>ſondern wer ſie ſieht, fuͤhrt die Klage — woher das? Es muͤſſen gewiſſe Zuͤge in ihrem Geſichte<lb/><fwplace="bottom"type="sig">Q 2</fw><fwplace="bottom"type="catch">ſeyn,</fw><lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[123/0151]
Phyſiognomiſcher Sinn, Genie, Ahndung.
[Abbildung]
Jch kenne Leute, die den unſchuldigſten Menſchen auf alle nur erdenkliche Weiſe zu ſchaden,
oder doch wehe zu thun ſuchen — und ihr Anblick hat fuͤr dieſe unterdruͤckten, verfolgten, wundge-
ſchlagenen, nichts Revoltantes, nichts Entfernendes; ſie weiden ſich an ihrem Geſichte; ſie gewin-
nen es lieb; ſie koͤnnens nicht begreifen, wie ſo viel Verfolgungsſucht in ſo freundlichen Geſichtern
wohnen kann — und ſind daher geneigt, ihre ganze Handelnsart einem ſchiefen Geſichtspunkte zuzu-
ſchreiben, aus dem ſie nun einmal alles anzuſehen und zu beurtheilen gewohnt ſind. Sie koͤnnten ih-
nen um den Hals fallen, und ſie, wie Joſeph ſeine Bruͤder, mit Thraͤnen umarmen. — Andre hin-
gegen, die uns ſchmeicheln, uns aufrichtig dienen, uns anbeten, koͤnnen wir nie ohne geheimen Wi-
derſtand umarmen. *) Wir ſind in ihrer Gegenwart gehemmt und gedruͤckt — und nicht nur wir;
ſondern wer ſie ſieht, fuͤhrt die Klage — woher das? Es muͤſſen gewiſſe Zuͤge in ihrem Geſichte
ſeyn,
*)
Ein merkwuͤrdiges Exempel des Abſcheues eines
Frauenzimmers gegen eine Weibsperſon in Mannsklei-
dern, die ſo gaͤnzlich unerkannt war, daß man das
Frauenzimmer, alles ihres Widerſtandes ungeachtet, zur
Heirath zwang, findet ſich im V. Theil des allgemeinen
Magazins.
Q 2
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 4. Leipzig u. a., 1778, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente04_1778/151>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.