Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 3. Leipzig u. a., 1777.Frauenspersonen. Siebenzehntes Fragment. Des III. Ban-Ein schattirtes Profil. B ... n. des XCI. Tafel. Bn. Hier ist Uebung für den physiognomischen Sinn -- Unterscheidet, Leser, hier das Jch kenne das Urbild nicht, und ich vermuthe merkliche Unähnlichkeit. Offenbar ist der Mund viel zu nah an der Nase; und das Nasenläppchen zu fern vom Aber eines der sprechendsten, originellsten Gesichter muß das Original doch gewiß seyn -- Von Gemeinheit und Mittelmäßigkeit ist hier wohl keine Frage. Diese reine hohe Stirne -- die Zeichnung und die Lage und der Blick dieses Auges -- Diese Frau mit diesem Stolze und dieser Demuth -- dieser stillen aber großen Kraft; die- Eine solche Nase -- sie wird mich sogleich mit Achtung, Ehrfurcht und Demuth gegen sie Aber warum werden so viele Männer von diesem Gesichte, dem nämlich auf dem Papiere, ihr Phys. Fragm. III. Versuch. S s
Frauensperſonen. Siebenzehntes Fragment. Des III. Ban-Ein ſchattirtes Profil. B ... n. des XCI. Tafel. Bn. Hier iſt Uebung fuͤr den phyſiognomiſchen Sinn — Unterſcheidet, Leſer, hier das Jch kenne das Urbild nicht, und ich vermuthe merkliche Unaͤhnlichkeit. Offenbar iſt der Mund viel zu nah an der Naſe; und das Naſenlaͤppchen zu fern vom Aber eines der ſprechendſten, originellſten Geſichter muß das Original doch gewiß ſeyn — Von Gemeinheit und Mittelmaͤßigkeit iſt hier wohl keine Frage. Dieſe reine hohe Stirne — die Zeichnung und die Lage und der Blick dieſes Auges — Dieſe Frau mit dieſem Stolze und dieſer Demuth — dieſer ſtillen aber großen Kraft; die- Eine ſolche Naſe — ſie wird mich ſogleich mit Achtung, Ehrfurcht und Demuth gegen ſie Aber warum werden ſo viele Maͤnner von dieſem Geſichte, dem naͤmlich auf dem Papiere, ihr Phyſ. Fragm. III. Verſuch. S s
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Frauensperſonen.
Siebenzehntes Fragment.
Ein ſchattirtes Profil. B ... n.
Hier iſt Uebung fuͤr den phyſiognomiſchen Sinn — Unterſcheidet, Leſer, hier das
Feſte von dem Zufaͤlligen, und das Urtheil wird euch leicht werden — und euer Ur-
theil wird Wahrheit ſeyn.
Jch kenne das Urbild nicht, und ich vermuthe merkliche Unaͤhnlichkeit.
Offenbar iſt der Mund viel zu nah an der Naſe; und das Naſenlaͤppchen zu fern vom
Auge.
Aber eines der ſprechendſten, originellſten Geſichter muß das Original doch gewiß ſeyn —
wenigſtens iſt’s gewiß dieß Nachbild.
Von Gemeinheit und Mittelmaͤßigkeit iſt hier wohl keine Frage.
Dieſe reine hohe Stirne — die Zeichnung und die Lage und der Blick dieſes Auges —
dieſe beynah ganz einzige Naſe — ſelbſt die mißzeichnete Oberlippe, Backen, Kinn und Kinnlade,
wo nicht beſonders gerechnet, doch nicht ausgeſchloſſen — welche maͤnnliche Weiblichkeit! welcher
Mann muß es ſeyn, um mit dieſem Weibe Eines Flugs zu fliegen? Denkende Klugheit iſt
wohl das auffallendſte dieſes Geſichtes.
Dieſe Frau mit dieſem Stolze und dieſer Demuth — dieſer ſtillen aber großen Kraft; die-
ſer Herrſchensfaͤhigkeit und Unterwuͤrfigkeit — (von der ich uͤbrigens nicht das allermindeſte weiß)
Sie iſt in meinen Augen Ehre des weiblichen Geſchlechts und der Menſchheit — koͤnnt’ es gewiß
ſeyn, wenn ſie’s nicht waͤre.
Eine ſolche Naſe — ſie wird mich ſogleich mit Achtung, Ehrfurcht und Demuth gegen ſie
erfuͤllen — Jch werde zu ihr hingehen, und ſagen — „Du riecheſt den Duft meiner Geſinnungen!“
Aber warum werden ſo viele Maͤnner von dieſem Geſichte, dem naͤmlich auf dem Papiere,
wegſpringen? So viele ſchwache Weibchen uͤber dieß Geſicht, ehe ſie dieſen Text geleſen haben, la-
chen oder laͤcheln? — Weil ſie noch nicht genug gewoͤhnt ſind, das Feſte oder die Zeichnung der Phy-
ſiognomie zu beobachten? weil ſie noch zu ſehr am gegenwaͤrtigen Moment der Miene hangen —
weil ſie immer Miene und Phyſiognomie verwechſeln. Der Mund wird ſie wegſchrecken; wird
ihr
Phyſ. Fragm. III. Verſuch. S s
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