Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 3. Leipzig u. a., 1777.Musiker. Zweytes Fragment. Niklas Jomelli. Ein großer Kopf schattirt. Laßt uns einige Versuche wagen, über einzelne musikalische Physiognomien -- einige Bemerkun-
Des III. Ban- des LVII. Tafel. Und nun der Physiognomist -- was sagt er zu diesem Kopf? Ein Kopf, der allen- lich B b 3
Muſiker. Zweytes Fragment. Niklas Jomelli. Ein großer Kopf ſchattirt. Laßt uns einige Verſuche wagen, uͤber einzelne muſikaliſche Phyſiognomien — einige Bemerkun-
Des III. Ban- des LVII. Tafel. Und nun der Phyſiognomiſt — was ſagt er zu dieſem Kopf? Ein Kopf, der allen- lich B b 3
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0327" n="197"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Muſiker</hi>.</hi> </fw><lb/> <div n="2"> <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Zweytes Fragment</hi>.</hi> </head><lb/> <div n="3"> <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Niklas Jomelli.<lb/> Ein großer Kopf ſchattirt</hi>.</hi> </head><lb/> <p><hi rendition="#in">L</hi>aßt uns einige Verſuche wagen, uͤber einzelne muſikaliſche Phyſiognomien — einige Bemerkun-<lb/> gen oder Vermuthungen vorzulegen. Wir wollen bey <hi rendition="#fr">Jomelli</hi> anfangen.</p><lb/> <cit> <quote> <p>„Mit nichten <hi rendition="#fr">erhabner Kopf des Griechen,</hi> wie etwa ein Wortprangender Candidat<lb/> „der ſchoͤnen, von den Griechen ererbten, Kuͤnſte ſagen moͤchte! Auch kein haſſenswuͤrdiges Geſicht,<lb/> „wie’s etwa mancher ſuͤßlicher Geſchmaͤckler anekeln wird! — Es iſt ein Virtuoſe aus dem achtzehn-<lb/> „ten Jahrhundert. Vielleicht in den gluͤcklichen Momenten, wo der Genius in ſich ſelbſt ſich auf<lb/> „und niederregt; nichts ſieht, nichts hoͤrt, nichts fuͤhlt, als ſein werdendes Gewebe, an das er<lb/> „gern mit abgehenden Faͤden die Herzen der Untenwohnenden knuͤpfen moͤchte — Sonſt aber vor-<lb/> „liegendes Bild mit menſchlichen Namen genennet, <hi rendition="#fr">Niklas Jomelli.</hi> Jn der buͤrgerlichen Welt<lb/> „Capellmeiſter und Director des glaͤnzenden Wuͤrtembergiſchen Orcheſters. Seine Opern und ſon-<lb/> „ſtige Werke bewundert die Welt, und adelte ihn dafuͤr: <hi rendition="#fr">Genie.</hi> — Er bewuͤrkte unter andern<lb/> „neue Gefuͤhle in den Sterblichen, als er die Bruͤder der Schattirungen in der Mahlerey, das mu-<lb/> „ſikaliſche <hi rendition="#aq">Creſcendo</hi> und <hi rendition="#aq">Diminuendo,</hi> naͤher aus Licht zog, und auf Beute ausgehen ließ.</p><lb/> <p>„Jtaliaͤner und Deutſche, die vor ſeinen ſingenden Welten ſtunden, wollen ſich geweidet<lb/> „haben; ſagen ihm nach, daß er die Leidenſchaften gluͤcklich auszudruͤcken gewußt; daß er die Mit-<lb/> „wuͤrkung aller Jnſtrumente zu <hi rendition="#fr">Einem</hi> großen Zwecke verſtanden; daß er zugethan und<lb/> „weggeworfen hat — und dergleichen mehr Gutes wird von ihm geſagt, womit wir aber uns nicht<lb/> „aufhalten wollen, weil freylich wahr iſt, daß man dieß alles nicht aus vorliegendem Portraͤte ſieht.<lb/> „Jndeſſen gehoͤrt’s aber doch auch dazu.“ —</p> </quote> </cit><lb/> <note place="left">Des <hi rendition="#aq">III.</hi> Ban-<lb/> des <hi rendition="#aq">LVII.</hi><lb/> Tafel.</note> <p>Und nun der Phyſiognomiſt — was ſagt er zu dieſem Kopf? Ein Kopf, der allen-<lb/> falls Genie iſt, wenigſtens es ſeyn kann — wenig ruhig forſchender, ſtillauseinanderleſen-<lb/> der <hi rendition="#fr">Verſtand</hi> — Mehr Feuer als Genauheit in ſeinen Werken; mehr Pomp als Eleganz; mehr hin-<lb/> reiſſende Gewalt, als ſanft anziehende Zaͤrtlichkeit — das ſcheint mir wenigſtens dieß Geſicht deut-<lb/> <fw place="bottom" type="sig">B b 3</fw><fw place="bottom" type="catch">lich</fw><lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [197/0327]
Muſiker.
Zweytes Fragment.
Niklas Jomelli.
Ein großer Kopf ſchattirt.
Laßt uns einige Verſuche wagen, uͤber einzelne muſikaliſche Phyſiognomien — einige Bemerkun-
gen oder Vermuthungen vorzulegen. Wir wollen bey Jomelli anfangen.
„Mit nichten erhabner Kopf des Griechen, wie etwa ein Wortprangender Candidat
„der ſchoͤnen, von den Griechen ererbten, Kuͤnſte ſagen moͤchte! Auch kein haſſenswuͤrdiges Geſicht,
„wie’s etwa mancher ſuͤßlicher Geſchmaͤckler anekeln wird! — Es iſt ein Virtuoſe aus dem achtzehn-
„ten Jahrhundert. Vielleicht in den gluͤcklichen Momenten, wo der Genius in ſich ſelbſt ſich auf
„und niederregt; nichts ſieht, nichts hoͤrt, nichts fuͤhlt, als ſein werdendes Gewebe, an das er
„gern mit abgehenden Faͤden die Herzen der Untenwohnenden knuͤpfen moͤchte — Sonſt aber vor-
„liegendes Bild mit menſchlichen Namen genennet, Niklas Jomelli. Jn der buͤrgerlichen Welt
„Capellmeiſter und Director des glaͤnzenden Wuͤrtembergiſchen Orcheſters. Seine Opern und ſon-
„ſtige Werke bewundert die Welt, und adelte ihn dafuͤr: Genie. — Er bewuͤrkte unter andern
„neue Gefuͤhle in den Sterblichen, als er die Bruͤder der Schattirungen in der Mahlerey, das mu-
„ſikaliſche Creſcendo und Diminuendo, naͤher aus Licht zog, und auf Beute ausgehen ließ.
„Jtaliaͤner und Deutſche, die vor ſeinen ſingenden Welten ſtunden, wollen ſich geweidet
„haben; ſagen ihm nach, daß er die Leidenſchaften gluͤcklich auszudruͤcken gewußt; daß er die Mit-
„wuͤrkung aller Jnſtrumente zu Einem großen Zwecke verſtanden; daß er zugethan und
„weggeworfen hat — und dergleichen mehr Gutes wird von ihm geſagt, womit wir aber uns nicht
„aufhalten wollen, weil freylich wahr iſt, daß man dieß alles nicht aus vorliegendem Portraͤte ſieht.
„Jndeſſen gehoͤrt’s aber doch auch dazu.“ —
Und nun der Phyſiognomiſt — was ſagt er zu dieſem Kopf? Ein Kopf, der allen-
falls Genie iſt, wenigſtens es ſeyn kann — wenig ruhig forſchender, ſtillauseinanderleſen-
der Verſtand — Mehr Feuer als Genauheit in ſeinen Werken; mehr Pomp als Eleganz; mehr hin-
reiſſende Gewalt, als ſanft anziehende Zaͤrtlichkeit — das ſcheint mir wenigſtens dieß Geſicht deut-
lich
B b 3
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |