Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 3. Leipzig u. a., 1777.VI. Abschnitt. VIII. Fragment. Achtes Fragment. Des III. Ban-Drey Knaben. des XXXVII. Tafel. Alle drey von vorzüglichen Geistesgaben. 1) Den ersten kenn' ich nicht von Person; aber er scheint mir so was männlich- sestes, vollkräftiges, unweibliches, und -- eigensinniges zu haben. Dieß Eigensinnigkräftige ist im Umrisse der ganzen Stirne bis auf die Höhe des Schädels sichtbar. Nase, Blick, Haarwuchs -- vollkommen in demselben Tone. -- Nicht ganz drinn das zu scharfe Eckgen bey der Nasen- wurzel. Das Ueberhängen der aufwärts gezognen Oberlippe könnte als ein zuverläßiges Zei- chen von Güte angesehen werden, wenn die Unterlippe samt dem Kinn nicht fest gerundet zurück- gieng -- unter dieser vorstehenden Stirne. 2) Obgleich sehr geschwächt im Bilde, dennoch ein herrlicher Junge! Das etwas zu kleinliche Kinn ausgenommen, wiewohl auch das Kinn nicht schwachdeutig ist -- ist Zug für Zug -- Ausdruck von hellem Verstande, Kunstfertigkeit, Kunstfleiß, Ueberlegung, Bravheit. Nur ist der Raum zwischen dem Nasenläppchen und dem Winkel des Mundes etwas zu lang. 3) Hier geht's zur Größe! besonders sichtbar in der ganzen Gegend vom rechten Au- genknochen an bis an die Nasenspitze. Allenthalben zum Schauen gebildet, und zum Gesehn- werden von dem Blicke des Physiognomisten; zum Nehmen und Geben; zum Würken und Leiden gebildet. Wenn aus dem Knaben nichts wird -- wird aus keinem nichts, und -- aus der Physiognomik nichts. Nachste-
VI. Abſchnitt. VIII. Fragment. Achtes Fragment. Des III. Ban-Drey Knaben. des XXXVII. Tafel. Alle drey von vorzuͤglichen Geiſtesgaben. 1) Den erſten kenn’ ich nicht von Perſon; aber er ſcheint mir ſo was maͤnnlich- ſeſtes, vollkraͤftiges, unweibliches, und — eigenſinniges zu haben. Dieß Eigenſinnigkraͤftige iſt im Umriſſe der ganzen Stirne bis auf die Hoͤhe des Schaͤdels ſichtbar. Naſe, Blick, Haarwuchs — vollkommen in demſelben Tone. — Nicht ganz drinn das zu ſcharfe Eckgen bey der Naſen- wurzel. Das Ueberhaͤngen der aufwaͤrts gezognen Oberlippe koͤnnte als ein zuverlaͤßiges Zei- chen von Guͤte angeſehen werden, wenn die Unterlippe ſamt dem Kinn nicht feſt gerundet zuruͤck- gieng — unter dieſer vorſtehenden Stirne. 2) Obgleich ſehr geſchwaͤcht im Bilde, dennoch ein herrlicher Junge! Das etwas zu kleinliche Kinn ausgenommen, wiewohl auch das Kinn nicht ſchwachdeutig iſt — iſt Zug fuͤr Zug — Ausdruck von hellem Verſtande, Kunſtfertigkeit, Kunſtfleiß, Ueberlegung, Bravheit. Nur iſt der Raum zwiſchen dem Naſenlaͤppchen und dem Winkel des Mundes etwas zu lang. 3) Hier geht’s zur Groͤße! beſonders ſichtbar in der ganzen Gegend vom rechten Au- genknochen an bis an die Naſenſpitze. Allenthalben zum Schauen gebildet, und zum Geſehn- werden von dem Blicke des Phyſiognomiſten; zum Nehmen und Geben; zum Wuͤrken und Leiden gebildet. Wenn aus dem Knaben nichts wird — wird aus keinem nichts, und — aus der Phyſiognomik nichts. Nachſte-
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VI. Abſchnitt. VIII. Fragment.
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1) Den erſten kenn’ ich nicht von Perſon; aber er ſcheint mir ſo was maͤnnlich-
ſeſtes, vollkraͤftiges, unweibliches, und — eigenſinniges zu haben. Dieß Eigenſinnigkraͤftige iſt
im Umriſſe der ganzen Stirne bis auf die Hoͤhe des Schaͤdels ſichtbar. Naſe, Blick, Haarwuchs —
vollkommen in demſelben Tone. — Nicht ganz drinn das zu ſcharfe Eckgen bey der Naſen-
wurzel. Das Ueberhaͤngen der aufwaͤrts gezognen Oberlippe koͤnnte als ein zuverlaͤßiges Zei-
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gieng — unter dieſer vorſtehenden Stirne.
2) Obgleich ſehr geſchwaͤcht im Bilde, dennoch ein herrlicher Junge! Das etwas zu
kleinliche Kinn ausgenommen, wiewohl auch das Kinn nicht ſchwachdeutig iſt — iſt Zug fuͤr
Zug — Ausdruck von hellem Verſtande, Kunſtfertigkeit, Kunſtfleiß, Ueberlegung, Bravheit.
Nur iſt der Raum zwiſchen dem Naſenlaͤppchen und dem Winkel des Mundes etwas zu lang.
3) Hier geht’s zur Groͤße! beſonders ſichtbar in der ganzen Gegend vom rechten Au-
genknochen an bis an die Naſenſpitze. Allenthalben zum Schauen gebildet, und zum Geſehn-
werden von dem Blicke des Phyſiognomiſten; zum Nehmen und Geben; zum Wuͤrken und
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