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Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 3. Leipzig u. a., 1777.

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Allgemeine Betrachtungen.
eigenen Lebens gewiß ist -- und wer ist Christ -- ohne diese Gewißheit? -- Der kann Tu-
genden ausüben, die kein Philosoph, und wenn seine Tugendliebe unbefleckt wäre, als Philo-
soph, kein bloßer Jsraelite, als solcher, ausüben kann -- Wer ist's, der die Welt überwin-
det, denn nur der glaubt -- Jesus sey der Sohn Gottes.
Siehe also hier Stufen der
Menschheit.
-- O daß ich nun eines redlichen Weltweisen, der Naturreligion hat; eines
israelitischen Anbeters Gottes, in dem kein Falsch ist; -- und eines apostolischen Christen --
wahre Physiognomien, alle an derselben Tugendhandlung theilnehmend, vorführen und wahr dar-
stellen könnte! So aber -- fehlt's noch an Originalen sowohl, als an Copisten.



Und wie viel Millionen Nüancen von diesen Religionskräften giebt's nun noch ...

Und ist das nicht Wille der ewigen Weisheit? und liegt's da an jemandes Wollen
oder Laufen? oder an Gottes Erbarmen?

Aber Gottes Erbarmen will, daß alle Menschen zur Erkenntniß der Wahrheit
kommen,
das ist: zum Glauben an unsern einzigen Herrn und Heiland Jesus Christus.

Unbeschreiblich erhabne Würde der Menschheit, Religion, Christus -- Religion. Noch
einmal, und noch zehnmal -- durch diese Religionsfähigkeit allein, wie unaussprechlich ist die
Menschheit über die Thierheit erhaben! Wie veredelt, wie vergottähnlichet, wenn ich so sa-
gen darf, gerade eben diese Religionsfähigkeit, die Gestalt, die Bildung, und die Miene des
Menschen.

Die bloße Möglichkeit, diese Religionsfähigkeit zu denken, so große Erwartungen,
Hoffnungen, Ahndungen, Bestrebungen zu haben; wie sollte sie dem, der sie hat, sicherste Bürg-
schaft und Pfand
seyn, daß er auf eine ähnliche Weise organisirt ist, wie der Erstgeborne
und Eingeborne
des Vaters, in welchem alle Fülle der Gottheit leibhaftig wohnet!

Wenn der Vater dieses Jesus Christus, der weiß, was wir vor ein Gemächte sind,
und daran gedenket, daß wir Staub sind;
-- wenn der uns heißt gesinnet seyn, wie Je-
sus Christus auch war,
so muß er unsern Körper, in dem allein wir Christus ähnlich em-
pfinden, und Christus ähnlich handeln können, auf eine ähnliche Weise gebildet und organisirt
haben, wie den, den er uns zum Vorbilde gesetzt hat, daß wir nachfolgen seinen Fußstapfen.

Er
Phys. Fragm. III Versuch. G g

Allgemeine Betrachtungen.
eigenen Lebens gewiß iſt — und wer iſt Chriſt — ohne dieſe Gewißheit? — Der kann Tu-
genden ausuͤben, die kein Philoſoph, und wenn ſeine Tugendliebe unbefleckt waͤre, als Philo-
ſoph, kein bloßer Jſraelite, als ſolcher, ausuͤben kann — Wer iſt’s, der die Welt uͤberwin-
det, denn nur der glaubt — Jeſus ſey der Sohn Gottes.
Siehe alſo hier Stufen der
Menſchheit.
— O daß ich nun eines redlichen Weltweiſen, der Naturreligion hat; eines
iſraelitiſchen Anbeters Gottes, in dem kein Falſch iſt; — und eines apoſtoliſchen Chriſten
wahre Phyſiognomien, alle an derſelben Tugendhandlung theilnehmend, vorfuͤhren und wahr dar-
ſtellen koͤnnte! So aber — fehlt’s noch an Originalen ſowohl, als an Copiſten.



Und wie viel Millionen Nuͤançen von dieſen Religionskraͤften giebt’s nun noch ...

Und iſt das nicht Wille der ewigen Weisheit? und liegt’s da an jemandes Wollen
oder Laufen? oder an Gottes Erbarmen?

Aber Gottes Erbarmen will, daß alle Menſchen zur Erkenntniß der Wahrheit
kommen,
das iſt: zum Glauben an unſern einzigen Herrn und Heiland Jeſus Chriſtus.

Unbeſchreiblich erhabne Wuͤrde der Menſchheit, Religion, Chriſtus — Religion. Noch
einmal, und noch zehnmal — durch dieſe Religionsfaͤhigkeit allein, wie unausſprechlich iſt die
Menſchheit uͤber die Thierheit erhaben! Wie veredelt, wie vergottaͤhnlichet, wenn ich ſo ſa-
gen darf, gerade eben dieſe Religionsfaͤhigkeit, die Geſtalt, die Bildung, und die Miene des
Menſchen.

Die bloße Moͤglichkeit, dieſe Religionsfaͤhigkeit zu denken, ſo große Erwartungen,
Hoffnungen, Ahndungen, Beſtrebungen zu haben; wie ſollte ſie dem, der ſie hat, ſicherſte Buͤrg-
ſchaft und Pfand
ſeyn, daß er auf eine aͤhnliche Weiſe organiſirt iſt, wie der Erſtgeborne
und Eingeborne
des Vaters, in welchem alle Fuͤlle der Gottheit leibhaftig wohnet!

Wenn der Vater dieſes Jeſus Chriſtus, der weiß, was wir vor ein Gemaͤchte ſind,
und daran gedenket, daß wir Staub ſind;
— wenn der uns heißt geſinnet ſeyn, wie Je-
ſus Chriſtus auch war,
ſo muß er unſern Koͤrper, in dem allein wir Chriſtus aͤhnlich em-
pfinden, und Chriſtus aͤhnlich handeln koͤnnen, auf eine aͤhnliche Weiſe gebildet und organiſirt
haben, wie den, den er uns zum Vorbilde geſetzt hat, daß wir nachfolgen ſeinen Fußſtapfen.

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Phyſ. Fragm. III Verſuch. G g
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[233/0381] Allgemeine Betrachtungen. eigenen Lebens gewiß iſt — und wer iſt Chriſt — ohne dieſe Gewißheit? — Der kann Tu- genden ausuͤben, die kein Philoſoph, und wenn ſeine Tugendliebe unbefleckt waͤre, als Philo- ſoph, kein bloßer Jſraelite, als ſolcher, ausuͤben kann — Wer iſt’s, der die Welt uͤberwin- det, denn nur der glaubt — Jeſus ſey der Sohn Gottes. Siehe alſo hier Stufen der Menſchheit. — O daß ich nun eines redlichen Weltweiſen, der Naturreligion hat; eines iſraelitiſchen Anbeters Gottes, in dem kein Falſch iſt; — und eines apoſtoliſchen Chriſten — wahre Phyſiognomien, alle an derſelben Tugendhandlung theilnehmend, vorfuͤhren und wahr dar- ſtellen koͤnnte! So aber — fehlt’s noch an Originalen ſowohl, als an Copiſten. Und wie viel Millionen Nuͤançen von dieſen Religionskraͤften giebt’s nun noch ... Und iſt das nicht Wille der ewigen Weisheit? und liegt’s da an jemandes Wollen oder Laufen? oder an Gottes Erbarmen? Aber Gottes Erbarmen will, daß alle Menſchen zur Erkenntniß der Wahrheit kommen, das iſt: zum Glauben an unſern einzigen Herrn und Heiland Jeſus Chriſtus. Unbeſchreiblich erhabne Wuͤrde der Menſchheit, Religion, Chriſtus — Religion. Noch einmal, und noch zehnmal — durch dieſe Religionsfaͤhigkeit allein, wie unausſprechlich iſt die Menſchheit uͤber die Thierheit erhaben! Wie veredelt, wie vergottaͤhnlichet, wenn ich ſo ſa- gen darf, gerade eben dieſe Religionsfaͤhigkeit, die Geſtalt, die Bildung, und die Miene des Menſchen. Die bloße Moͤglichkeit, dieſe Religionsfaͤhigkeit zu denken, ſo große Erwartungen, Hoffnungen, Ahndungen, Beſtrebungen zu haben; wie ſollte ſie dem, der ſie hat, ſicherſte Buͤrg- ſchaft und Pfand ſeyn, daß er auf eine aͤhnliche Weiſe organiſirt iſt, wie der Erſtgeborne und Eingeborne des Vaters, in welchem alle Fuͤlle der Gottheit leibhaftig wohnet! Wenn der Vater dieſes Jeſus Chriſtus, der weiß, was wir vor ein Gemaͤchte ſind, und daran gedenket, daß wir Staub ſind; — wenn der uns heißt geſinnet ſeyn, wie Je- ſus Chriſtus auch war, ſo muß er unſern Koͤrper, in dem allein wir Chriſtus aͤhnlich em- pfinden, und Chriſtus aͤhnlich handeln koͤnnen, auf eine aͤhnliche Weiſe gebildet und organiſirt haben, wie den, den er uns zum Vorbilde geſetzt hat, daß wir nachfolgen ſeinen Fußſtapfen. Er Phyſ. Fragm. III Verſuch. G g

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Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 3. Leipzig u. a., 1777, S. 233. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente03_1777/381>, abgerufen am 22.11.2024.