Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 3. Leipzig u. a., 1777.Erstes Fragment. Einleitung. Ueber jugendliche Physiognomien. Zimmermann in Hallers Leben. "Die ersten Jugendjahre begreifen die Naturhistorie des Menschen in sich. Sie entfalten die "Die Charakteristik der Passionen sogar, die uns auf eine unverwerfliche Art dieselben "Der Mensch ist also in seiner ersten Anlage unveränderlich. Er ist mit einer Farbe ge- Lieber Zimmermann! wie viel wahres, wie viel falsches -- wie viel unbestimmtes wenig- Mich deucht -- den Teig oder die Masse seh' ich wohl im jugendlichen Gesichte, aber nicht Es giebt Leidenschaften und Kräfte der Jugend, und Leidenschaften und Kräfte des Alters. sche
Erſtes Fragment. Einleitung. Ueber jugendliche Phyſiognomien. Zimmermann in Hallers Leben. „Die erſten Jugendjahre begreifen die Naturhiſtorie des Menſchen in ſich. Sie entfalten die „Die Charakteriſtik der Paſſionen ſogar, die uns auf eine unverwerfliche Art dieſelben „Der Menſch iſt alſo in ſeiner erſten Anlage unveraͤnderlich. Er iſt mit einer Farbe ge- Lieber Zimmermann! wie viel wahres, wie viel falſches — wie viel unbeſtimmtes wenig- Mich deucht — den Teig oder die Maſſe ſeh’ ich wohl im jugendlichen Geſichte, aber nicht Es giebt Leidenſchaften und Kraͤfte der Jugend, und Leidenſchaften und Kraͤfte des Alters. ſche
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Erſtes Fragment.
Einleitung.
Ueber jugendliche Phyſiognomien.
Zimmermann in Hallers Leben.
„Die erſten Jugendjahre begreifen die Naturhiſtorie des Menſchen in ſich. Sie entfalten die
„Werkzeuge der Seele. Sie entdecken den Grundſtoff der kuͤnftigen Auffuͤhrung, die aͤchten Zuͤge
„des Temperaments. Jn einem reifern Alter herrſchet auch in dem aufrichtigſten Gemuͤthe die
„Verſtellung, oder wenigſtens eine gewiſſe Modifikation unſerer Gedanken, die die Einſicht und
„die Erfahrung zeuget.“
„Die Charakteriſtik der Paſſionen ſogar, die uns auf eine unverwerfliche Art dieſelben
„durch eine beſondere Kunſt, die man die Phyſiognomie heißt, auf dem Geſichte entdecket, ver-
„liert ſich mit dem Alter nach und nach, da hingegen die Jugend die wahren Kennzeichen davon
„an die Hand giebt.“
„Der Menſch iſt alſo in ſeiner erſten Anlage unveraͤnderlich. Er iſt mit einer Farbe ge-
„zeichnet, die auf keine Art betruͤglich iſt. Der Knabe iſt ein Werk der Natur. Der Mann wird
„durch die Kunſt gebildet.“
Lieber Zimmermann! wie viel wahres, wie viel falſches — wie viel unbeſtimmtes wenig-
ſtens in dieſer Stelle!
Mich deucht — den Teig oder die Maſſe ſeh’ ich wohl im jugendlichen Geſichte, aber nicht
ſo leicht die Form des kuͤnftigen Mannes.
Es giebt Leidenſchaften und Kraͤfte der Jugend, und Leidenſchaften und Kraͤfte des Alters.
Dieſe widerſprechen ſich oft in demſelben Menſchen, und dennoch ſind die einen in den andern einge-
ſchloſſen. Nur die Entwickelung zeichnet die Zuͤge aus, die ſie ausdruͤcken. Der Mann iſt
doch nichts als der Juͤngling durchs Vergroͤßerungsglas angeſehen. Alſo find’ ich im-
mer im Mannsgeſichte mehr, als im Knabengeſichte. Verſtellung kann freylich die morali-
ſche
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