Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 3. Leipzig u. a., 1777.

Bild:
<< vorherige Seite
Ueber Jdeale der Alten; schöne Natur; Nachahmung.

Doch wer nichts von Religion hören mag, höre das! Man vergleiche nur Würkung und
Würkung, um Ursach und Ursach vergleichen zu können. Nur itzige deutsche, und alte griechische
Schriftstellerey ... Jch werde unwillig über mich selber, daß ich auch nur an Beweise erinnern muß.

Kurz und gut .. die hohe Schönheit der Kunstwerke der Alten ist ewiges Monument ih-
rer schönern Natur, die sie nicht übertroffen, nicht einmal erreicht hatten. Kurz und gut ... der
Künstler schafft nur so, wie jeder Mensch eine Sprache schafft -- Jeder Mahler, Künstler richtet
und bildet sich ganz augenscheinlich nach der ihn umgebenden lebendigen Natur, und den Meister-
stücken, die er vor sich hat. Wie leicht läßt sich daher jedes Mahlers Styl und Manier erklären?
Physiognomie seines Zeitalters und seiner selbst. Mag er idealisiren und karrikaturiren. Er verschö-
nert und verschlechtert sein Zeitalter. Man könnte aus seinen Jdealen und Carrikaturen den Mittel-
schlag von dem Charakter seines Zeitalters und seiner selbst abziehen .. Durch das, was ihn um-
giebt, wird er erweckt, gerührt, genährt und gebildet. Er kann allenfalls die schöne Kunst, aber
nicht die schöne Natur seines Zeitalters übertreffen.

Die ganze Sache, die ich itzt nur obenhin berührt, verdiente gewiß vollständige und tiefe
Entwickelungen. Sie greift unaussprechlich tief ins Herz der Menschheit ein. Poesie, Beredsam-
keit, Baukunst, alle bildende Künste, was sag' ich, Moral und Religion würde durch Beleuchtung
der Materie von Jdeal und Copie, Schöpfung und Nachahmung unendlich gewinnen. Man
nenne etwas in der menschlichen Natur -- das nicht Jdeal, Nachahmung oder Carrikatur ist?

[Abbildung]

Fünftes
Ueber Jdeale der Alten; ſchoͤne Natur; Nachahmung.

Doch wer nichts von Religion hoͤren mag, hoͤre das! Man vergleiche nur Wuͤrkung und
Wuͤrkung, um Urſach und Urſach vergleichen zu koͤnnen. Nur itzige deutſche, und alte griechiſche
Schriftſtellerey ... Jch werde unwillig uͤber mich ſelber, daß ich auch nur an Beweiſe erinnern muß.

Kurz und gut .. die hohe Schoͤnheit der Kunſtwerke der Alten iſt ewiges Monument ih-
rer ſchoͤnern Natur, die ſie nicht uͤbertroffen, nicht einmal erreicht hatten. Kurz und gut ... der
Kuͤnſtler ſchafft nur ſo, wie jeder Menſch eine Sprache ſchafft — Jeder Mahler, Kuͤnſtler richtet
und bildet ſich ganz augenſcheinlich nach der ihn umgebenden lebendigen Natur, und den Meiſter-
ſtuͤcken, die er vor ſich hat. Wie leicht laͤßt ſich daher jedes Mahlers Styl und Manier erklaͤren?
Phyſiognomie ſeines Zeitalters und ſeiner ſelbſt. Mag er idealiſiren und karrikaturiren. Er verſchoͤ-
nert und verſchlechtert ſein Zeitalter. Man koͤnnte aus ſeinen Jdealen und Carrikaturen den Mittel-
ſchlag von dem Charakter ſeines Zeitalters und ſeiner ſelbſt abziehen .. Durch das, was ihn um-
giebt, wird er erweckt, geruͤhrt, genaͤhrt und gebildet. Er kann allenfalls die ſchoͤne Kunſt, aber
nicht die ſchoͤne Natur ſeines Zeitalters uͤbertreffen.

Die ganze Sache, die ich itzt nur obenhin beruͤhrt, verdiente gewiß vollſtaͤndige und tiefe
Entwickelungen. Sie greift unausſprechlich tief ins Herz der Menſchheit ein. Poeſie, Beredſam-
keit, Baukunſt, alle bildende Kuͤnſte, was ſag’ ich, Moral und Religion wuͤrde durch Beleuchtung
der Materie von Jdeal und Copie, Schoͤpfung und Nachahmung unendlich gewinnen. Man
nenne etwas in der menſchlichen Natur — das nicht Jdeal, Nachahmung oder Carrikatur iſt?

[Abbildung]

Fuͤnftes
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="2">
        <pb facs="#f0065" n="47"/>
        <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Ueber Jdeale der Alten; &#x017F;cho&#x0364;ne Natur; Nachahmung.</hi> </fw><lb/>
        <p>Doch wer nichts von Religion ho&#x0364;ren mag, ho&#x0364;re das! Man vergleiche nur Wu&#x0364;rkung und<lb/>
Wu&#x0364;rkung, um Ur&#x017F;ach und Ur&#x017F;ach vergleichen zu ko&#x0364;nnen. Nur itzige deut&#x017F;che, und alte griechi&#x017F;che<lb/>
Schrift&#x017F;tellerey ... Jch werde unwillig u&#x0364;ber mich &#x017F;elber, daß ich auch nur an Bewei&#x017F;e erinnern muß.</p><lb/>
        <p>Kurz und gut .. die hohe Scho&#x0364;nheit der Kun&#x017F;twerke der Alten i&#x017F;t ewiges Monument ih-<lb/>
rer &#x017F;cho&#x0364;nern Natur, die &#x017F;ie nicht u&#x0364;bertroffen, nicht einmal erreicht hatten. Kurz und gut ... der<lb/>
Ku&#x0364;n&#x017F;tler <hi rendition="#fr">&#x017F;chafft</hi> nur &#x017F;o, wie jeder Men&#x017F;ch eine Sprache &#x017F;chafft &#x2014; Jeder Mahler, Ku&#x0364;n&#x017F;tler richtet<lb/>
und bildet &#x017F;ich ganz augen&#x017F;cheinlich nach der ihn umgebenden lebendigen Natur, und den Mei&#x017F;ter-<lb/>
&#x017F;tu&#x0364;cken, die er vor &#x017F;ich hat. Wie leicht la&#x0364;ßt &#x017F;ich daher jedes Mahlers Styl und Manier erkla&#x0364;ren?<lb/>
Phy&#x017F;iognomie &#x017F;eines Zeitalters und &#x017F;einer &#x017F;elb&#x017F;t. Mag er ideali&#x017F;iren und karrikaturiren. Er ver&#x017F;cho&#x0364;-<lb/>
nert und ver&#x017F;chlechtert &#x017F;ein Zeitalter. Man ko&#x0364;nnte aus &#x017F;einen Jdealen und Carrikaturen den Mittel-<lb/>
&#x017F;chlag von dem Charakter &#x017F;eines Zeitalters und &#x017F;einer &#x017F;elb&#x017F;t abziehen .. Durch das, was ihn um-<lb/>
giebt, wird er erweckt, geru&#x0364;hrt, gena&#x0364;hrt und gebildet. Er kann allenfalls die &#x017F;cho&#x0364;ne <hi rendition="#fr">Kun&#x017F;t,</hi> aber<lb/>
nicht die <hi rendition="#fr">&#x017F;cho&#x0364;ne Natur</hi> &#x017F;eines Zeitalters u&#x0364;bertreffen.</p><lb/>
        <p>Die ganze Sache, die ich itzt nur obenhin beru&#x0364;hrt, verdiente gewiß voll&#x017F;ta&#x0364;ndige und tiefe<lb/>
Entwickelungen. Sie greift unaus&#x017F;prechlich tief ins Herz der Men&#x017F;chheit ein. Poe&#x017F;ie, Bered&#x017F;am-<lb/>
keit, Baukun&#x017F;t, alle bildende Ku&#x0364;n&#x017F;te, was &#x017F;ag&#x2019; ich, Moral und Religion wu&#x0364;rde durch Beleuchtung<lb/>
der Materie von <hi rendition="#fr">Jdeal</hi> und <hi rendition="#fr">Copie, Scho&#x0364;pfung</hi> und <hi rendition="#fr">Nachahmung</hi> unendlich gewinnen. Man<lb/>
nenne etwas in der men&#x017F;chlichen Natur &#x2014; das nicht Jdeal, Nachahmung oder Carrikatur i&#x017F;t?</p><lb/>
        <figure/>
      </div>
      <fw place="bottom" type="catch"> <hi rendition="#b">Fu&#x0364;nftes</hi> </fw><lb/>
    </body>
  </text>
</TEI>
[47/0065] Ueber Jdeale der Alten; ſchoͤne Natur; Nachahmung. Doch wer nichts von Religion hoͤren mag, hoͤre das! Man vergleiche nur Wuͤrkung und Wuͤrkung, um Urſach und Urſach vergleichen zu koͤnnen. Nur itzige deutſche, und alte griechiſche Schriftſtellerey ... Jch werde unwillig uͤber mich ſelber, daß ich auch nur an Beweiſe erinnern muß. Kurz und gut .. die hohe Schoͤnheit der Kunſtwerke der Alten iſt ewiges Monument ih- rer ſchoͤnern Natur, die ſie nicht uͤbertroffen, nicht einmal erreicht hatten. Kurz und gut ... der Kuͤnſtler ſchafft nur ſo, wie jeder Menſch eine Sprache ſchafft — Jeder Mahler, Kuͤnſtler richtet und bildet ſich ganz augenſcheinlich nach der ihn umgebenden lebendigen Natur, und den Meiſter- ſtuͤcken, die er vor ſich hat. Wie leicht laͤßt ſich daher jedes Mahlers Styl und Manier erklaͤren? Phyſiognomie ſeines Zeitalters und ſeiner ſelbſt. Mag er idealiſiren und karrikaturiren. Er verſchoͤ- nert und verſchlechtert ſein Zeitalter. Man koͤnnte aus ſeinen Jdealen und Carrikaturen den Mittel- ſchlag von dem Charakter ſeines Zeitalters und ſeiner ſelbſt abziehen .. Durch das, was ihn um- giebt, wird er erweckt, geruͤhrt, genaͤhrt und gebildet. Er kann allenfalls die ſchoͤne Kunſt, aber nicht die ſchoͤne Natur ſeines Zeitalters uͤbertreffen. Die ganze Sache, die ich itzt nur obenhin beruͤhrt, verdiente gewiß vollſtaͤndige und tiefe Entwickelungen. Sie greift unausſprechlich tief ins Herz der Menſchheit ein. Poeſie, Beredſam- keit, Baukunſt, alle bildende Kuͤnſte, was ſag’ ich, Moral und Religion wuͤrde durch Beleuchtung der Materie von Jdeal und Copie, Schoͤpfung und Nachahmung unendlich gewinnen. Man nenne etwas in der menſchlichen Natur — das nicht Jdeal, Nachahmung oder Carrikatur iſt? [Abbildung] Fuͤnftes

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente03_1777
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente03_1777/65
Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 3. Leipzig u. a., 1777, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente03_1777/65>, abgerufen am 22.11.2024.