Jch kenne das schönere Original nicht. Es soll diesem Bilde sehr unähnlich seyn -- Jch sage also von dem lebenden Charakter kein Wort. Und was von diesem Bilde? -- Kein gemeines, kein unbedeutendes Gesicht! Die Stirne bis zur Augenbraune -- sowohl in Ab- sicht auf Umriß, als Lage -- sehr viel versprechend -- Wenn der Uebergang von der Stirne zur Nase; wenn die Nase selbst bis an die Spitze wenigstens -- gemein ist; so ist's gewiß das Auge nicht; gewiß nicht der Uebergang von der Nase zum Munde; gewiß die Oberlippe nicht -- (der Mund ist im übrigen gewiß zum Nachtheil des Urbildes unwahr) gewiß der Profilumriß des Kin- nes nicht. Und abermals Zeichners Schuld ist, daß das ganze Gesicht, wie gewöhnlich, keinen ein- fachen bestimmten Blick hat -- daher Weltleute, Hofleute, die nur die Mienen, nicht aber die Physiognomien kennen, diesem Gesichte gewiß unrecht thun würden. So viel Physiognomie, möcht' ich sagen, kann nicht so wenig Miene haben. Jm Ohre, dieser Fläche und Breite des Ohres, ist viel Lernensfähigkeit.
Deine Miene sey wie deine Physiognomie! -- Alles, was ich zu nachstehendem mir un- bekannten Gesichte sagen möchte: Sey nicht wenig -- du kannst viel seyn!
[Abbildung]
Fünftes
XI. Abſchnitt. IV. Fragment.
Viertes Fragment. Ein jungfraͤuliches Profil.
Des III. Ban- des LXXXI. Tafel. H.
Jch kenne das ſchoͤnere Original nicht. Es ſoll dieſem Bilde ſehr unaͤhnlich ſeyn — Jch ſage alſo von dem lebenden Charakter kein Wort. Und was von dieſem Bilde? — Kein gemeines, kein unbedeutendes Geſicht! Die Stirne bis zur Augenbraune — ſowohl in Ab- ſicht auf Umriß, als Lage — ſehr viel verſprechend — Wenn der Uebergang von der Stirne zur Naſe; wenn die Naſe ſelbſt bis an die Spitze wenigſtens — gemein iſt; ſo iſt’s gewiß das Auge nicht; gewiß nicht der Uebergang von der Naſe zum Munde; gewiß die Oberlippe nicht — (der Mund iſt im uͤbrigen gewiß zum Nachtheil des Urbildes unwahr) gewiß der Profilumriß des Kin- nes nicht. Und abermals Zeichners Schuld iſt, daß das ganze Geſicht, wie gewoͤhnlich, keinen ein- fachen beſtimmten Blick hat — daher Weltleute, Hofleute, die nur die Mienen, nicht aber die Phyſiognomien kennen, dieſem Geſichte gewiß unrecht thun wuͤrden. So viel Phyſiognomie, moͤcht’ ich ſagen, kann nicht ſo wenig Miene haben. Jm Ohre, dieſer Flaͤche und Breite des Ohres, iſt viel Lernensfaͤhigkeit.
Deine Miene ſey wie deine Phyſiognomie! — Alles, was ich zu nachſtehendem mir un- bekannten Geſichte ſagen moͤchte: Sey nicht wenig — du kannſt viel ſeyn!
[Abbildung]
Fuͤnftes
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XI. Abſchnitt. IV. Fragment.
Viertes Fragment.
Ein jungfraͤuliches Profil.
Jch kenne das ſchoͤnere Original nicht. Es ſoll dieſem Bilde ſehr unaͤhnlich ſeyn —
Jch ſage alſo von dem lebenden Charakter kein Wort. Und was von dieſem Bilde? —
Kein gemeines, kein unbedeutendes Geſicht! Die Stirne bis zur Augenbraune — ſowohl in Ab-
ſicht auf Umriß, als Lage — ſehr viel verſprechend — Wenn der Uebergang von der Stirne zur
Naſe; wenn die Naſe ſelbſt bis an die Spitze wenigſtens — gemein iſt; ſo iſt’s gewiß das Auge
nicht; gewiß nicht der Uebergang von der Naſe zum Munde; gewiß die Oberlippe nicht — (der
Mund iſt im uͤbrigen gewiß zum Nachtheil des Urbildes unwahr) gewiß der Profilumriß des Kin-
nes nicht. Und abermals Zeichners Schuld iſt, daß das ganze Geſicht, wie gewoͤhnlich, keinen ein-
fachen beſtimmten Blick hat — daher Weltleute, Hofleute, die nur die Mienen, nicht aber die
Phyſiognomien kennen, dieſem Geſichte gewiß unrecht thun wuͤrden. So viel Phyſiognomie,
moͤcht’ ich ſagen, kann nicht ſo wenig Miene haben. Jm Ohre, dieſer Flaͤche und Breite des
Ohres, iſt viel Lernensfaͤhigkeit.
Deine Miene ſey wie deine Phyſiognomie! — Alles, was ich zu nachſtehendem mir un-
bekannten Geſichte ſagen moͤchte: Sey nicht wenig — du kannſt viel ſeyn!
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Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 3. Leipzig u. a., 1777, S. 300. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente03_1777/476>, abgerufen am 18.12.2024.
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