"der Schöpfung unbevölkert von lebendigen Wesen, und kein lebendiges Wesen ungenährt seyn "sollte." -- --
"Welche Bildsamkeit der Materie! welche Völle der Schöpfung! Nirgends kein Sprung, "keine Lücke -- alles stetig, alles besetzt und ineinandergreifend! unendlich in seinen einfachen, wie "in seinen zusammengesetzten Theilen, und doch nur Eines, ein harmonischer, ungeheurer Körper."
"Sie stehen gleichsam in der Mitte der belebten Wesen; von den Pflanzen ungefähr eben "so weit entfernt, als von den säugenden Thieren, haben sie Antheil an den verschiedenen Naturen "aller übrigen. Welche Beyspiele von allen Arten von Gestalten; von bewundernswürdigem Jn- "stinkt! von Kunst-Wehr- und Nähr-Trieben (und Werkzeugen und Physiognomien) trifft "man unter ihnen nicht an -- durch alle Winkel der Welt vertheilt, leben sie unter allen Himmels- "strichen, doch so, daß sich jedes Land seiner eigenen Nation rühmen kann .. Der geübte Kenner "wird es einem sonst unbekannten Käfer, oder Schmetterling an der Gestalt und Farbe, an seiner "Physiognomie ansehen, weß Landes er ist?" --
Jch thue nichts hinzu, als dieß: wenn auch die Jnsekten so gar Nationalphysiognomien haben -- sollten sie keine Charakterphysiognomien haben? Und wenn die Jnsekten Charakter- physiognomien haben, sollte der Mensch keine haben? -- Und wenn jedes Stück, jedes Glied und Werkzeug des Jnsektes physiognomisch, das ist, charakteristisch ist -- sollte nicht jedes Menschen- glied es auch seyn?
Des
II. Abſchnitt. VI. Fragment. Jnſekten.
„der Schoͤpfung unbevoͤlkert von lebendigen Weſen, und kein lebendiges Weſen ungenaͤhrt ſeyn „ſollte.“ — —
„Welche Bildſamkeit der Materie! welche Voͤlle der Schoͤpfung! Nirgends kein Sprung, „keine Luͤcke — alles ſtetig, alles beſetzt und ineinandergreifend! unendlich in ſeinen einfachen, wie „in ſeinen zuſammengeſetzten Theilen, und doch nur Eines, ein harmoniſcher, ungeheurer Koͤrper.“
„Sie ſtehen gleichſam in der Mitte der belebten Weſen; von den Pflanzen ungefaͤhr eben „ſo weit entfernt, als von den ſaͤugenden Thieren, haben ſie Antheil an den verſchiedenen Naturen „aller uͤbrigen. Welche Beyſpiele von allen Arten von Geſtalten; von bewundernswuͤrdigem Jn- „ſtinkt! von Kunſt-Wehr- und Naͤhr-Trieben (und Werkzeugen und Phyſiognomien) trifft „man unter ihnen nicht an — durch alle Winkel der Welt vertheilt, leben ſie unter allen Himmels- „ſtrichen, doch ſo, daß ſich jedes Land ſeiner eigenen Nation ruͤhmen kann .. Der geuͤbte Kenner „wird es einem ſonſt unbekannten Kaͤfer, oder Schmetterling an der Geſtalt und Farbe, an ſeiner „Phyſiognomie anſehen, weß Landes er iſt?“ —
Jch thue nichts hinzu, als dieß: wenn auch die Jnſekten ſo gar Nationalphyſiognomien haben — ſollten ſie keine Charakterphyſiognomien haben? Und wenn die Jnſekten Charakter- phyſiognomien haben, ſollte der Menſch keine haben? — Und wenn jedes Stuͤck, jedes Glied und Werkzeug des Jnſektes phyſiognomiſch, das iſt, charakteriſtiſch iſt — ſollte nicht jedes Menſchen- glied es auch ſeyn?
Des
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0134"n="84"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b"><hirendition="#aq">II.</hi> Abſchnitt. <hirendition="#aq">VI.</hi> Fragment. Jnſekten.</hi></fw><lb/>„der Schoͤpfung unbevoͤlkert von lebendigen Weſen, und kein lebendiges Weſen ungenaͤhrt ſeyn<lb/>„ſollte.“——</p><lb/><p>„Welche Bildſamkeit der Materie! welche Voͤlle der Schoͤpfung! Nirgends kein Sprung,<lb/>„keine Luͤcke — alles ſtetig, alles beſetzt und ineinandergreifend! unendlich in ſeinen einfachen, wie<lb/>„in ſeinen zuſammengeſetzten Theilen, und doch nur Eines, ein harmoniſcher, ungeheurer Koͤrper.“</p><lb/><p>„Sie ſtehen gleichſam in der Mitte der belebten Weſen; von den Pflanzen ungefaͤhr eben<lb/>„ſo weit entfernt, als von den ſaͤugenden Thieren, haben ſie Antheil an den verſchiedenen Naturen<lb/>„aller uͤbrigen. Welche Beyſpiele von allen Arten von Geſtalten; von bewundernswuͤrdigem Jn-<lb/>„ſtinkt! von <hirendition="#fr">Kunſt-Wehr-</hi> und <hirendition="#fr">Naͤhr-</hi>Trieben (und Werkzeugen und Phyſiognomien) trifft<lb/>„man unter ihnen nicht an — durch alle Winkel der Welt vertheilt, leben ſie unter allen Himmels-<lb/>„ſtrichen, doch ſo, daß ſich jedes Land ſeiner eigenen Nation ruͤhmen kann .. Der geuͤbte Kenner<lb/>„wird es einem ſonſt unbekannten Kaͤfer, oder Schmetterling an der Geſtalt und Farbe, an ſeiner<lb/>„Phyſiognomie anſehen, weß Landes er iſt?“—</p><lb/><p>Jch thue nichts hinzu, als dieß: wenn auch die Jnſekten ſo gar <hirendition="#fr">Nationalphyſiognomien</hi><lb/>
haben —ſollten ſie keine <hirendition="#fr">Charakterphyſiognomien</hi> haben? Und wenn die Jnſekten Charakter-<lb/>
phyſiognomien haben, ſollte der Menſch keine haben? — Und wenn jedes Stuͤck, jedes Glied und<lb/>
Werkzeug des Jnſektes phyſiognomiſch, das iſt, charakteriſtiſch iſt —ſollte nicht jedes Menſchen-<lb/>
glied es auch ſeyn?</p></div></div></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><fwplace="bottom"type="catch">Des</fw><lb/></body></text></TEI>
[84/0134]
II. Abſchnitt. VI. Fragment. Jnſekten.
„der Schoͤpfung unbevoͤlkert von lebendigen Weſen, und kein lebendiges Weſen ungenaͤhrt ſeyn
„ſollte.“ — —
„Welche Bildſamkeit der Materie! welche Voͤlle der Schoͤpfung! Nirgends kein Sprung,
„keine Luͤcke — alles ſtetig, alles beſetzt und ineinandergreifend! unendlich in ſeinen einfachen, wie
„in ſeinen zuſammengeſetzten Theilen, und doch nur Eines, ein harmoniſcher, ungeheurer Koͤrper.“
„Sie ſtehen gleichſam in der Mitte der belebten Weſen; von den Pflanzen ungefaͤhr eben
„ſo weit entfernt, als von den ſaͤugenden Thieren, haben ſie Antheil an den verſchiedenen Naturen
„aller uͤbrigen. Welche Beyſpiele von allen Arten von Geſtalten; von bewundernswuͤrdigem Jn-
„ſtinkt! von Kunſt-Wehr- und Naͤhr-Trieben (und Werkzeugen und Phyſiognomien) trifft
„man unter ihnen nicht an — durch alle Winkel der Welt vertheilt, leben ſie unter allen Himmels-
„ſtrichen, doch ſo, daß ſich jedes Land ſeiner eigenen Nation ruͤhmen kann .. Der geuͤbte Kenner
„wird es einem ſonſt unbekannten Kaͤfer, oder Schmetterling an der Geſtalt und Farbe, an ſeiner
„Phyſiognomie anſehen, weß Landes er iſt?“ —
Jch thue nichts hinzu, als dieß: wenn auch die Jnſekten ſo gar Nationalphyſiognomien
haben — ſollten ſie keine Charakterphyſiognomien haben? Und wenn die Jnſekten Charakter-
phyſiognomien haben, ſollte der Menſch keine haben? — Und wenn jedes Stuͤck, jedes Glied und
Werkzeug des Jnſektes phyſiognomiſch, das iſt, charakteriſtiſch iſt — ſollte nicht jedes Menſchen-
glied es auch ſeyn?
Des
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 3. Leipzig u. a., 1777, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente03_1777/134>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.