Erstes Fragment. Etwas aus und über Aristoteles von den Thieren.
Aeußerst superfiziell und hingeworfen, und sehr oft widerspruchreich scheint mir des großen Aristoteles Abhandlung über die Physiognomik -- besonders seine allgemeinen Räsonnemens -- Jedoch trifft sich hie und da ein Gedanke, der allenfalls ausgestochen zu werden verdient -- Hier sind einige -- nicht eben übersetzt -- sondern dem Geiste nach.
"Noch nie ist ein solches Ungeheuer von einem beseelten Wesen in die Welt gekommen, wel- "ches eines andern beseelten Wesens Gestalt, und zugleich eine von demselben durchaus verschiede- "ne Denkens- und Handelnskraft an sich gehabt habe."
"Also urtheilen z. B. die Pferdekenner aus dem bloßen Anschauen von den Pferden, und "die Jäger von den Hunden."
"Man findet keinen Menschen, der einem Thiere gleich sehe; obgleich etwa Züge an den "Menschen wahrzunehmen seyn können, die uns an Thiere sogleich erinnern."
"Will man z. B. das Bild eines Tapfern aufsuchen, so wird man wohl thun, wenn man "alles, was sich an beseelten Wesen als Merkmal der Herzhaftigkeit angiebt, und dieselben vor "allen übrigen beseelten Wesen auszeichnet, in ein Ganzes zusammenbringt -- sodann wird der "Physiognomist solche beseelte Wesen aufsuchen, die mit dem ersten, das er sich auszeichnete, in "Absicht auf den innern Charakter nicht die geringste Aehnlichkeit haben -- Aus dieser Verglei- "chung wird das auffallend werden, was dem Ausdrucke von Herzhaftigkeit eigen ist."
"Weiche Haare zeugen von Furchtsamkeit; rauhe hingegen von Tapferkeit. Dieß Beur- "theilungszeichen ist eines von denen, welche nicht allein an den Menschen, sondern auch an den "Thieren wahrgenommen werden. Die Thiere, welche vor andern furchtsam sind, sind der Hirsch, "der Haase, das Schaaf. Eben diese aber haben auch vor andern ein sehr weiches Haar. Hinge- "gen werden wohl der Löwe und das wilde Schwein die herzhaftesten seyn, und auch bey diesen ent- "sprechen dieser Eigenschaft die Haare, da dieselben äußerst rauh sind. Dasselbe kann anch von "den Vögeln bemerket werden; denn überhaupt sind diejenigen unter ihnen, welche rauhe Federn
haben,
Erſtes Fragment. Etwas aus und uͤber Ariſtoteles von den Thieren.
Aeußerſt ſuperfiziell und hingeworfen, und ſehr oft widerſpruchreich ſcheint mir des großen Ariſtoteles Abhandlung uͤber die Phyſiognomik — beſonders ſeine allgemeinen Raͤſonnemens — Jedoch trifft ſich hie und da ein Gedanke, der allenfalls ausgeſtochen zu werden verdient — Hier ſind einige — nicht eben uͤberſetzt — ſondern dem Geiſte nach.
„Noch nie iſt ein ſolches Ungeheuer von einem beſeelten Weſen in die Welt gekommen, wel- „ches eines andern beſeelten Weſens Geſtalt, und zugleich eine von demſelben durchaus verſchiede- „ne Denkens- und Handelnskraft an ſich gehabt habe.“
„Alſo urtheilen z. B. die Pferdekenner aus dem bloßen Anſchauen von den Pferden, und „die Jaͤger von den Hunden.“
„Man findet keinen Menſchen, der einem Thiere gleich ſehe; obgleich etwa Zuͤge an den „Menſchen wahrzunehmen ſeyn koͤnnen, die uns an Thiere ſogleich erinnern.“
„Will man z. B. das Bild eines Tapfern aufſuchen, ſo wird man wohl thun, wenn man „alles, was ſich an beſeelten Weſen als Merkmal der Herzhaftigkeit angiebt, und dieſelben vor „allen uͤbrigen beſeelten Weſen auszeichnet, in ein Ganzes zuſammenbringt — ſodann wird der „Phyſiognomiſt ſolche beſeelte Weſen aufſuchen, die mit dem erſten, das er ſich auszeichnete, in „Abſicht auf den innern Charakter nicht die geringſte Aehnlichkeit haben — Aus dieſer Verglei- „chung wird das auffallend werden, was dem Ausdrucke von Herzhaftigkeit eigen iſt.“
„Weiche Haare zeugen von Furchtſamkeit; rauhe hingegen von Tapferkeit. Dieß Beur- „theilungszeichen iſt eines von denen, welche nicht allein an den Menſchen, ſondern auch an den „Thieren wahrgenommen werden. Die Thiere, welche vor andern furchtſam ſind, ſind der Hirſch, „der Haaſe, das Schaaf. Eben dieſe aber haben auch vor andern ein ſehr weiches Haar. Hinge- „gen werden wohl der Loͤwe und das wilde Schwein die herzhafteſten ſeyn, und auch bey dieſen ent- „ſprechen dieſer Eigenſchaft die Haare, da dieſelben aͤußerſt rauh ſind. Daſſelbe kann anch von „den Voͤgeln bemerket werden; denn uͤberhaupt ſind diejenigen unter ihnen, welche rauhe Federn
haben,
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Erſtes Fragment.
Etwas aus und uͤber Ariſtoteles von den Thieren.
Aeußerſt ſuperfiziell und hingeworfen, und ſehr oft widerſpruchreich ſcheint mir des großen
Ariſtoteles Abhandlung uͤber die Phyſiognomik — beſonders ſeine allgemeinen Raͤſonnemens —
Jedoch trifft ſich hie und da ein Gedanke, der allenfalls ausgeſtochen zu werden verdient — Hier
ſind einige — nicht eben uͤberſetzt — ſondern dem Geiſte nach.
„Noch nie iſt ein ſolches Ungeheuer von einem beſeelten Weſen in die Welt gekommen, wel-
„ches eines andern beſeelten Weſens Geſtalt, und zugleich eine von demſelben durchaus verſchiede-
„ne Denkens- und Handelnskraft an ſich gehabt habe.“
„Alſo urtheilen z. B. die Pferdekenner aus dem bloßen Anſchauen von den Pferden, und
„die Jaͤger von den Hunden.“
„Man findet keinen Menſchen, der einem Thiere gleich ſehe; obgleich etwa Zuͤge an den
„Menſchen wahrzunehmen ſeyn koͤnnen, die uns an Thiere ſogleich erinnern.“
„Will man z. B. das Bild eines Tapfern aufſuchen, ſo wird man wohl thun, wenn man
„alles, was ſich an beſeelten Weſen als Merkmal der Herzhaftigkeit angiebt, und dieſelben vor
„allen uͤbrigen beſeelten Weſen auszeichnet, in ein Ganzes zuſammenbringt — ſodann wird der
„Phyſiognomiſt ſolche beſeelte Weſen aufſuchen, die mit dem erſten, das er ſich auszeichnete, in
„Abſicht auf den innern Charakter nicht die geringſte Aehnlichkeit haben — Aus dieſer Verglei-
„chung wird das auffallend werden, was dem Ausdrucke von Herzhaftigkeit eigen iſt.“
„Weiche Haare zeugen von Furchtſamkeit; rauhe hingegen von Tapferkeit. Dieß Beur-
„theilungszeichen iſt eines von denen, welche nicht allein an den Menſchen, ſondern auch an den
„Thieren wahrgenommen werden. Die Thiere, welche vor andern furchtſam ſind, ſind der Hirſch,
„der Haaſe, das Schaaf. Eben dieſe aber haben auch vor andern ein ſehr weiches Haar. Hinge-
„gen werden wohl der Loͤwe und das wilde Schwein die herzhafteſten ſeyn, und auch bey dieſen ent-
„ſprechen dieſer Eigenſchaft die Haare, da dieſelben aͤußerſt rauh ſind. Daſſelbe kann anch von
„den Voͤgeln bemerket werden; denn uͤberhaupt ſind diejenigen unter ihnen, welche rauhe Federn
haben,
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Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 3. Leipzig u. a., 1777, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente03_1777/91>, abgerufen am 18.12.2024.
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