Das heiß' ich mir Physiognomie. So eine bleibt nicht ohne That und Würkung; nicht ohne Fußstapfen -- geht sie aus der Welt. So ein Gesicht im Kreuz! so gerader perpendikularer Nase -- so horizontalen Mundes; solcher tiefer, fester, bogigter Augen -- solcher Breite und solchen vollen und (gewiß in der Natur) feinen Haarwuchses. Welche treffende Freymü- thigkeit, welche Naivete des Trotzes in diesen Augen! diesem Raume zwischen den Augen!.. Doch ist vermuthlich das Liebliche durch den bloßen, und besonders im Munde harten Umriß verdrängt worden. Bey allem Treffenden, und wenn man will, Argen, so indeß dieß Gesicht haben mag -- nichts weniger, als Planmachende Arglist! -- Kein Weichling; kein süßer religioser Schwätzer; kein erhabner Aufflieger in himmlische Höhen -- kein Grämlichschmachtender in der Tiefe .. Er sieht euch ins Herz, und darf sich ins Herz sehen lassen. -- Doch welcher Unterschied zwischen dem und einem Vandykischen Apostel, der im Umriß auch sehr verlor -- welche Größe bleibt da noch in jedem Zuge -- und welche Herrlichkeit in der Form des Ganzen -- Form des Ganzen -- auch ohne Rücksicht auf das Besondere der Züge, wie viel, wie unaussprechlich viel mehr zeigt diese, als die einzelnen Züge! Und dann doch! welche Majestät in diesem Blicke! welche Stärke im Munde, obwohl verachtender Trutz auf der zu großen Unterlippe sitzt.
[Abbildung]
Fünftes
Viertes Fragment. Cornhertius.
Des III. Ban- des LXIX. Tafel.
Das heiß’ ich mir Phyſiognomie. So eine bleibt nicht ohne That und Wuͤrkung; nicht ohne Fußſtapfen — geht ſie aus der Welt. So ein Geſicht im Kreuz! ſo gerader perpendikularer Naſe — ſo horizontalen Mundes; ſolcher tiefer, feſter, bogigter Augen — ſolcher Breite und ſolchen vollen und (gewiß in der Natur) feinen Haarwuchſes. Welche treffende Freymuͤ- thigkeit, welche Naivete des Trotzes in dieſen Augen! dieſem Raume zwiſchen den Augen!.. Doch iſt vermuthlich das Liebliche durch den bloßen, und beſonders im Munde harten Umriß verdraͤngt worden. Bey allem Treffenden, und wenn man will, Argen, ſo indeß dieß Geſicht haben mag — nichts weniger, als Planmachende Argliſt! — Kein Weichling; kein ſuͤßer religioſer Schwaͤtzer; kein erhabner Aufflieger in himmliſche Hoͤhen — kein Graͤmlichſchmachtender in der Tiefe .. Er ſieht euch ins Herz, und darf ſich ins Herz ſehen laſſen. — Doch welcher Unterſchied zwiſchen dem und einem Vandykiſchen Apoſtel, der im Umriß auch ſehr verlor — welche Groͤße bleibt da noch in jedem Zuge — und welche Herrlichkeit in der Form des Ganzen — Form des Ganzen — auch ohne Ruͤckſicht auf das Beſondere der Zuͤge, wie viel, wie unausſprechlich viel mehr zeigt dieſe, als die einzelnen Zuͤge! Und dann doch! welche Majeſtaͤt in dieſem Blicke! welche Staͤrke im Munde, obwohl verachtender Trutz auf der zu großen Unterlippe ſitzt.
[Abbildung]
Fuͤnftes
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Viertes Fragment.
Cornhertius.
Das heiß’ ich mir Phyſiognomie. So eine bleibt nicht ohne That und Wuͤrkung;
nicht ohne Fußſtapfen — geht ſie aus der Welt. So ein Geſicht im Kreuz! ſo gerader
perpendikularer Naſe — ſo horizontalen Mundes; ſolcher tiefer, feſter, bogigter Augen — ſolcher
Breite und ſolchen vollen und (gewiß in der Natur) feinen Haarwuchſes. Welche treffende Freymuͤ-
thigkeit, welche Naivete des Trotzes in dieſen Augen! dieſem Raume zwiſchen den Augen!.. Doch
iſt vermuthlich das Liebliche durch den bloßen, und beſonders im Munde harten Umriß verdraͤngt
worden. Bey allem Treffenden, und wenn man will, Argen, ſo indeß dieß Geſicht haben mag —
nichts weniger, als Planmachende Argliſt! — Kein Weichling; kein ſuͤßer religioſer Schwaͤtzer;
kein erhabner Aufflieger in himmliſche Hoͤhen — kein Graͤmlichſchmachtender in der Tiefe .. Er
ſieht euch ins Herz, und darf ſich ins Herz ſehen laſſen. — Doch welcher Unterſchied zwiſchen dem
und einem Vandykiſchen Apoſtel, der im Umriß auch ſehr verlor — welche Groͤße bleibt da noch
in jedem Zuge — und welche Herrlichkeit in der Form des Ganzen — Form des Ganzen — auch
ohne Ruͤckſicht auf das Beſondere der Zuͤge, wie viel, wie unausſprechlich viel mehr zeigt dieſe, als
die einzelnen Zuͤge! Und dann doch! welche Majeſtaͤt in dieſem Blicke! welche Staͤrke im Munde,
obwohl verachtender Trutz auf der zu großen Unterlippe ſitzt.
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Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 3. Leipzig u. a., 1777, S. 252. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente03_1777/404>, abgerufen am 18.12.2024.
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