Da Jehu herausgieng zu den Knechten seines Herrn, sprach man zu ihm: "Stehets wohl? "warum ist dieser Rasende zu dir gekommen? Er sprach zu ihnen: Jhr kennt doch den Mann "wohl und was er sagt!" Der Mann war Elisa.
Aristoteles führt den Ayax, der in seinem Wahnwitz Wunder that, und Bellephoron, welcher dergleichen gesehen haben mag, den Sokrates, den Plato, als vorzügliche Beyspiele solcher Märtyrer an, die von der schwarzen Galle gelitten, und vergleicht daher die schwarze Galle sehr weitläuftig mit dem Wein in ihren Eigenschaften; erklärt auch alle Symptomen der Bachan- ten und Propheten nach eben der Methode, in welcher Eli und die ungläubigen Juden das Zeichen der Zungen und Lippen sich vorzustellen beliebten, über das Entsetzen der großen Haufen lächelten und den Schluß machten -- Sie sind voll süßen Weins.
Die Vermuthung würde unterdessen zu weit gehen, wenn man alle mit mancherley Seu- chen und Quaal behaftete, die Besessenen, die Mondsüchtigen und Paralytischen, deren in den Evangelien erwähnt wird, für Genies jener Zeit und jenes Landes halten wollte. -- Ungeach- tet Hippokrates sich schon viele Mühe gegeben, das Theion, dieß Kreuz der Kunst! zu vernichten, so entfährt ihm doch am Ende seiner Abhandlung der neue Grundsatz:
panta theia kai anthropina panta.
4.
Der Geburtstag eines Genies wird gewöhnlich von einem Märtyrerfest unschuldiger Kinder begleitet.
5.
Alle ästethische Thaumaturgie reicht nicht zu, ein unmittelbares Gefühl zu ersetzen, und nichts als die Höllenfahrt der Selbsterkenntniß bahnet uns den Weg zur Vergötterung.
6.
Die kräftigsten Jrrthümer und Wahrheiten, die unsterblichsten Schönheiten und tödtlich- sten Fehler eines Buchs (eines Genies und Geniewerkes) sind gleich den Elementen unsichtbar, *) und ich bekümmere mich um die am wenigsten, die man in Augenschein zu setzen im Stande ist.
7. End-
*)-- -- -- Small and indigui Shable Like far -- off montains tourned into Clouds. Shakespear.
Phys. Fragm.IVVersuch. N
I. Abſchnitt. X. Fragment. Genie. II. Zugabe.
Da Jehu herausgieng zu den Knechten ſeines Herrn, ſprach man zu ihm: „Stehets wohl? „warum iſt dieſer Raſende zu dir gekommen? Er ſprach zu ihnen: Jhr kennt doch den Mann „wohl und was er ſagt!“ Der Mann war Eliſa.
Ariſtoteles fuͤhrt den Ayax, der in ſeinem Wahnwitz Wunder that, und Bellephoron, welcher dergleichen geſehen haben mag, den Sokrates, den Plato, als vorzuͤgliche Beyſpiele ſolcher Maͤrtyrer an, die von der ſchwarzen Galle gelitten, und vergleicht daher die ſchwarze Galle ſehr weitlaͤuftig mit dem Wein in ihren Eigenſchaften; erklaͤrt auch alle Symptomen der Bachan- ten und Propheten nach eben der Methode, in welcher Eli und die unglaͤubigen Juden das Zeichen der Zungen und Lippen ſich vorzuſtellen beliebten, uͤber das Entſetzen der großen Haufen laͤchelten und den Schluß machten — Sie ſind voll ſuͤßen Weins.
Die Vermuthung wuͤrde unterdeſſen zu weit gehen, wenn man alle mit mancherley Seu- chen und Quaal behaftete, die Beſeſſenen, die Mondſuͤchtigen und Paralytiſchen, deren in den Evangelien erwaͤhnt wird, fuͤr Genies jener Zeit und jenes Landes halten wollte. — Ungeach- tet Hippokrates ſich ſchon viele Muͤhe gegeben, das Θειον, dieß Kreuz der Kunſt! zu vernichten, ſo entfaͤhrt ihm doch am Ende ſeiner Abhandlung der neue Grundſatz:
παντα ϑεια και ανϑϱωπινα παντα.
4.
Der Geburtstag eines Genies wird gewoͤhnlich von einem Maͤrtyrerfeſt unſchuldiger Kinder begleitet.
5.
Alle aͤſtethiſche Thaumaturgie reicht nicht zu, ein unmittelbares Gefuͤhl zu erſetzen, und nichts als die Hoͤllenfahrt der Selbſterkenntniß bahnet uns den Weg zur Vergoͤtterung.
6.
Die kraͤftigſten Jrrthuͤmer und Wahrheiten, die unſterblichſten Schoͤnheiten und toͤdtlich- ſten Fehler eines Buchs (eines Genies und Geniewerkes) ſind gleich den Elementen unſichtbar, *) und ich bekuͤmmere mich um die am wenigſten, die man in Augenſchein zu ſetzen im Stande iſt.
7. End-
*)— — — Small and indigui Shable Like far — off montains tourned into Clouds. Shakeſpear.
Phyſ. Fragm.IVVerſuch. N
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„warum iſt dieſer Raſende zu dir gekommen? Er ſprach zu ihnen: Jhr kennt doch den Mann
„wohl und was er ſagt!“ Der Mann war Eliſa.
Ariſtoteles fuͤhrt den Ayax, der in ſeinem Wahnwitz Wunder that, und Bellephoron,
welcher dergleichen geſehen haben mag, den Sokrates, den Plato, als vorzuͤgliche Beyſpiele
ſolcher Maͤrtyrer an, die von der ſchwarzen Galle gelitten, und vergleicht daher die ſchwarze Galle
ſehr weitlaͤuftig mit dem Wein in ihren Eigenſchaften; erklaͤrt auch alle Symptomen der Bachan-
ten und Propheten nach eben der Methode, in welcher Eli und die unglaͤubigen Juden das Zeichen
der Zungen und Lippen ſich vorzuſtellen beliebten, uͤber das Entſetzen der großen Haufen laͤchelten
und den Schluß machten — Sie ſind voll ſuͤßen Weins.
Die Vermuthung wuͤrde unterdeſſen zu weit gehen, wenn man alle mit mancherley Seu-
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den Evangelien erwaͤhnt wird, fuͤr Genies jener Zeit und jenes Landes halten wollte. — Ungeach-
tet Hippokrates ſich ſchon viele Muͤhe gegeben, das Θειον, dieß Kreuz der Kunſt! zu vernichten,
ſo entfaͤhrt ihm doch am Ende ſeiner Abhandlung der neue Grundſatz:
παντα ϑεια και ανϑϱωπινα παντα.
4.
Der Geburtstag eines Genies wird gewoͤhnlich von einem Maͤrtyrerfeſt unſchuldiger
Kinder begleitet.
5.
Alle aͤſtethiſche Thaumaturgie reicht nicht zu, ein unmittelbares Gefuͤhl zu erſetzen, und
nichts als die Hoͤllenfahrt der Selbſterkenntniß bahnet uns den Weg zur Vergoͤtterung.
6.
Die kraͤftigſten Jrrthuͤmer und Wahrheiten, die unſterblichſten Schoͤnheiten und toͤdtlich-
ſten Fehler eines Buchs (eines Genies und Geniewerkes) ſind gleich den Elementen unſichtbar, *)
und ich bekuͤmmere mich um die am wenigſten, die man in Augenſchein zu ſetzen im Stande iſt.
7. End-
*) — — — Small and indigui Shable
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Phyſ. Fragm. IV Verſuch. N
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Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 4. Leipzig u. a., 1778, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente04_1778/125>, abgerufen am 23.02.2025.
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