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Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 3. Leipzig u. a., 1777.

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Ueber griechische Gesichter.
"ein englischer Scribent von Stande sagt, so liegt in den schönen Bildungen des Landes selbst zum
"Theil der Grund zu dieser Fähigkeit, welche durch eine anschauliche tägliche Erkenntniß leichter
"erlanget werden kann. Unterdessen war die vollkommene Schönheit auch unter den Griechen sel-
"ten, und Cotta beym Cicero sagt, daß unter der Menge von jungen Leuten zu Athen nur ein-
"zelne zu seiner Zeit wahrhaftig schön gewesen."

"Das schönste Geblüt der Griechen aber, sonderlich in Absicht der Farbe, muß unter dem
"Jonischen Himmel in klein Asien, unter dem Himmel, welcher den Homerus erzeuget, und begei-
"stert hat, gewesen seyn."

"Der begreiflichste Beweis von der vorzüglichen Form der Griechen und aller heutigen Le-
"vantiner
ist, daß sich gar keine gepletschte Nasen unter ihnen finden, welches die größte Verun-
"staltung des Gesichtes ist. Skaliger hat dieses von den Juden bemerket; ja die Juden in Por-
"tugall müssen mehrentheils Habichtsnasen haben; daher dergleichen Nasen daselbst jüdische Na-
"sen genennet werden. Vesalius merket an, daß die Köpfe der Griechen und der Türken ein schö-
"neres Oval haben, als der Deutschen und Niederländer. Es ist auch hier in Erwägung zu zie-
"hen, daß die Blattern in allen warmen Ländern weniger gefährlich sind, als in kalten Ländern,
"wo es epidemische Seuchen sind, und wie die Pest wüten. Daher wird man in Jtalien unter
"tausend kaum zehn Personen, mit unmerklichen wenigen Spuren von Blattern bezeichnet fin-
"den; den alten Griechen war aber dieses Uebel unbekannt." --




Nach dieser vorausgeschickten Stelle aus des unsterblichen Winkelmanns vortrefflichen
Geschichte der Kunst -- laßt uns nun einige Trümmern von griechischen Gesichtern etwas näher
betrachten. Man kann denken, wie bis auf Sandrart hinab -- und dann noch in Copeyen nach
ihm, die Wahrheit verlieren mußte, und doch, so wenig wir Wahrheit haben, wie viel haben wir
dennoch übrig! Laßt uns sehen!



Tafel
Phys. Fragm. III Versuch. G

Ueber griechiſche Geſichter.
„ein engliſcher Scribent von Stande ſagt, ſo liegt in den ſchoͤnen Bildungen des Landes ſelbſt zum
„Theil der Grund zu dieſer Faͤhigkeit, welche durch eine anſchauliche taͤgliche Erkenntniß leichter
„erlanget werden kann. Unterdeſſen war die vollkommene Schoͤnheit auch unter den Griechen ſel-
„ten, und Cotta beym Cicero ſagt, daß unter der Menge von jungen Leuten zu Athen nur ein-
„zelne zu ſeiner Zeit wahrhaftig ſchoͤn geweſen.“

„Das ſchoͤnſte Gebluͤt der Griechen aber, ſonderlich in Abſicht der Farbe, muß unter dem
„Joniſchen Himmel in klein Aſien, unter dem Himmel, welcher den Homerus erzeuget, und begei-
„ſtert hat, geweſen ſeyn.“

„Der begreiflichſte Beweis von der vorzuͤglichen Form der Griechen und aller heutigen Le-
„vantiner
iſt, daß ſich gar keine gepletſchte Naſen unter ihnen finden, welches die groͤßte Verun-
„ſtaltung des Geſichtes iſt. Skaliger hat dieſes von den Juden bemerket; ja die Juden in Por-
„tugall muͤſſen mehrentheils Habichtsnaſen haben; daher dergleichen Naſen daſelbſt juͤdiſche Na-
„ſen genennet werden. Veſalius merket an, daß die Koͤpfe der Griechen und der Tuͤrken ein ſchoͤ-
„neres Oval haben, als der Deutſchen und Niederlaͤnder. Es iſt auch hier in Erwaͤgung zu zie-
„hen, daß die Blattern in allen warmen Laͤndern weniger gefaͤhrlich ſind, als in kalten Laͤndern,
„wo es epidemiſche Seuchen ſind, und wie die Peſt wuͤten. Daher wird man in Jtalien unter
„tauſend kaum zehn Perſonen, mit unmerklichen wenigen Spuren von Blattern bezeichnet fin-
„den; den alten Griechen war aber dieſes Uebel unbekannt.“ —




Nach dieſer vorausgeſchickten Stelle aus des unſterblichen Winkelmanns vortrefflichen
Geſchichte der Kunſt — laßt uns nun einige Truͤmmern von griechiſchen Geſichtern etwas naͤher
betrachten. Man kann denken, wie bis auf Sandrart hinab — und dann noch in Copeyen nach
ihm, die Wahrheit verlieren mußte, und doch, ſo wenig wir Wahrheit haben, wie viel haben wir
dennoch uͤbrig! Laßt uns ſehen!



Tafel
Phyſ. Fragm. III Verſuch. G
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[49/0067] Ueber griechiſche Geſichter. „ein engliſcher Scribent von Stande ſagt, ſo liegt in den ſchoͤnen Bildungen des Landes ſelbſt zum „Theil der Grund zu dieſer Faͤhigkeit, welche durch eine anſchauliche taͤgliche Erkenntniß leichter „erlanget werden kann. Unterdeſſen war die vollkommene Schoͤnheit auch unter den Griechen ſel- „ten, und Cotta beym Cicero ſagt, daß unter der Menge von jungen Leuten zu Athen nur ein- „zelne zu ſeiner Zeit wahrhaftig ſchoͤn geweſen.“ „Das ſchoͤnſte Gebluͤt der Griechen aber, ſonderlich in Abſicht der Farbe, muß unter dem „Joniſchen Himmel in klein Aſien, unter dem Himmel, welcher den Homerus erzeuget, und begei- „ſtert hat, geweſen ſeyn.“ „Der begreiflichſte Beweis von der vorzuͤglichen Form der Griechen und aller heutigen Le- „vantiner iſt, daß ſich gar keine gepletſchte Naſen unter ihnen finden, welches die groͤßte Verun- „ſtaltung des Geſichtes iſt. Skaliger hat dieſes von den Juden bemerket; ja die Juden in Por- „tugall muͤſſen mehrentheils Habichtsnaſen haben; daher dergleichen Naſen daſelbſt juͤdiſche Na- „ſen genennet werden. Veſalius merket an, daß die Koͤpfe der Griechen und der Tuͤrken ein ſchoͤ- „neres Oval haben, als der Deutſchen und Niederlaͤnder. Es iſt auch hier in Erwaͤgung zu zie- „hen, daß die Blattern in allen warmen Laͤndern weniger gefaͤhrlich ſind, als in kalten Laͤndern, „wo es epidemiſche Seuchen ſind, und wie die Peſt wuͤten. Daher wird man in Jtalien unter „tauſend kaum zehn Perſonen, mit unmerklichen wenigen Spuren von Blattern bezeichnet fin- „den; den alten Griechen war aber dieſes Uebel unbekannt.“ — Nach dieſer vorausgeſchickten Stelle aus des unſterblichen Winkelmanns vortrefflichen Geſchichte der Kunſt — laßt uns nun einige Truͤmmern von griechiſchen Geſichtern etwas naͤher betrachten. Man kann denken, wie bis auf Sandrart hinab — und dann noch in Copeyen nach ihm, die Wahrheit verlieren mußte, und doch, ſo wenig wir Wahrheit haben, wie viel haben wir dennoch uͤbrig! Laßt uns ſehen! Tafel Phyſ. Fragm. III Verſuch. G

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Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 3. Leipzig u. a., 1777, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente03_1777/67>, abgerufen am 22.11.2024.