Achtes Fragment. Zwey Profile von Frauenspersonen.
B.
Großes und Kleines in Einem Gesichte. Großes von Natur -- Kleinheit durch -- ich weiß nicht was! vielleicht nur durch Zeichnungsfehler? Jch kenne das Urbild im mindesten nicht; also kann ich unbefangen urtheilen -- diese Stirn an einem weiblichen Gesichte ist außerordentlich; von oben herab anzusehen, vermuthlich beynahe cylindrisch. Auch ist noch etwas von derselben Größe in der Augenbraune. Das, obgleich am obern Augenliede verzeichnete, Auge -- hat dennoch noch Ausdruck genug von Fruchtbarkeit des Witzes und der Einbildungskraft. Die Nase allein betrachtet, vorausgesetzt, daß man das Nasenloch richtiger gezeichnet denke, ist sicherlich keiner gemeinen weiblichen Seele, obgleich ich mich nicht erwehren kann, mächtige Sinnlichkeit drinn aus- gedrückt zu vermuthen -- Aber der Uebergang von dieser Stirne zu dieser Nase hat etwas wider- liches für mich. Man denke sich denselben entweder weniger hohl, oder dann die Stirne zurückliegen- der -- und man wird in diesem Gesichte mehr Harmonie finden.
Aber nun -- wo fängt die Kleinlichkeit recht sichtbar an? -- Unter der Nase bis zum Ende des Kinns. Eine Gedehntheit, die besonders mit der Stirne sehr kontrastirt. Kindische Schwä- che -- Leichtsinn -- süße gemeine Weiblichkeit -- an sich betrachtet ist in dem Munde, den wir vor uns haben, edle jungfräuliche Güte. Aber die ganze Parthey hat was kraftlos weichliches, das den Ausdruck der Nase vollkommen zu bestätigen scheint.
Z.
Jn diesem, obgleich der Natur unähnlichen Gesichte .. wie viel mehr Einfachheit, Einsin- nigkeit; -- wie viel weiblicher die Stirne! kräftiger, inniger, edler, nicht hervorlüsternd die Nase! Das Auge, wie denkend und Leiden zurückhaltend! So der, obgleich allzukleinliche, verschnittene Mund! -- Aber der Umriß von der Nase zum Kinne -- Man vergleiche ihn mit dem obern, und fühle! fühle des Leichtsinns Gegensatz! -- Uebrigens ein so verschloßnes -- drangvolles Gesicht -- daß es mir schwer fiele, alle Schätze drinn heraus zu blicken.
Hier
Phys. Fragm.III.Versuch. Q q
Frauensperſonen.
Achtes Fragment. Zwey Profile von Frauensperſonen.
B.
Großes und Kleines in Einem Geſichte. Großes von Natur — Kleinheit durch — ich weiß nicht was! vielleicht nur durch Zeichnungsfehler? Jch kenne das Urbild im mindeſten nicht; alſo kann ich unbefangen urtheilen — dieſe Stirn an einem weiblichen Geſichte iſt außerordentlich; von oben herab anzuſehen, vermuthlich beynahe cylindriſch. Auch iſt noch etwas von derſelben Groͤße in der Augenbraune. Das, obgleich am obern Augenliede verzeichnete, Auge — hat dennoch noch Ausdruck genug von Fruchtbarkeit des Witzes und der Einbildungskraft. Die Naſe allein betrachtet, vorausgeſetzt, daß man das Naſenloch richtiger gezeichnet denke, iſt ſicherlich keiner gemeinen weiblichen Seele, obgleich ich mich nicht erwehren kann, maͤchtige Sinnlichkeit drinn aus- gedruͤckt zu vermuthen — Aber der Uebergang von dieſer Stirne zu dieſer Naſe hat etwas wider- liches fuͤr mich. Man denke ſich denſelben entweder weniger hohl, oder dann die Stirne zuruͤckliegen- der — und man wird in dieſem Geſichte mehr Harmonie finden.
Aber nun — wo faͤngt die Kleinlichkeit recht ſichtbar an? — Unter der Naſe bis zum Ende des Kinns. Eine Gedehntheit, die beſonders mit der Stirne ſehr kontraſtirt. Kindiſche Schwaͤ- che — Leichtſinn — ſuͤße gemeine Weiblichkeit — an ſich betrachtet iſt in dem Munde, den wir vor uns haben, edle jungfraͤuliche Guͤte. Aber die ganze Parthey hat was kraftlos weichliches, das den Ausdruck der Naſe vollkommen zu beſtaͤtigen ſcheint.
Z.
Jn dieſem, obgleich der Natur unaͤhnlichen Geſichte .. wie viel mehr Einfachheit, Einſin- nigkeit; — wie viel weiblicher die Stirne! kraͤftiger, inniger, edler, nicht hervorluͤſternd die Naſe! Das Auge, wie denkend und Leiden zuruͤckhaltend! So der, obgleich allzukleinliche, verſchnittene Mund! — Aber der Umriß von der Naſe zum Kinne — Man vergleiche ihn mit dem obern, und fuͤhle! fuͤhle des Leichtſinns Gegenſatz! — Uebrigens ein ſo verſchloßnes — drangvolles Geſicht — daß es mir ſchwer fiele, alle Schaͤtze drinn heraus zu blicken.
Hier
Phyſ. Fragm.III.Verſuch. Q q
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Frauensperſonen.
Achtes Fragment.
Zwey Profile von Frauensperſonen.
B.
Großes und Kleines in Einem Geſichte. Großes von Natur — Kleinheit durch —
ich weiß nicht was! vielleicht nur durch Zeichnungsfehler? Jch kenne das Urbild im
mindeſten nicht; alſo kann ich unbefangen urtheilen — dieſe Stirn an einem weiblichen Geſichte iſt
außerordentlich; von oben herab anzuſehen, vermuthlich beynahe cylindriſch. Auch iſt noch etwas von
derſelben Groͤße in der Augenbraune. Das, obgleich am obern Augenliede verzeichnete, Auge — hat
dennoch noch Ausdruck genug von Fruchtbarkeit des Witzes und der Einbildungskraft. Die Naſe
allein betrachtet, vorausgeſetzt, daß man das Naſenloch richtiger gezeichnet denke, iſt ſicherlich keiner
gemeinen weiblichen Seele, obgleich ich mich nicht erwehren kann, maͤchtige Sinnlichkeit drinn aus-
gedruͤckt zu vermuthen — Aber der Uebergang von dieſer Stirne zu dieſer Naſe hat etwas wider-
liches fuͤr mich. Man denke ſich denſelben entweder weniger hohl, oder dann die Stirne zuruͤckliegen-
der — und man wird in dieſem Geſichte mehr Harmonie finden.
Aber nun — wo faͤngt die Kleinlichkeit recht ſichtbar an? — Unter der Naſe bis zum Ende
des Kinns. Eine Gedehntheit, die beſonders mit der Stirne ſehr kontraſtirt. Kindiſche Schwaͤ-
che — Leichtſinn — ſuͤße gemeine Weiblichkeit — an ſich betrachtet iſt in dem Munde, den wir
vor uns haben, edle jungfraͤuliche Guͤte. Aber die ganze Parthey hat was kraftlos weichliches,
das den Ausdruck der Naſe vollkommen zu beſtaͤtigen ſcheint.
Z.
Jn dieſem, obgleich der Natur unaͤhnlichen Geſichte .. wie viel mehr Einfachheit, Einſin-
nigkeit; — wie viel weiblicher die Stirne! kraͤftiger, inniger, edler, nicht hervorluͤſternd die Naſe!
Das Auge, wie denkend und Leiden zuruͤckhaltend! So der, obgleich allzukleinliche, verſchnittene
Mund! — Aber der Umriß von der Naſe zum Kinne — Man vergleiche ihn mit dem obern, und
fuͤhle! fuͤhle des Leichtſinns Gegenſatz! — Uebrigens ein ſo verſchloßnes — drangvolles Geſicht —
daß es mir ſchwer fiele, alle Schaͤtze drinn heraus zu blicken.
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Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 3. Leipzig u. a., 1777, S. 305. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente03_1777/491>, abgerufen am 19.12.2024.
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