Freylich nur Larve des kraftvollen Mannes -- aber doch im Ganzen entscheiden- der, sich ankündender Ausdruck von Drang, Fülle, Festigkeit, Mannichfaltigkeit, umfassender Kraft. Fern alle Sanftheit und alle Grazie. Von oben bis unten. Diese hohe, vordringende, gefaltete Stirn; diese gegen die Nase sich wild abneigenden Augenbraunen; diese breitgedrückte Nase; dieser Blick; dieses wildkrauße Barthaar -- alles dieses ist harmonischer Ausdruck von anmuthloser, unbiegsamer Vollkraft. Das Auge, wirwohl hart und schlecht ge- zeichnet, ist voll der durchdringendsten Schaukraft. Ganz ergreift's und umschafft seinen Gegen- stand. Das Ganze ist ein Löwengesicht. Jst's nun auch wieder Poesie, Enthusiasmus, De- klamation, wenn ich sage -- so ein Gesicht kann nicht erhaben -- edle Figuren, wie Raphael, weder erfinden noch zeichnen.
Es ist wahr; heiße man's nun, wie man will. Feuer -- Reichthum, Muth, Kraft, Begeisterung -- hat das Gesicht, und haben die Produkte dieses Gesichtes -- Aber Erhabenheit, Adel, Reinheit, Keuschheit, wenn mir dieser Ausdruck erlaubt ist -- hat weder dieß Gesicht, noch haben seine Arbeiten.
Albrecht Dürer sey ihm an die Seite gesetzt. Weniger vordringendes Feuer, aber vielleicht nicht weniger Kraft in stiller Jntension hat dieß Gesicht. Das Aug ist durch-
schauend.
Z 3
Kuͤnſtler.
Siebentes Fragment.
Michelange Buonarotti.
Des III. Ban- des LII. Tafel. M.
Freylich nur Larve des kraftvollen Mannes — aber doch im Ganzen entſcheiden- der, ſich ankuͤndender Ausdruck von Drang, Fuͤlle, Feſtigkeit, Mannichfaltigkeit, umfaſſender Kraft. Fern alle Sanftheit und alle Grazie. Von oben bis unten. Dieſe hohe, vordringende, gefaltete Stirn; dieſe gegen die Naſe ſich wild abneigenden Augenbraunen; dieſe breitgedruͤckte Naſe; dieſer Blick; dieſes wildkrauße Barthaar — alles dieſes iſt harmoniſcher Ausdruck von anmuthloſer, unbiegſamer Vollkraft. Das Auge, wirwohl hart und ſchlecht ge- zeichnet, iſt voll der durchdringendſten Schaukraft. Ganz ergreift’s und umſchafft ſeinen Gegen- ſtand. Das Ganze iſt ein Loͤwengeſicht. Jſt’s nun auch wieder Poeſie, Enthuſiasmus, De- klamation, wenn ich ſage — ſo ein Geſicht kann nicht erhaben — edle Figuren, wie Raphael, weder erfinden noch zeichnen.
Es iſt wahr; heiße man’s nun, wie man will. Feuer — Reichthum, Muth, Kraft, Begeiſterung — hat das Geſicht, und haben die Produkte dieſes Geſichtes — Aber Erhabenheit, Adel, Reinheit, Keuſchheit, wenn mir dieſer Ausdruck erlaubt iſt — hat weder dieß Geſicht, noch haben ſeine Arbeiten.
Albrecht Duͤrer ſey ihm an die Seite geſetzt. Weniger vordringendes Feuer, aber vielleicht nicht weniger Kraft in ſtiller Jntenſion hat dieß Geſicht. Das Aug iſt durch-
ſchauend.
Z 3
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Kuͤnſtler.
Siebentes Fragment.
Michelange Buonarotti.
Freylich nur Larve des kraftvollen Mannes — aber doch im Ganzen entſcheiden-
der, ſich ankuͤndender Ausdruck von Drang, Fuͤlle, Feſtigkeit, Mannichfaltigkeit,
umfaſſender Kraft. Fern alle Sanftheit und alle Grazie. Von oben bis unten. Dieſe hohe,
vordringende, gefaltete Stirn; dieſe gegen die Naſe ſich wild abneigenden Augenbraunen; dieſe
breitgedruͤckte Naſe; dieſer Blick; dieſes wildkrauße Barthaar — alles dieſes iſt harmoniſcher
Ausdruck von anmuthloſer, unbiegſamer Vollkraft. Das Auge, wirwohl hart und ſchlecht ge-
zeichnet, iſt voll der durchdringendſten Schaukraft. Ganz ergreift’s und umſchafft ſeinen Gegen-
ſtand. Das Ganze iſt ein Loͤwengeſicht. Jſt’s nun auch wieder Poeſie, Enthuſiasmus, De-
klamation, wenn ich ſage — ſo ein Geſicht kann nicht erhaben — edle Figuren, wie Raphael,
weder erfinden noch zeichnen.
Es iſt wahr; heiße man’s nun, wie man will. Feuer — Reichthum, Muth, Kraft,
Begeiſterung — hat das Geſicht, und haben die Produkte dieſes Geſichtes — Aber Erhabenheit,
Adel, Reinheit, Keuſchheit, wenn mir dieſer Ausdruck erlaubt iſt — hat weder dieß Geſicht,
noch haben ſeine Arbeiten.
Albrecht Duͤrer ſey ihm an die Seite geſetzt. Weniger vordringendes Feuer, aber
vielleicht nicht weniger Kraft in ſtiller Jntenſion hat dieß Geſicht. Das Aug iſt durch-
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Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 3. Leipzig u. a., 1777, S. 181. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente03_1777/301>, abgerufen am 18.12.2024.
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