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Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 3. Leipzig u. a., 1777.

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Frauenspersonen.
Sechstes Fragment.
Ein großes Frauenzimmergesicht von vornen.
Des III. Ban-
des LXXXIII.
Tafel. G.

Jch kannte dieses Gesicht als ein Kind -- da war's ein liebenswürdiger Engel --
wie ähnlich dieß Bild sey, weiß ich nicht. Genug, es ist das Bild einer edeln, zärtli-
chen, aufrichtigen, Verstand- und Fähigkeitsreichen Seele. Die Stirne, wie sie hier erscheint,
ist unverworren und offen -- hellsehend, richtig sehend; aber eben nicht tiefgrabend. Form und
Lage der Augenbraunen, und der Raum dazwischen zeigt nicht gemeine Verstandesfähigkeit -- die
aber doch durch die Länge des Raums bis zu den Augenwinkeln, wenn man sich diesen als einen
Dreyangel denkt -- etwas gedämpft zu werden scheint. -- Die Augen, in denen, überhaupt be-
trachtet, so viel Physiognomie, so viel zarte Liebe ist -- scheinen mir dennoch unwahr und nicht
richtig gezeichnet. Der Bogen gerade über dem Augapfel hat gewiß in der Natur nicht diese etwas
matte Wölbung.

Die Nase ist nicht der hochgebietenden eine -- nicht der harten, nicht der luftigen, nicht der
unempfindlichen eine; voll Adel, Ruhe, Weisheit -- Geduld und Liebe ... Der gewiß karrika-
turirte, oder wenn ihr lieber wollt, manierirte Mund -- ist dennoch auch so noch voll der sanfte-
sten, edelsten, reinsten Bescheidenheit und Güte .. So auch das Kinn! -- Mehr Wahrheit in
den Augen -- Sonst alles in der einfachsten Harmonie -- bis auf die Stellung des Kopfes. Die
Ohren sind fatal gezeichnet, und plump. Desto schöner das Oval des Gesichtes -- das so guten
Eindruck für die Einfachheit des Charakters zu machen scheint.



Siebentes
Frauensperſonen.
Sechstes Fragment.
Ein großes Frauenzimmergeſicht von vornen.
Des III. Ban-
des LXXXIII.
Tafel. G.

Jch kannte dieſes Geſicht als ein Kind — da war’s ein liebenswuͤrdiger Engel —
wie aͤhnlich dieß Bild ſey, weiß ich nicht. Genug, es iſt das Bild einer edeln, zaͤrtli-
chen, aufrichtigen, Verſtand- und Faͤhigkeitsreichen Seele. Die Stirne, wie ſie hier erſcheint,
iſt unverworren und offen — hellſehend, richtig ſehend; aber eben nicht tiefgrabend. Form und
Lage der Augenbraunen, und der Raum dazwiſchen zeigt nicht gemeine Verſtandesfaͤhigkeit — die
aber doch durch die Laͤnge des Raums bis zu den Augenwinkeln, wenn man ſich dieſen als einen
Dreyangel denkt — etwas gedaͤmpft zu werden ſcheint. — Die Augen, in denen, uͤberhaupt be-
trachtet, ſo viel Phyſiognomie, ſo viel zarte Liebe iſt — ſcheinen mir dennoch unwahr und nicht
richtig gezeichnet. Der Bogen gerade uͤber dem Augapfel hat gewiß in der Natur nicht dieſe etwas
matte Woͤlbung.

Die Naſe iſt nicht der hochgebietenden eine — nicht der harten, nicht der luftigen, nicht der
unempfindlichen eine; voll Adel, Ruhe, Weisheit — Geduld und Liebe ... Der gewiß karrika-
turirte, oder wenn ihr lieber wollt, manierirte Mund — iſt dennoch auch ſo noch voll der ſanfte-
ſten, edelſten, reinſten Beſcheidenheit und Guͤte .. So auch das Kinn! — Mehr Wahrheit in
den Augen — Sonſt alles in der einfachſten Harmonie — bis auf die Stellung des Kopfes. Die
Ohren ſind fatal gezeichnet, und plump. Deſto ſchoͤner das Oval des Geſichtes — das ſo guten
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[303/0485] Frauensperſonen. Sechstes Fragment. Ein großes Frauenzimmergeſicht von vornen. Jch kannte dieſes Geſicht als ein Kind — da war’s ein liebenswuͤrdiger Engel — wie aͤhnlich dieß Bild ſey, weiß ich nicht. Genug, es iſt das Bild einer edeln, zaͤrtli- chen, aufrichtigen, Verſtand- und Faͤhigkeitsreichen Seele. Die Stirne, wie ſie hier erſcheint, iſt unverworren und offen — hellſehend, richtig ſehend; aber eben nicht tiefgrabend. Form und Lage der Augenbraunen, und der Raum dazwiſchen zeigt nicht gemeine Verſtandesfaͤhigkeit — die aber doch durch die Laͤnge des Raums bis zu den Augenwinkeln, wenn man ſich dieſen als einen Dreyangel denkt — etwas gedaͤmpft zu werden ſcheint. — Die Augen, in denen, uͤberhaupt be- trachtet, ſo viel Phyſiognomie, ſo viel zarte Liebe iſt — ſcheinen mir dennoch unwahr und nicht richtig gezeichnet. Der Bogen gerade uͤber dem Augapfel hat gewiß in der Natur nicht dieſe etwas matte Woͤlbung. Die Naſe iſt nicht der hochgebietenden eine — nicht der harten, nicht der luftigen, nicht der unempfindlichen eine; voll Adel, Ruhe, Weisheit — Geduld und Liebe ... Der gewiß karrika- turirte, oder wenn ihr lieber wollt, manierirte Mund — iſt dennoch auch ſo noch voll der ſanfte- ſten, edelſten, reinſten Beſcheidenheit und Guͤte .. So auch das Kinn! — Mehr Wahrheit in den Augen — Sonſt alles in der einfachſten Harmonie — bis auf die Stellung des Kopfes. Die Ohren ſind fatal gezeichnet, und plump. Deſto ſchoͤner das Oval des Geſichtes — das ſo guten Eindruck fuͤr die Einfachheit des Charakters zu machen ſcheint. Siebentes

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Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 3. Leipzig u. a., 1777, S. 303. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente03_1777/485>, abgerufen am 17.11.2024.