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Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 3. Leipzig u. a., 1777.

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XI. Abschnitt. XVIII. Fragment.
der Form des Profils und des Hauptcharakters abhängt. Bey ganz außerordentlichen Charaktern
hab' ich äußerst selten diese beyden Punkte perpendikular gefunden. Wo denken, tiefdenken den
Hauptcharakter eines Gesichtes ausmachte -- denken, fast ohne Empfindung, ohne Würkungs-
drang -- da war der obere Punkt vorstehend -- wo mit der Denkenskraft Witz, Empfindung,
Lebhaftigkeit, Thätigkeit sich vereinbarte; wo Denken mehr Sehen, Sehen mehr Empfinden, Em-
pfinden schnelle That war -- gieng der obere Punkt zurück -- der untere stand weit vor .. c) Die
eigentliche Oberlippe, die zum eigentlichen Munde gehört, muß entweder größer in der Natur, oder
der Umriß davon nicht so weich abgeschliffen seyn. Kleine Lippen sind fast immer zugleich beschnit-
tener, schärfer, oder geradlinigter. Wo hingegen der Umriß der Lippe schlangenförmiger ist --
da sind die Lippen gemeiniglich größer. Sonst ist der Ausdruck dieser Lippen Bescheidenheit, Sanft-
heit, Güte. Viel Kraft und That und Großheit ist in diesem Kinne.

Jm Ohre find' ich Ausdruck von bestimmtem festem Muthe. Die Wange ist zu leer und
zu kalt.

Das Ganze des Gesichtes, besonders wie ich's mir noch aus der Stirne heraus idealisire --
o es ist doch -- bis auf Blick und Stellung -- (das Kleinsüßlichte im Munde abgerechnet) so fürst-
lich, so kayserlich ... so einzig in seiner Art -- Nicht die Miene, denn in der Miene, das heißt,
im Effekt der beweglichen Gesichtstheile ist ein Nebel einer gewissen Unanständigkeit und kindi-
schen Blödigkeit -- nicht diese Miene also, aber die Grundphysiognomie ist so kayserlich, daß
mir die ewige Vorherbestimmung zum Kayserthum drinn, klar wie der Tag, erscheint.



Neunzehn-

XI. Abſchnitt. XVIII. Fragment.
der Form des Profils und des Hauptcharakters abhaͤngt. Bey ganz außerordentlichen Charaktern
hab’ ich aͤußerſt ſelten dieſe beyden Punkte perpendikular gefunden. Wo denken, tiefdenken den
Hauptcharakter eines Geſichtes ausmachte — denken, faſt ohne Empfindung, ohne Wuͤrkungs-
drang — da war der obere Punkt vorſtehend — wo mit der Denkenskraft Witz, Empfindung,
Lebhaftigkeit, Thaͤtigkeit ſich vereinbarte; wo Denken mehr Sehen, Sehen mehr Empfinden, Em-
pfinden ſchnelle That war — gieng der obere Punkt zuruͤck — der untere ſtand weit vor .. c) Die
eigentliche Oberlippe, die zum eigentlichen Munde gehoͤrt, muß entweder groͤßer in der Natur, oder
der Umriß davon nicht ſo weich abgeſchliffen ſeyn. Kleine Lippen ſind faſt immer zugleich beſchnit-
tener, ſchaͤrfer, oder geradlinigter. Wo hingegen der Umriß der Lippe ſchlangenfoͤrmiger iſt —
da ſind die Lippen gemeiniglich groͤßer. Sonſt iſt der Ausdruck dieſer Lippen Beſcheidenheit, Sanft-
heit, Guͤte. Viel Kraft und That und Großheit iſt in dieſem Kinne.

Jm Ohre find’ ich Ausdruck von beſtimmtem feſtem Muthe. Die Wange iſt zu leer und
zu kalt.

Das Ganze des Geſichtes, beſonders wie ich’s mir noch aus der Stirne heraus idealiſire —
o es iſt doch — bis auf Blick und Stellung — (das Kleinſuͤßlichte im Munde abgerechnet) ſo fuͤrſt-
lich, ſo kayſerlich ... ſo einzig in ſeiner Art — Nicht die Miene, denn in der Miene, das heißt,
im Effekt der beweglichen Geſichtstheile iſt ein Nebel einer gewiſſen Unanſtaͤndigkeit und kindi-
ſchen Bloͤdigkeit — nicht dieſe Miene alſo, aber die Grundphyſiognomie iſt ſo kayſerlich, daß
mir die ewige Vorherbeſtimmung zum Kayſerthum drinn, klar wie der Tag, erſcheint.



Neunzehn-
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[324/0524] XI. Abſchnitt. XVIII. Fragment. der Form des Profils und des Hauptcharakters abhaͤngt. Bey ganz außerordentlichen Charaktern hab’ ich aͤußerſt ſelten dieſe beyden Punkte perpendikular gefunden. Wo denken, tiefdenken den Hauptcharakter eines Geſichtes ausmachte — denken, faſt ohne Empfindung, ohne Wuͤrkungs- drang — da war der obere Punkt vorſtehend — wo mit der Denkenskraft Witz, Empfindung, Lebhaftigkeit, Thaͤtigkeit ſich vereinbarte; wo Denken mehr Sehen, Sehen mehr Empfinden, Em- pfinden ſchnelle That war — gieng der obere Punkt zuruͤck — der untere ſtand weit vor .. c) Die eigentliche Oberlippe, die zum eigentlichen Munde gehoͤrt, muß entweder groͤßer in der Natur, oder der Umriß davon nicht ſo weich abgeſchliffen ſeyn. Kleine Lippen ſind faſt immer zugleich beſchnit- tener, ſchaͤrfer, oder geradlinigter. Wo hingegen der Umriß der Lippe ſchlangenfoͤrmiger iſt — da ſind die Lippen gemeiniglich groͤßer. Sonſt iſt der Ausdruck dieſer Lippen Beſcheidenheit, Sanft- heit, Guͤte. Viel Kraft und That und Großheit iſt in dieſem Kinne. Jm Ohre find’ ich Ausdruck von beſtimmtem feſtem Muthe. Die Wange iſt zu leer und zu kalt. Das Ganze des Geſichtes, beſonders wie ich’s mir noch aus der Stirne heraus idealiſire — o es iſt doch — bis auf Blick und Stellung — (das Kleinſuͤßlichte im Munde abgerechnet) ſo fuͤrſt- lich, ſo kayſerlich ... ſo einzig in ſeiner Art — Nicht die Miene, denn in der Miene, das heißt, im Effekt der beweglichen Geſichtstheile iſt ein Nebel einer gewiſſen Unanſtaͤndigkeit und kindi- ſchen Bloͤdigkeit — nicht dieſe Miene alſo, aber die Grundphyſiognomie iſt ſo kayſerlich, daß mir die ewige Vorherbeſtimmung zum Kayſerthum drinn, klar wie der Tag, erſcheint. Neunzehn-

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Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 3. Leipzig u. a., 1777, S. 324. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente03_1777/524>, abgerufen am 22.11.2024.